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Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD)

© IMAGO/Political-Moments

Nicht nur inhaltlich: Lauterbach rückt weiter von umstrittenem Triage-Gesetzentwurf ab

Der Gesundheitsminister musste zuletzt viel Kritik einstecken, weil er den Gesetzentwurf zweimal zurückzog. Ärzte beschweren sich über den Zickzackkurs.

In der hochemotional geführten Debatte um die gesetzliche Regelung der Triage hat sich nun auch der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel (SPD), zu Wort gemeldet. „Aufgrund der besonderen menschenrechtlich-ethischen Fragestellungen“ müsse nun „ein breit angelegter parlamentarischer Diskurs“ stattfinden, sagte eine Sprecherin des Beauftragten am Donnerstag auf Anfrage von Tagesspiegel Background.

Sobald das Bundesgesundheitsministerium (BMG) seinen am Montag überraschend zurückgezogenen Gesetzentwurf überarbeitet haben werde, sei „eine zeitnahe offizielle Verbändeanhörung“ durchzuführen. „Dem Beauftragten ist es zudem sehr wichtig, dass auch die Klägerinnen und Kläger sowie die Verbände, auf deren Argumentation sich der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts stützt, angehört werden“, betonte die Sprecherin.

Das Bundesverfassungsgericht hatte Ende vergangenen Jahres den Gesetzgeber aufgefordert, eine Regelung für die Zuteilung medizinischer Ressourcen im Falle einer pandemiebedingten Knappheit zu schaffen, die Menschen mit Behinderungen nicht benachteiligt. Daraufhin hatte der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im März einen ersten, viel kritisierten Gesetzentwurf als „Formulierungshilfe“ für die Ampelfraktionen vorgelegt. Diesen Entwurf aktualisierte er sodann – und verschickte ihn vorigen Freitag an sämtliche Bundesministerien und auch den Behindertenbeauftragten zur Ressortabstimmung.

Ergänzt war dieser zweite Entwurf nun aber – angeblich auf Druck des FDP-Bundesjustizministers Marco Buschmann und wider Lauterbachs eigene Überzeugung – ausgerechnet um einen medizinethisch wie juristisch umstrittenen Passus: Unter bestimmten Umständen erlaubt werden sollte neben der so genannten „Ex-Ante-Triage“ (bei der Ärzte entscheiden, welchen Patienten sie beatmen, wenn mehrere gleichzeitig in die Klinik kommen, aber nicht genügend Geräte für alle zur Verfügung stehen) auch die „Ex-Post-Triage“.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP)
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP)

© Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpapa

Dabei soll es Ärzten möglich sein, im Falle knapper medizinischer Ressourcen eine bereits begonnene Behandlung abzubrechen, um einen anderen Patienten mit höherer Überlebenswahrscheinlichkeit zu retten. Ein Tabubruch.

Dem Aufschrei von Grünen, Behindertenverbänden, aber auch aus der Ärzteschaft folgte am Montag die Kehrtwende: Lauterbach zog seinen eigenen Gesetzentwurf nach nur vier Tagen wieder zurück – und verkündete nun das Gegenteil: Mit ihm werde es keine Erlaubnis für die Ex-Post-Triage geben.

Wie es nun mit dem Gesetzentwurf weitergeht, ist unklar

Aus Kreisen der Fraktionen von Grünen und SPD hieß es, es sei richtig, die Ex-Post-Triage nicht im Gesetz zu regeln. Viele Ärzte, insbesondere Intensivmediziner, pochen dagegen auf klare gesetzliche Vorgaben – zum Schutz vor strafrechtlichen Konsequenzen.

Dieser Wunsch der Ärzte sei absolut nachvollziehbar, sagte die FDP-Bundestagsabgeordnete Katrin Helling-Plahr am Donnerstag im Gespräch mit Tagesspiegel Background: „Oberstes Gebot muss es sein, Triageentscheidungen zu vermeiden. Wenn Mediziner solch schwerwiegende Entscheidungen dennoch treffen müssen, muss Politik sie hierbei bestmöglich unterstützen.“ Erfolgen müsse diese Unterstützung „mit klaren Verfahrensvorgaben und ohne Regelungen, die auch die Ärzte, die diskriminierungsfrei nach bestem Wissen und Gewissen notwendige Entscheidungen treffen, der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetzen.“

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Unterdessen teilte das BMG am Donnerstagnachmittag auf Nachfrage mit, dass es nicht nur vorhabe, den bisherigen Inhalt des Gesetzentwurfs zu verändern, sondern auch den Weg, auf dem er ins Parlament eingebracht werden soll – die bislang geplante Formulierungshilfe für die Fraktionen jedenfalls ist vom Tisch: „Die Bundesregierung wird zu dem Thema einen eigenen Regierungsentwurf vorlegen“, sagte ein BMG-Sprecher zu Tagesspiegel Background. Sein Inhalt werde „zur Zeit regierungsintern abgestimmt“.

Lauterbachs Überlegung dahinter könnte sein, dass er hofft, auf diese Weise die Geschlossenheit der Regierung demonstrieren und den Justizminister zugleich in seine Schranken weisen zu können. Zugleich dürfte dieser Schritt jedoch das Gesetzgebungsverfahren in die Länge ziehen, denn ein regierungseigener Gesetzentwurf muss vor der Abstimmung – anders als ein Gesetz, das von den Fraktionen direkt ins Parlament eingebracht wird - auch dem Bundesrat zugeleitet werden.

Damit zeichnet sich ab, dass vor der parlamentarischen Sommerpause bestenfalls noch damit zu rechnen ist, dass der Entwurf in erster Lesung in den Bundestag eingebracht werden könnte. Mit einem Beschluss aber wäre frühestens im Herbst, ein Dreivierteljahr nach der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung, zu rechnen.

