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Der Staat erwartet künftig deutsche Verhältnisse für eine Einbürgerung.

© Wolfgang Kumm/dpa

Neues Staatsangehörigkeitsrecht: Die Wiederkehr nationalistischen Ungeists fällt aus

Die Koalition will, dass Einbürgerungswillige die hiesigen Lebensverhältnisse annehmen. Das klingt nach verordneter Integration. Doch so schlimm wird es nicht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Ausländer einzubürgern wird wieder etwas schwieriger. Sie sollen, so hat die Koalition beschlossen, künftig Gewähr dafür bieten, sich in die „deutschen Lebensverhältnisse“ einzuordnen. Das klingt nach Zeigefinger und Leitkultur. Es fügt sich in die strenge Linie einer nachträglich als verfehlt gedeuteten Flüchtlingspolitik und wirkt wie ein Stoppzeichen gegen tatsächlichen oder als solchen empfundenen abendländischen Kulturverlust.

Die neue Hürde für den deutschen Pass und ihre Errichter können deshalb mit einigem Zuspruch rechnen – aber sie müssen sich genau deshalb auch scharfe Kritik anhören. Denn deutsch leben zu müssen, um Deutscher werden zu dürfen, ist eine zweifelhafte Voraussetzung in einer einst von Nationalismus zugrunde gerichteten Nation.

Doch geht es womöglich ein paar Nummern kleiner? Ein Blick auf die Genese der Vorschrift verrät, dass man sich von dem neuen Kriterium weder Großes versprechen darf noch allzu Schlimmes zu befürchten hat. Das Steinchen, das jetzt die Welle macht, hatte das Bundesverwaltungsgericht vor gut einem Jahr ins Wasser geworfen, als es entschied, dass prinzipiell auch Deutscher werden kann, wer im Ausland wirksam mehrfach verheiratet ist. Mehrehe? Trotz Diversity und Homo-Heirat heulen bei diesem Stichwort alle Sirenen. Ein muslimischer Mann mit mehr als einer Frau darf hier zwar unbehelligt leben und Steuern zahlen. Aber bitte nicht Bundesbürger werden.

Die Richterinnen und Richter hatten es dem Gesetzgeber ausdrücklich freigestellt, das zu regeln. Die anschließende Innenministerkonferenz hat das als Auftrag aufgefasst. Es war zudem nicht neu, eine „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“ zu verlangen. Für Ehegatten-Einbürgerung gilt das Kriterium schon länger.

Auf viel mehr als diese Polygamiefälle wird sich das Gesetz kaum anwenden lassen. Einbürgerungsrecht ist keine Sittenauslese. Im Vordergrund stehen Lebensunterhalt, Sprachkenntnisse, Rechtstreue; und dies alles auf Dauer. Kulturelle und religiöse Differenz dürfen, je nach Ausprägung und eigener Perspektive, weiter ertragen werden oder eben die Vielfalt bereichern.

Die Wiederkehr nationalistischen Ungeists fällt aus

Die Formel mit den deutschen Verhältnissen erschöpft sich damit in einem Symbol gegen hierzulande auf breiter Front abgelehnte Ehemodelle aus weniger entwickelten afrikanischen, arabischen oder asiatischen Staaten, dessen Symbolhaftigkeit sich gerade darin zeigt, dass es die Einbürgerungsfälle kaum gibt, die jetzt verhindert werden sollen. Im zuständigen Bundesinnenministerium jedenfalls wird das Problem als so gering erachtet, dass man nicht mal Zahlen dazu sammelt.

Das Vorhaben lohnt deshalb die Aufregung nicht und schon gar nicht handelt es sich um die reaktionäre Wiederkehr nationalistischen Ungeists in das Recht der deutschen Staatsangehörigkeit. Vielmehr ist es eine Art Ergänzung, ähnlich dem ebenfalls neuen Passus im Gesetz, der bei einem Einsatz für fremde Terrormilizen einen Entzug derselben vorsieht; bisher galt dies nur für den Eintritt in ausländische Streitkräfte.

Es wäre weitsichtig, den Vorgang nicht mit einer politischen Bedeutung aufzuladen, die ihm nicht zukommt. Das steigert nur die Reizbarkeit. Schön wäre stattdessen gewesen, wenn die Koalition ihre Deutschstunde mit der Botschaft flankiert hätte, dass Ausländer in der Bundesrepublik prinzipiell willkommen sind. Aber dafür ist wohl gerade nicht die Zeit.

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