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Mit Ausweis: Jens Spahn (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) drängen auf eine Widerspruchsregelung bei der Organspende.

© Kay Nietfeld/ dpa

Ohne Widerspruch automatisch Organspender?: Abgeordnete präsentieren umstrittene Initiative

Wer sich nicht ausdrücklich dagegen entscheidet, soll künftig als Organspender gelten. Das fordern Abgeordnete um Jens Spahn (CDU) und Karl Lauterbach (SPD).

Er habe einen Wunsch, sagt Georg Nüßlein gleich zu Beginn. Über den Berichten zu der fraktionsübergreifenden Abgeordneten-Initiative für eine sogenannte Widerspruchsregelung wolle er möglichst nicht die Schlagzeile „Zwang zur Organspende“ lesen. Niemand beabsichtige, jemanden in diesem Land zu etwas zu zwingen, versichert der CSU-Politiker. Außer, sich einmal ganz bewusst einer ganz wesentlichen Frage zu stellen und möglichst eine Entscheidung zu treffen: Ob man nach dem Hirntod mit seinen eigenen Organen das Leben anderer retten möchte oder nicht.

Nur 36 Prozent der Bürger haben einen Spenderausweis

Exakt darum geht es den Parlamentariern bei ihrem Vorstoß zu einer Änderung des bisherigen Organspende-Verfahrens: Dass 84 Prozent der Bürger, wenn sie denn von Meinungsforschern befragt werden, Organspenden gut und wichtig finden. Dass aber nicht einmal die Hälfte davon bereit ist, daraus konkrete Konsequenzen zu ziehen. Nur 36 Prozent der Deutschen besitzen einen Organspendeausweis. Und bei vielen der Nicht-Festgelegten spiele wohl vor allem eines eine Rolle, mutmaßt Nüßlein: dass man das belastende Thema verdränge, sich nicht mit dem eigenen Tod beschäftigen wolle.

Die Folge solchen Wegduckens beschreibt die Linken-Politikerin Petra Sitte an diesem Montag auf drastische Weise: „Heute werden wieder drei Menschen versterben, weil für sie keine Organe gefunden werden.“ Auf den Wartelisten befänden sich zehnmal mehr Schwerstkranke als Patienten, denen man binnen eines Jahres durch Transplantation helfen könne, betont auch SPD-Experte Karl Lauterbach. Und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) beklagt, dass alle bisherigen Bemühungen – regelmäßige Anschreiben, millionenschwere Informations-Kampagnen – im Ergebnis „nicht gefruchtet“ hätten. Noch immer gebe es hierzulande viel zu wenige Organspender.

Angehörige sollen sicherheitshalber trotzdem gefragt werden

Deshalb nun also eine Brachiallösung? Wer nicht rechtzeitig widerspricht, gilt automatisch und womöglich gar gegen seinen heimlichen Willen als Organspender? Ein bisschen differenzierter ist die Idee schon, mit der die zehnköpfige Gruppe um Spahn und Lauterbach aufwartet. Ihr Gesetzentwurf sieht zwar vor, dass künftig allen Bürgern über 16 Jahren eine Entscheidung über die eigene Organspende abverlangt wird. Und dass jeder, der sich dem nicht aktiv verweigert oder auch bloß keine Entscheidung treffen will, in einem Register fortan als Spender geführt werden soll.

Doch ihrem Konzept zufolge dürften am Ende auch noch Angehörige und nahe Bekannte mitreden: Vor jeder Organentnahme müssten diese – daher der der Terminus „Doppelte Widerspruchslösung“ – von den Ärzten befragt werden, ob ihnen ein „entgegenstehender Wille“ des Patienten bekannt sei. Und bei Betroffenen, die „nicht in der Lage sind, Wesen, Bedeutung und Tragweite einer Organ- und Gewebespende zu erkennen und ihren Willen danach auszurichten“, wäre eine Transplantation ohnehin unzulässig.

Lauterbach: Plan ist "ethisch unbedenklich"

Den verbliebenen „Eingriff in die Freiheit“ könne und müsse man in der Abwägung gegen gerettete Menschenleben hinnehmen, findet Spahn. Eine Widerspruchslösung gebe es in 20 von 28 EU-Staaten. Und wenn man jederzeit begründungsfrei widersprechen könne, handle es sich auch nicht, wie von Gegnern unterstellt, um eine „Organabgabepflicht“. Zudem plane man, alle über 16-Jährigen dreimal direkt anzuschreiben und ausgiebig über die Rechtsänderung zu informieren.