Ärzte besorgt über „Zickzackkurs“ Lauterbachs

Eine Assistenzärztin auf der Intensivstation
Eine Assistenzärztin auf der Intensivstation

© picture alliance/dpa

Unterdessen stellt sich Ärzten, die ihr Handeln an den gesetzlichen Vorgaben ausrichten müssen, nach der neuerlichen Volte Lauterbachs auch die bange Frage, wie beliebig die Positionen im Bundesgesundheitsministerium eigentlich sind. Uwe Janssens, Past Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), dem Zusammenschluss aller intensivmedizinischen Fachgesellschaften, zeigte sich im Gespräch mit Tagesspiegel Background besorgt über den „Zickzackkurs“ des Ministers und darüber, dass es am Ende womöglich gar kein Gesetz geben könnte – und damit auch keine Rechtssicherheit.

„Das stellt für uns jetzt ein Riesenproblem dar“, sagte Janssens, der als Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Kardiologie im St.-Antonius-Hospital Eschweiler arbeitet. „Jetzt wurden wir echt zurückgeworfen.“

Zugleich erteilte er Forderungen von Behindertenverbänden, Triage-Entscheidungen nicht nach der Erfolgsaussicht, sondern über das Losverfahren zu treffen, eine kategorische Absage: „Auf der Intensivstation können wir Patienten nur nach Erfolgsaussicht bewerten, vor allem dann, wenn die medizinischen Ressourcen knapp sind“, erklärte er. „Sollte ein Losverfahren eingeführt werden, dann gehen wir Ärzte auf die Barrikaden. Dann sollen die Juristen, die ein solches Gesetz auf den Weg gebracht haben, die Intensivstation führen. Wir stehen dafür nicht zur Verfügung“, drohte er.

Denn in der Praxis bedeute ein Losverfahren nichts Anderes, als dass „beispielsweise zeitgleich ein 25 Jahre alter Mann und ein 85 Jahre alter Mann auf die Intensivstation kommen, die Lungenwerte sind bei beiden gleich miserabel, und nun konkurrieren die beiden um das einzige noch freie Beatmungsgerät“. Wenn nun das Los entscheide, dass der 85-Jährige es bekomme, dann sei dies keineswegs eine tolerierbare Zufallsentscheidung.

Dazu müsse man wissen, sagte Janssens, dass die Fähigkeit einer Lunge, sich mit schweren Entzündungen auseinanderzusetzen, im Alter deutlich schlechter sei als in jüngeren Lebensjahren. Dies sei Ausdruck der Alterungsprozesse, die auch alle anderen Organsysteme und auch die körpereigene Abwehr beträfen. Auch eine Beatmungstherapie werde von einer schon alten Lunge nicht mehr gut toleriert.

„Es hat nichts mit einer Altersdiskriminierung zu tun, wenn ich vor dem Hintergrund der detaillierten Kenntnisse um diese pathophysiologischen Prozesse eine Losentscheidung mit einem solchen Ausgang nicht akzeptieren würde“, stellte der Arzt klar. „Denn es hieße, dass der 85-Jährige nach drei Tagen am Beatmungsgerät stirbt und der 25-Jährige sofort. Derjenige, der gar nicht mehr profitiert, bekommt das Gerät – und der andere nicht? Und am Ende sind beide tot? Das wäre noch unerträglicher“, schimpfte er. „Dann braucht man mich als Arzt nicht mehr. Dann kann man gleich sämtliche Therapien verlosen.“

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Zwar hätten die Behinderten, die sich vor dem Bundesverfassungsgericht beschwert hatten, „zu Recht darauf hingewiesen, dass sie im Gesundheitssystem per se benachteiligt werden“, räumte Janssens ein. Über viele Jahre sei „tatsächlich nichts“ für sie getan worden, etwa, was die Schaffung eines barrierefreien Gesundheitssystems betreffe.

Dies habe aber nichts mit der Pandemie oder den Intensivstationen zu tun: „Es gibt zahlreiche Orte und Situationen im Gesundheitssystem, in denen Behinderte fraglos diskriminiert werden, aber nicht in der Intensivmedizin“, sagte Janssens. „In meiner Abteilung, der Inneren Medizin, sind 70 bis 80 Prozent aller Patienten quasi ‚behindert‘“, betonte er.

Eine chronische Niereninsuffizienz sei eine Behinderung, ebenso eine chronische Herzschwäche, eine schwere koronare Herzerkrankung oder ein akuter Schlaganfall. Man könne es also gar nicht so strikt trennen, wer mit einer Behinderung lebe und wer nicht.
„Und deswegen“, sagte Janssens, „beurteilen wir Ärzte, wie die Prognose eines Patienten ist, anhand unzähliger patientenindividueller Faktoren unabhängig von seiner Behinderung, seinem Alter und seinem Geschlecht oder anderen singulären Merkmalen“. Nehme man Ärzten diese Möglichkeit, dann sei es „eine Katastrophe“, so Janssens: „Ich gehe ja auch nicht hin und sage dem Brückenbauer, du darfst jetzt nicht mehr beurteilen, ob die Brücke einsturzgefährdet ist, weil ich glaube, dass deine Einschätzung an dieser Stelle ungenau ist.“

Ärztinnen und Ärzte brauchten „das Vertrauen der Gesellschaft und auch der Politik, dass wir auch zukünftig nach bestem Gewissen auch schwierige Entscheidungen treffen können“. Seine Erwartung sei, dass das Bundesgesundheitsministerium dieses Vertrauen stärke – und nicht durch schwer nachvollziehbare politische Manöver beschädige.

Heike Haarhoff

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