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100 Tage NSU-Prozess: NSU-Opfer fühlen sich ausgegrenzt - Anwalt erhielt Morddrohung

100 Tage NSU-Prozess: Opfer der Neonazi-Terroristen sind enttäuscht und fühlen sich ausgegrenzt. Der Anwalt eines Angeklagten wurde derweil bedroht.

Von Frank Jansen

Im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München wächst bei Beteiligten mit türkischen Wurzeln die Enttäuschung. „Es ist nicht besser geworden, seit der Prozess begonnen hat“, sagte Gamze Kubasik, die Tochter des 2006 in Dortmund von den Neonazi-Terroristen erschossenen Mehmet Kubasik dem Tagesspiegel. Das Schlimmste für sie sei, „dass es immer mehr Fragen, aber immer weniger Antworten gibt“. Die Nebenklage-Anwältin Seda Basay-Yildiz beklagte sogar, „dieses Verfahren hat mir vergegenwärtigt, dass ich niemals zu dieser Gesellschaft gehören werde“. Basay- Yildiz vertritt Angehörige des im Jahr 2000 in Nürnberg erschossenen Enver Simsek.

Gamze Kubasik und Basay-Yildiz antworteten auf Fragen, die der Tagesspiegel aus Anlass des 100. Verhandlungstages am 1. April an alle Prozessbeteiligten gerichtet hatte. An den Interviews, die Sie in unserer gedruckten Sonntagausgabe und in unserem E-Paper lesen können, beteiligten sich weitere 17 Nebenklage-Anwälte, Verteidiger der Angeklagten Beate Zschäpe und Carsten S. sowie die Bundesanwaltschaft.

Sie sei abgekämpft und verbittert, sagte Basay-Yildiz. Es sei ihr bewusst geworden, dass es Menschen gebe, „die mir mein Existenzrecht und das meiner Mandanten in Deutschland absprechen“. Basay-Yildiz und Kubasik kritisierten zudem die Bundesanwaltschaft. Sie gebe „aus fadenscheinigen Gründen“ Akten nicht heraus, sagte die Anwältin. Ihr Vertrauen in den Rechtsstaat sei „zerrüttet“.

Kubasik warf der Behörde vor, sie habe kein Interesse, „uns bei der Suche nach der Wahrheit zu unterstützen“. Auch weitere Nebenklage-Anwälte attackierten das vierköpfige Team der Anklage. Thematisiere man von der Polizei „übersehene“ Ermittlungsansätze, stoße man insbesondere bei der Bundesanwaltschaft „oft auf großes Unverständnis“, sagte der Anwalt Yavuz Narin. Er vertritt Angehörige des 2005 in München von den NSU-Mördern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erschossenen Griechen Theodoros Boulgarides.

Aus Sicht von Bundesanwalt Herbert Diemer ist hingegen „die gerichtliche Klärung der Tatvorwürfe“ gegen Zschäpe und die vier weiteren Angeklagten „auf einem guten Weg“. Dass der Prozess vorankomme, sei „zu allererst ein Verdienst“ des Vorsitzenden Richters des 6. Strafsenats, Manfred Götzl.

Trotz der Kritik an der Bundesanwaltschaft gehen viele Nebenklage-Anwälte davon aus, dass Zschäpe und die Mitangeklagten verurteilt werden. Dagegen meinte Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer, „meine Überzeugung, dass sich in der Hauptverhandlung keine validen Beweise für das Bestehen einer terroristischen Vereinigung und eine Beteiligung meiner Mandantin an den Tötungsdelikten ergeben werden, wurde bestätigt“.

Einer der Verteidiger des Angeklagten Carsten S. im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München hat Morddrohungen erhalten. Auf dem Anrufbeantworter in seiner Kanzlei habe ein Mann die Nachricht hinterlassen, „na warte du Schwein, wir kriegen dich“, sagte der Düsseldorfer Rechtsanwalt Johannes Pausch dem Tagesspiegel (Sonntagausgabe). Die Drohung sei vor Beginn des Prozesses im Mai 2013 eingegangen.

Eine weitere Person habe aus dem Ausland in einer E-Mail angekündigt, „er wolle die Anwaltskosten für denjenigen tragen, der mir eine Kugel in den Kopf schießt“, sagte Pausch. Die Polizei habe nicht ermitteln können, wer für die Drohungen verantwortlich war. Der von Pausch vertretene Carsten S. hatte schon vor dem Prozess gestanden, dem NSU die Pistole Ceska 83 geliefert zu haben. Mit der Waffe hatten die NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft erschossen.

In der gedruckten Sonntagausgabe des Tagesspiegels, in unserem E-Paper sowie auf unserer Themenseite lesen Sie viele weitere Interviews mit Prozessbeteiligten.

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