zum Hauptinhalt
Partyspaß ungeachtet von Corona-Beschränkungen: Feiernde in englischen Brighton

© Reuters/Henry Nicholls

Öffnungen in Großbritannien wegen Mutante gefährdet: „Dann wird die Regierung panisch und macht alles wieder dicht“

In Großbritannien steigen die Corona-Zahlen wieder – wegen der Variante Delta. Im Herbst könnte die Mutation auch Deutschland zu schaffen machen.

Die Nachricht aus dem Vereinigten Königreich machte Hoffnung: Erstmals seit mehr als 14 Monaten war in Großbritannien binnen 24 Stunden niemand an oder mit Covid-19 gestorben, teilten die Behörden am Dienstag mit. Es habe am Montag keinen Menschen gegeben, der innerhalb von 28 Tagen nach einem positiven Corona-Test gestorben sei.

Doch die weiteren Zahlen der Behörden alarmierten viele Experten. Denn mit 3165 bestätigten Neuinfektionen setzte sich die steigende Tendenz der vergangenen Tage mit Werten jenseits der 3000 fort. Auch die Sieben-Tage-Inzidenz in Großbritannien, die vor allem dank der erfolgreichen Impfkampagne zwischenzeitlich schon unter 20 gesunken war, kletterte nun wieder auf über 30.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Verantwortlich dafür ist die rasche Ausbreitung der zuerst in Indien aufgetretenen Virusvariante Delta oder B.1.617.2 – in Kombination mit den schrittweisen Lockerungen der Corona-Beschränkungen auf dem „Weg in die Freiheit“, den Premierminister Boris Johnson vorgegeben hat.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Der jüngste Anstieg an Infektionen stellt Johnsons Vorhaben, am 21. Juni auch die letzten Corona-Restriktionen aufzuheben, ernsthaft infrage. Bis zum 14. Juni soll über die vollständige Lockerung entschieden werden.

„Für einige Zeit ein falsches Sicherheitsgefühl, das ist unsere Sorge“

Britische Wissenschaftler warnen die Regierung eindringlich davor, die Beschränkungen so zeitig aufzuheben. Das geplante Ende am 21. Juni sei „ein bisschen früh“, sagte Mikrobiologe Ravi Gupta, der in einem Gremium für neue aufkommende Virus-Bedrohungen die Regierung berät, dem Sender „Sky News“. Bei den neuen Fällen habe es ein exponentielles Wachstum gegeben – mindestens drei Viertel seien die neue Variante.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Gupta sieht das Vereinigte Königreich bereits am Beginn einer dritten Welle. „Es wird wahrscheinlich länger dauern als bei vorherigen Wellen, bis sie sich abzeichnet, weil wir ein hohes Level an Impfungen in der Bevölkerung haben“, sagte Gupta bei der „BBC“. „Daher könnte es für einige Zeit ein falsches Sicherheitsgefühl geben, das ist unsere Sorge.“ Bislang sind drei Viertel der Erwachsenen in Großbritannien erstgeimpft, knapp die Hälfte hat beide Impfdosen erhalten.

„Ich denke, wir brauchen mindestens ein paar Wochen – wahrscheinlich einen Monat, bis die Schulen schließen, so dass das Risiko der Übertragung in Schulen sinkt“, so Gupta. Das gebe auch Zeit dafür, genauer zu schauen, wie sich die Virusvariante Delta weiter verbreite. Die Sommerferien starten in England in diesem Jahr am 5. Juli und dauern bis Mitte August.

