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Der Begriff für Falschnachrichten wurde in Nachschlagewerke zur deutschen Rechtschreibung aufgenommen.

© picture alliance /Jens Kalaene

Nicht nur Baerbock betroffen: Falschinformationen könnten eine Gefahr für die Bundestagswahl werden

Im Netz kursieren zahlreiche Falschnachrichten. Was passiert, wenn viele sie nicht mehr von der Wahrheit trennen können?

Olaf Lies ordne die „Auslöschung einer kompletten Wolfsfamilie“ an und „die Welpen sollen verhungern“ steht unter einem Foto des niedersächsischen SPD-Umweltministers geschrieben. Die Botschaft, die zuerst in der Facebook-Gruppe „Wolfsgruppe Ammersee“ gepostet und anschließend über 400 Mal geteilt wurde, ist nur ein Beispiel von vielen Unwahrheiten, die täglich im Netz gepostet werden. Zuletzt wurden vermeintliche Nacktbilder der Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock in Umlauf gebracht, später kursierten Falschinformationen über ihre akademische Laufbahn.

„Tatsächlich betrafen und betreffen die Falschinformationen auf sozialen Netzwerken vorwiegend linke Politikerinnen“, sagt der Datenspezialist Josef Holnburger, der am Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) die Verbreitung von Falschinformationen und Verschwörungstheorien beobachtet. Er und verschiedene andere Expert:innen sind der Ansicht, dass Deutschland in diesem Wahljahr stark gefährdet sei, was gezielte Desinformation angeht.

[Mehr zum Thema: Nacktbilder, Beleidigungen und Fakes: Der Hass im Netz gegen Baerbock eskaliert (T+)]

Desinformation wird statt dem negativ aufgeladenen Begriff „Fake News“ verwendet und bezeichnet die „absichtliche Verbreitung unwahrer Informationen mit dem Ziel, gesellschaftliche Spaltungen zu verstärken, politischen Zynismus zu schüren oder politische Akteure anzugreifen“. Gezielte Desinformation kann dafür sorgen, dass Menschen nicht mehr zwischen wahren und falschen Informationen unterscheiden können und unter dieser Beeinflussung Wahlentscheidungen treffen.

Desinformation wird in Deutschland vor allem von Rechten, Rechtspopulisten und Rechtsextremen verbreitet, sagt Alexander Sängerlaub. In einer Studie der Stiftung Neue Verantwortung über die Ursachen, Verbreitungswege und Wirkungen von Fake News im Bundestagswahlkampf 2017 kamen er, Miriam Meier und Wolf-Dieter Rühl zu dem Ergebnis, dass die AfD in Deutschland die „Speerspitze der Verbreitung“ von Desinformation ist. In sieben von zehn dokumentierten Fällen ist sie beim Bundestagswahlkampf 2017 unter den Top-10 der reichweitenstärksten Verbreiter gewesen.

Die Parteien rüsten sich

Die anderen Parteien rüsten sich dagegen, Anhänger sollen im Netz falsche Fakten aufspüren und widerlegen. Die SPD versorgt Mitglieder regelmäßig über Messenger mit Informationen, die ihnen helfen, argumentativ gegenzuhalten und Falschinformationen richtig zu stellen. „Dies passiert zum Beispiel über Telegram mit dem SPD-Faktenfunk oder mit sehr gezieltem redaktionellem Community Management“, sagt eine Sprecherin.

Der Begriff, der in diesem Wahljahr vermutlich am relevantesten sein wird, ist „Dark Social“. Damit ist das Phänomen gemeint, dass Personen auf klassischen sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter ihre oft rechtsradikalen Thesen verbreiten, und ihre Follower dann auf andere, schwerer regulierbare Plattformen ziehen. So könnte jemand auf Facebook Verschwörungstheorien verbreiten und seine Follower dazu aufrufen, seinem Telegram-Kanal beizutreten.

Auch über Whatsapp wird in Gruppen oder per Weiterleitungsfunktion viel Desinformation verbreitet. In diesem wiederum kann die Person leichter radikalere und rechtswidrige Inhalte kommunizieren, da diese Kanäle andres als etwa Facebook bislang nicht durch deutsche Gesetze kontrolliert werden kann.

Von der Meinungsfreiheit gedeckt

Im Bereich der klassischen sozialen Medien hat sich im vergangenen Jahr vor allem durch die US-Wahlen und die Corona-Pandemie einiges getan. Beiträge und Accounts, die gegen die Facebook-Richtlinien verstoßen und beispielsweise gesundheitsgefährdend sind, versuchen die Mitarbeiter:innen innerhalb eines Tages zu löschen. Bei Falschnachrichten ist es deutlich komplizierter. Diese Beiträge können in der Regel nicht gelöscht werden, weil sie von der Meinungsfreiheit gedeckt sind.

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Aber Facebook hat unabhängige Faktenchecker von Correctiv, dpa und AFP engagiert, die Beiträge entsprechend klassifizieren. Sobald ein Beitrag von einem Faktenprüfer als falsch eingestuft wird, wird der Post mit einem entsprechenden Warnhinweis gekennzeichnet und seine Reichweite auf Facebook und Instagram eingeschränkt. „In etwa 95 Prozent der Fälle ist es so, dass Nutzer:innen Beiträge, die mit Warnhinweisen zu Falschinformationen versehen sind, auch nicht anklicken“, sagt Facebook-Sprecherin Anne Laumen.

Facebook am problematischsten

Simone Rafael, Rechtsextremismusexpertin und Leiterin des Digitalteams der Amadeu Antonio Stiftung, sagt, die problematischste Plattform bleibe Facebook, da das Netzwerk in Deutschland noch immer die höchste Reichweite habe.

Auch radikale Youtube-Accounts seien gefährlich. „Die Nutzer:innen sind es noch immer nicht gewohnt, dass auch in Videos gelogen wird“, sagt Rafael. Durch die Bilder entsteht ein höheres Vertrauen darin, dass die gezeigten Informationen wahr sind. Rafael vermutet, dass in diesem Jahr für junge Menschen auch zum ersten Mal Desinformation auf der bei jungen Leuten beliebten Videoplattform TikTok eine Rolle spielen könnte.

Rechtsextreme auf Telegram

Rechtsextreme Nutzer:innen würden ihre Follower von den großen sozialen Medien vor allem zum Messengerdienst Telegram locken. Telegram habe gegenüber anderen Messengerdiensten wie Whatsapp und Signal den entscheidenden Vorteil, dass es öffentliche Kanäle gäbe.

Das mache Telegram zu einer Art Social Media. Diese Kanäle können bis zu 200.000 Mitglieder haben, bei den anderen Messengerdiensten sei das auf deutlich weniger Personen begrenzt. Telegram hat bisher kaum rechtsextreme Inhalte reguliert.

Bei den meisten Kanälen wisse man gar nicht, welche Personen dahinter stünden. Generell seien Personen aus dem AfD-Lager aber viel stärker mobilisiert als die Anhänger:innen anderer Parteien. Sie würden sich in ihrer Freizeit engagieren und entsprechende (Des)Informationen veröffentlichen. Oft seien sie auch nicht nur auf einer Plattform unterwegs, sondern auf mehreren.

Was kann also getan werden, damit die Bundestagswahl nicht von Desinformation beeinflusst wird? „Verhindern kann man Dark Social nicht“, sagt Rafael. Die einzige Möglichkeit wäre, belastbare Informationen an die Menschen zu bringen, bevor sie von Desinformation erreicht werden. Das Gehirn merke sich halt oft die Information, die es zuerst erhalten habe.

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