Die Sache sei „ethisch unbedenklich“, versichert Lauterbach. Nach der empfohlenen Regelung sei es auch „moralisch völlig okay“, eine Organspende auszuschließen – zumal ein Widerspruch datenschutzrechtlich gut gesichert werde. Behörden und Ärzte wüssten dank der vorgesehenen Register aber genau, wo der Patientenwunsch im Fall des Falles dokumentiert sei. Das Problem nicht auffindbarer Spenderausweise gebe es dann nicht mehr.

Gegner des Vorstoßes beklagen "Foulspiel"

Ein verlässliches Online-Register, das den schnellen Zugriff auf die Organspendenbereitschaft der Bürger enthält, wünschen sich auch die Gegner der Widerspruchsregelung. Sie basteln noch an ihrem Gesetzentwurf – und sind etwas verärgert, dass die Truppe um den Minister, der ihnen fachliche Unterstützung zugesichert hatte, nun öffentlich vorgeprescht ist und nicht auf sie gewartet hat. Die Grünen-Abgeordnete Kirsten Kappert-Gonther warf Spahn deshalb „ein parlamentarisches Foulspiel“. Was dieser zurückweist: Der Gesetzentwurf sei schon seit Januar fertig gewesen, man habe ihn nicht noch länger liegen lassen wollen.

Im Grundsatz möchten die Abgeordneten um die Unionspolitiker Heribert Hirte (CDU) und Stephan Pilsinger (CSU), Grünen-Chefin Annalena Baerbock und die frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) bei der bisherigen Vorgabe bleiben, wonach Organspenden nur bei ausdrücklicher Zustimmung möglich sind. Eine Widerspruchsregelung wecke Ängste und senke das Vertrauen in die Organspende, argumentieren sie. Stattdessen sollte die Spendenbereitschaft der Bürger in regelmäßigen Abständen abgefragt werden – etwa bei der Beantragung des Personalausweises. Festlegen müssten sie sich dabei aber nicht. „Die Freiheit zu einer Entscheidung über diese zutiefst persönliche Frage muss ohne Zwang erhalten bleiben.“

Sorge um das Selbstbestimmungsrecht

Welcher Antrag im Bundestag eine Mehrheit finden wird, ist bis dato offen. Einen Hinweis lieferte aber eine erste Parlamentsdebatte im November 2018. Dabei plädierten nur wenige der Redner für eine Widerspruchsregelung. Die meisten warnten davor – manche mit großer Vehemenz. Die Widerspruchslösung missachte das Selbstbestimmungsrecht, warnte etwa die FDP-Politikerin Christine Aschenberg-Dugnus. Dem deutschen Recht sei es „fremd, Schweigen als Zustimmung zu werten", so FDP-Vize Wolfgang Kubicki.

Nüßlein greift das auf, indem er daran erinnert, dass man ohne Testament auch mit gesetzlicher Erbfolge und ohne Patientenverfügung mit lebensverlängernden Maßnahmen klarkommen müsse. Wobei Spahn bei letzterem tatsächlich nochmal das Justizministerium zu Rate ziehen möchte. Mitunter nämlich kommen sich Patientenverfügung und Organspendebereitschaft in die Quere. Womöglich müsse man in den Mustervorgaben für die Verfügung nochmal deutlich machen, dass Spenderorgane bis zur Entnahme lebensfähig gehalten werden müssten, sagt er.

Spahn: Schon die Debatte ist förderlich

Ansonsten gibt Spahn zwischendurch immer wieder den Überparteilichen. Es sei „gut und richtig“, dass es weitere Gruppenanträge gebe, sagt er. In der schwierigen Frage, wie man zu mehr Organspenden kommen könne, gebe es „kein Schwarz-Weiß“ – und eine gute Debatte brauche auch Wertschätzung der anderen Seite. Im übrigen werbe er nicht als Minister für die Widerspruchsregelung, sondern als Abgeordneter des Bundestages. Der – auch das räumt der CDU-Politiker ein – vor Jahren noch die gleichen Argumente wie die Gegner seines aktuellen Vorstoßes benutzt habe.

Und womöglich sei gar nicht so wichtig, wer sich durchsetze. Allein die Aufmerksamkeit, die das Thema über die Debatte erhalte, fördere die Organspendebereitschaft – „egal wie sich der Bundestag am Ende entscheidet“.

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