Auch der Mediziner Adam Finn, ein Mitglied der britischen Impfkommission, rät der Regierung dringend davon ab, am 21. Juni den Lockdown zu beenden. „Ich fürchte, es wäre eine schlechte Entscheidung, daran festzuhalten“, sagte er dem Sender „LBC“.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Der Virologe Julian Tang von der Universität Leicester mahnt angesichts der Verbreitung der Delta-Virusvariante Premier Johnson ebenfalls, den Zeitplan für den „Weg in die Freiheit“ zu verschieben. Auch Tang sieht eine drohende dritte Welle. „Wenn jetzt komplett geöffnet wird, werden die Zahlen noch deutlicher ansteigen – trotz verstärkter Impfungen und Tests“, sagte er „Sky News“. „Dann wird die Regierung panisch und macht alles wieder dicht.“

Der britische Medizinerverband warnte zudem, das Gesundheitssystem könne bei stark steigenden Fallzahlen zu einer Zeit überlastet werden, in der es versuche, den Rückstau verschobener Behandlungen und Operationen abzuarbeiten. Die zuständigen Minister sollten „mit äußerster Vorsicht“ darüber nachdenken, die Restriktionen tatsächlich zum 21. Juni aufzuheben, zitierte „Sky News“ Chaand Nagpaul, den Vorsitzenden des Rates des Verbandes.

„Ein vorzeitiges Ende der Beschränkungen, das dann zu einem Ansteigen der Infektionszahlen führt, würde die Bemühungen der Gesundheitsdienste untergraben, den größten Rückstand an Betreuung aufzuholen, den sie je hatten“, sagte Nagpaul.

Im Vereinigten Königreich warten fünf Millionen Menschen auf eine anstehende Behandlung oder Operation. Der Gesundheitsdienst für England spricht von mehr als 436.000 Menschen, die sich bereits mehr als ein Jahr gedulden müssen – im Vergleich zu 1600 vor der Coronakrise.

Schottland verschiebt Lockerungen vorerst

In England waren die Corona-Beschränkungen Mitte Mai noch einmal deutlich gelockert worden. Am Feiertag am Montag, dem bisher wärmsten Tag des Jahres, tummelten sich an den Stränden von Bournemouth und Brighton im Süden von England, aber auch in Schottland unzählige Besucher – trotz Warnungen der Behörden, ausreichend Abstand zu halten und Corona-Regeln zu beachten.

Nur einen Tag später reagierte Schottlands Regierung auf solche Sorglosigkeit sowie die Ausbreitung der Delta-Variante des Coronavirus. Für weite Teile des Landes wurden geplante Lockerungen vorerst aufgeschoben. „Es ist wichtig zu betonen, dass dies eine Pause ist, kein Schritt zurück“, sagte Regierungschefin Nicola Sturgeon. Für weitere Lockerungen müssten noch mehr Menschen einen vollständigen Impfschutz erhalten. Die sehr ansteckende Variante B.1.617.2 mache mittlerweile rund die Hälfte der Fälle in Schottland aus.

Strandfreuden ohne Abstand in Brighton
Strandfreuden ohne Abstand in Brighton

© dpa/Matt Dunham

Während einige Städte wie Glasgow und vor allem dünn besiedelte Regionen oder Inseln sich zum Wochenende weiterhin auf Lockerungen freuen können, verbleiben andere Teile des Landes, darunter die Hauptstadt Edinburgh, in Stufe 2 des Maßnahmen-Systems: In dieser können sich sechs Menschen aus drei Haushalten in Innenräumen oder der Gastronomie treffen, draußen sind Treffen von acht Personen aus bis zu acht Haushalten erlaubt.

Schottland entscheidet wie auch Wales und Nordirland unabhängig von der Regierung in London über seine Corona-Maßnahmen. Premierminister Johnson kann nur über England verfügen – die Entscheidung der Schotten erhöht den Druck auf ihn zusätzlich.

Lauterbach erwartet Delta-Variante im Herbst auch in Deutschland

In Deutschland ist die Variante B.1.617 nach Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) in Deutschland aktuell recht selten. In der dritten Woche in Folge bewegte sich der Anteil dieser Mutante an den untersuchten Proben im Bereich von rund zwei Prozent, wie aus dem jüngsten RKI-Bericht zu Virusvarianten mit Stand vom 26. Mai hervorgeht. Das RKI registriert demnach einem langsamen, aber kontinuierlichen Anstieg der Anteile von Untervariante B.1.617.2 auf nun 2,2 Prozent. Das sind in absoluten Zahlen noch relativ geringe Werte: Für die 19. Kalenderwoche sind 40 Nachweise im Bericht ausgewiesen.

