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Polizisten erweisen 2007 mit einem Trauerzug in Böblingen ihrer in Heilbronn ermordeten Kollegin Kiesewetter die letzte Ehre.

© dpa

NSU-Prozess: Staatsanwalt hielt Phantombild im Fall Kiesewetter zurück

Im Zusammenhang mit dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter tauchen im NSU-Prozess weitere Ungereimtheiten auf.

Von Frank Jansen

Bei den Ermittlungen zum Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn gab es offenbar mehr Merkwürdigkeiten als bislang bekannt war. Ein Staatsanwalt habe untersagt, dass Phantombild zu veröffentlichen, das nach Angaben des bei dem Mordanschlag schwer verletzten Martin A. gefertigt worden war, sagte am Donnerstag ein ehemaliger Kriminalpolizist im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München. Der pensionierte Beamte des Landeskriminalamts Baden-Württemberg konnte oder wollte keinen Grund für die seltsam anmutende Entscheidung nennen. Es habe ihm nicht zugestanden, bei dem Staatsanwalt nachzufragen, sagte der Zeuge auf Fragen von Anwalt Olaf Klemke, der den Angeklagten Ralf Wohlleben verteidigt.

Der Polizist Martin A. hatte am 25. April 2007 mit Michèle Kiesewetter in einem geparkten Streifenwagen in Heilbronn gesessen, als die NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt von hinten auftauchten und beiden Beamten in den Kopf schossen. Kiesewetter starb am Tatort, Martin A. überlebte nur knapp. Die Täter wurden erst bekannt, als am 4. November 2011 Mundlos und Böhnhardt tot in einem brennenden Wohnmobil in Eisenach gefunden wurden – zusammen mit den bei dem Anschlag 2007 entwendeten Dienstwaffen von Kiesewetter und Martin A.

Aussagen von Martin A. "nicht gerichtsverwertbar"?

Martin A. erholte sich trotz der lebensgefährlichen Verletzung ungewöhnlich schnell und konnte im August 2007 wieder den Dienst bei der Polizei aufnehmen. Er darf aber wegen der Gefahr epileptischer Anfälle keine Waffe mehr tragen. Vor zwei Wochen trat Martin A. als Zeuge im NSU-Prozess auf. Seine Erinnerungen an die Tat sind spärlich. Er berichtete allerdings auch über physische und psychische Folgen. Er befindet sich immer noch in traumatherapeutischer Behandlung.

Die Angstzustände bei Martin A. könnten der Anlass für das Verbot des Staatsanwalts gewesen sein, das Phantombild in die Öffentlichkeit zu bringen, vermutete der pensionierte Kripo-Mann. Die Aussagen von Martin A. seien als „nicht gerichtsverwertbar“ eingestuft worden. Genau wusste es der pensionierte Beamte aber nicht. Möglicherweise sagte er aber auch nicht alles über die Gespräche zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft.

Locken oder Glatze?  

An eine Unterredung zwischen ihm, zwei Vorgesetzten sowie dem Staatsanwalt und Martin A. vom Mai 2011 konnte oder wollte sich der Zeuge nur lückenhaft erinnern. Er wisse nur noch, dass es um die Veröffentlichung des Phantombildes gegangen sei. Verteidiger Klemke hielt ihm dann aus den Akten vor, Martin A. habe Angst davor gehabt, das Bild der Öffentlichkeit zu zeigen. Der Zeuge antwortete lapidar, „dann trifft es so zu“.

Das Phantombild ließ der Vorsitzende Richter Manfred Götzl kurz zeigen, der pensionierte Beamte erkannte es sofort wieder. Zu sehen war ein Mann mit dunklem, lockigen Haar. Ob das Bild zum Aussehen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Jahr 2007 passt, ist fraglich. Zeugen bei anderen Verbrechen sowie Urlaubsbekannte, mit denen Mundlos, Böhnhardt und Beate Zschäpe unter falschen Namen auf Fehmarn verkehrten, haben die beiden Männer als kurzhaarig bis nahezu glatzköpfig in Erinnerung.

Rassistische Wortwahl in LKA-Berichten

Die fragwürdige Geschichte mit dem Phantombild war nicht die einzige in der Aussage des früheren Kriminalbeamten, die problematisch erscheint. Schon die späte Übergabe der Ermittlungen an das Landeskriminalamt war offenbar ein Fehler. Die Heilbronner Polizei hatte nach dem Mord eine „Soko Parkplatz“ gebildet und trotz begrenzter Kräfte erst 2009 das LKA eingeschaltet. Bei einer Polizeidienststelle der Größe Heilbronns sei ein Hilferuf nach zwei Jahren „schon sehr spät“, sagte der Zeuge.

Er erwähnte auch die berüchtigte Panne mit den verunreinigten Wattestäbchen. An dem Streifenwagen, in dem Michèle Kiesewetter und Martin A. gesessen hatten, wurde die DNA einer Frau entdeckt. Dieselbe Spur gab es auch bei zahlreichen weiteren Straftaten in Deutschland, Österreich und Frankreich. Erst im März 2009 fand die Polizei heraus, dass die Wattestäbchen, die bei diesen Delikten zur Sicherung von DNA-Spuren verwandt wurden, eine weibliche Mitarbeiterin der Herstellerfirma  verunreinigt hatte. „Über 3100 DNA-Spuren hatten sich erübrigt“, sagte der pensionierte Polizist.

Ein Nebenklage-Anwalt hielt ihm zudem Passagen aus den Berichten des LKA zum Fall Kiesewetter vor, die rassistisch klingen. Da ist von einem „Neger“ die Rede, außerdem werden Roma als „Zigeuner“ bezeichnet. Über einen Roma-Mann heißt es, die Lüge sei „ein wesentlicher Bestandteil seiner Sozialisation“. Der Zeuge gab zu, diesen Satz eines Psychologen „eins zu eins“ in einen Bericht übernommen zu haben. In dem Bericht ging es um die Befragung des Roma-Mannes zum Mord an Kiesewetter. Der frühere Kriminalbeamte war eigens nach Belgrad gereist, um den Mann dort zu vernehmen. Dabei wurde ein Lügendetektor eingesetzt. Der anwesende Psychologe soll hinterher den diskriminierenden Spruch von sich gegeben haben. Der Roma-Mann hatte allerdings nichts mit dem Mord in Heilbronn zu tun. Ob er log oder nicht, die Ermittlungen gingen in die Irre.

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