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Das Schlimmste verhüten. Ein Mitarbeiter des Kältebus der Berliner Stadtmission am Bahnhof Leopoldplatz neben einem Obdachlosenlager.

© Paul Zinken/dpa

Obdachlose in Berlin: Wer jetzt kein Haus hat

Berlin legt einen Masterplan zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit vor. Dabei helfen auch kleine Maßnahmen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Werner van Bebber

Bestenfalls können sie Mitleid erwarten, Geld, einen geschenkten Schlafsack. Schlimmstenfalls werden sie zu Opfern ihrer Lebensumstände: Wer obdachlos ist, muss immer mit einer Attacke rechnen, einem Angriff, einem Diebstahl, der Brutalität von Leuten, die jene verachten, die auf der Straße leben. Jetzt fällt einem wieder auf, wie viele es von ihnen gibt, auch wenn keiner weiß, ob es 6000 oder 10000 sind. Weil Ecken und Winkel im Beton der Stadt zu Schlupfwinkeln werden, von denen ein Mensch mit Wohnung sich nicht vorstellen kann, dass man dort hausen kann.

Lockdown-Opfer sind auch die, die auf der Straße leben. Wenn weniger Menschen draußen unterwegs sind, bedeutet das: weniger abgestellte Flaschen, weniger Chancen, nach einem Euro zu fragen. Es ist eine Existenz in scheinbar  völliger Rechtlosigkeit. Wer auf der Straße lebt, niemanden belästigt, die Ordnung nicht stört und nichts kaputt macht, der wird in Ruhe gelassen. Die Unterführung am Zoo oder der Lewishamstraße neben dem S-Bahnhof Charlottenburg, Betonrampen, Friedhöfe – das sind bloß zwei Beispiele für die Räume derer, die draußen leben.

Sozialsenatorin Elke Breitenbach hat im fünften Jahr ihrer Amtszeit einen „Masterplan“ (drunter macht man es nicht mehr in der Berliner Politik) zum Kampf gegen die Obdachlosigkeit vorgelegt. Dessen wichtigste Maßnahme (übernommen aus einem in den Vereinigten Staaten entwickelten Konzept) lautet „housing first“. Es sieht vor, Obdach- und Wohnungslosen zunächst eine dauerhafte, unbefristete Unterkunft zu verschaffen und alle Hilfsangebote darauf aufzubauen. Immerhin – ein Modellprojekt mit 40 Plätzen gibt es in Berlin seit 2018.

Aufklärung ist notwendiger denn je

Ein Projekt, typisch für die Berliner Sozialindustrie? Eher nicht. Schon länger laufende Modelle in anderen Ländern zeigen, dass ein Dach über dem Kopf Menschen zurück in eine normale Existenz helfen kann. Auch Aufklärung ist notwendiger denn je. Die Einstellung, dass Obdachlosigkeit selbst verschuldet sei, hält sich bei angeblich einem Drittel der Bürger..

Doch nicht einmal die Männer aus Russland, mit denen man an der Lewishamstraße ins Gespräch kommen kann, sind rechtlich betrachtet ohne Anspruch. Es kann sein, dass ihr Aufenthaltsstatus mit Rechtsverstößen einhergeht, weil zum Beispiel ihr Visum abgelaufen ist. Ein (Menschen-)Recht auf Existenzsicherung haben auch sie; sie können es bloß nicht durchsetzen. Die anderen, die aus Litauen oder Rumänien, haben – wenn sie sich nichts haben zuschulden kommen lassen - Rechte als EU-Bürger, ob man das als Steuerzahler richtig findet oder nicht.

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Absurderweise zeigt gerade die Pandemie, dass die Schwelle zur tätigen Hilfe, zur Unterbringung, durchaus abgesenkt werden kann, auch ohne groß angekündigte neue Pläne. In Berlin gibt es Hostels, die sich den Menschen von der Straße geöffnet haben. Ein Ansatz, den der Senat voranbringen könnte, indem er versucht, solche Angebote dauerhaft zu machen, ehe es wieder Meldungen von Kältetoten gibt.

Wer weiß, wie lange es dauert, bis der Tourismus in Berlin wieder Fahrt aufgenommen hat. Breitenbachs Masterplan in Ehren (zeitliches Ziel: „bis 2030") – schon die darin vorgesehen neuen Zuständigkeiten auf Senats- und Bezirksebene lassen ahnen, dass viele Jahre tatsächlich vergehen werden, bis der Plan Wirklichkeit geworden ist. Das Schicksal der Obdachlosen ist so miserabel wie das der Flüchtlinge in den Lagern Griechenlands oder Bosnien. Es ist erbärmlich. Und sie sind längst hier, unter der Brücke um die Ecke.

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