[Mehr zur Pandemie: „Bundesweit gehen Millionen Dosen verloren“ – Leiter zweier Impfzentren erhebt schwere Vorwürfe gegen Jens Spahn]

Doch die steigenden Coronazahlen durch die Variante Delta in Großbritannien sorgen auch deutsche Experten. „Schlechte Nachrichten“, twitterte am Dienstag SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, der hofft, dass Deutschland eine vierte Corona-Welle erspart bleibt, zur Lage im Vereinigten Königreich. Und er fügte hinzu: „Im Herbst kommt diese Variante auch zu uns.“

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Man solle genau auf diese Variante schauen, sagte auch die Physikerin Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation vergangene Woche in einer Anhörung im Parlamentarischen Begleitgremium Covid-19-Pandemie des Bundestags.

Sie sehe eine Gratwanderung zwischen dem Impffortschritt und der Ausbreitung der Variante. Angesichts des aktuell berichteten Anteils von zwei Prozent werde es bis zu fünf Wochen oder vielleicht auch länger dauern, bis die Variante auch in Deutschland anfange, die Fallzahlen wieder hoch zu bringen. Bis dahin gebe es noch nicht genug Impfschutz, um eine Belastung der Intensivstationen auszuschließen.

Auch der Virologe Christian Drosten wies mit Blick auf die Variante B.1.617 darauf hin, dass offenbar „gerade die erste Impfung gegen dieses Virus noch nicht so viel hilft, so dass man jetzt schnell vervollständigen muss“. Das bedeutet, dass es wichtig ist, dass Menschen auch die zweite Dosis erhalten. Drosten sah bei den ersten Daten über die Variante generell noch viele Unwägbarkeiten.

WHO hält B.1.617.2 für „besorgniserregend“

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft die Variante Delta als „besorgniserregend“ ein. Bei den beiden weiteren Varianten der zuerst in Indien festgestellten Mutante sei ein geringeres Ansteckungsrisiko beobachtet worden, weshalb diese herabgestuft worden seien, teilte die Organisation am Mittwoch mit.

In Untersuchungen sei deutlich geworden, dass mit der Variante „B.1.617.2 ein höheres Risiko für die Allgemeinheit verbunden ist, während bei anderen niedrigere Übertragungsraten beobachtet wurden“, so die WHO. B.1.617.1 werde nun als „Variante von Interesse“ eingestuft. B.1.617.3 erhält von der WHO keine besondere Einstufung mehr.

Bei B.1.617.2 beobachtet die WHO dagegen weiterhin eine „signifikant erhöhte Übertragungsrate“. Ebenso gebe es in immer mehr Ländern große Infektionsherde, die in Zusammenhang mit dieser Variante stünden. „Weitere Untersuchungen zu den Auswirkungen dieser Variante bleiben von hoher Priorität für die WHO“, hieß es.

Spahn will nötige Schritte im Sommer „deutlich früher beginnen“

Die Bundesregierung wird diese Einschätzungen und die Entwicklung in Großbritannien genau verfolgen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mahnte, Deutschland müsse sich in diesem Sommer besser auf eine möglicherweise im Herbst drohende neue Corona-Welle vorbereiten als im vergangenen Jahr. Die Vorbereitungen der nötigen Schritte sollten „deutlich früher beginnen“, sagte Spahn am Mittwoch im ZDF-„Morgenmagazin“.

Im vergangenen Jahr kam es nach den Sommerferien zu einem schnellen Anstieg der Neuinfektionen in Deutschland, ohne dass schnelle Gegenmaßnahmen erfolgten. „Wir werden tatsächlich dieses Mal noch intensiver im Sommer darüber reden und uns darauf vorbereiten“, sagte Spahn.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false