zum Hauptinhalt
Dürre in Somalia: Ein Kind passiert den Leichnam einer verendeten Ziege.

© IMAGO/ZUMA Wire/Sally Hayden

Neuer Vorschlag zur Einwanderung: Sachverständigenrat will Aufenthaltsrecht für Klima-Flüchtlinge

Der Sachverständigenrat für Integration und Migration schlägt vor, drei neue Aufenthaltstitel einzuführen: für Menschen, die vom Klimawandel betroffen sind. Was dahintersteckt.

| Update:

Neue Aufenthaltstitel für die Einreise nach Deutschland schlägt der Sachverständigenrat für Integration und Migration vor, und zwar für Menschen, die vom Klimawandel betroffen sind. Das Gremium regt die Einführung von Klima-Pass, Klima-Card und Klima-Arbeitsvisum an. Zunächst in Deutschland, aber auch als Vorbild für Europa und die Welt.

Denn der fortschreitende Klimawandel, da ist sich der Sachverständigenrat sicher, wird zwangsläufig zu mehr Migration führen. „Nicht morgen oder übermorgen, aber irgendwann. Deutschland sollte vorplanen, um dann nicht situativ reagieren zu müssen, wenn die ersten Gebiete auf der Welt unbewohnbar werden“, sagte die stellvertretende Vorsitzende Birgit Leyendecker bei der Vorstellung des Jahresgutachtens am Dienstag in Berlin.

Bei der Ausarbeitung von Klima-Pass, Klima-Card und Klima-Arbeitsvisum habe sich das Gremium an migrationspolitischen Instrumenten orientiert, die bereits genutzt werden. Der Klima-Pass lehne sich an die Flüchtlings- und Migrationspolitik an, die Klima-Card an humanitäre Visa, wie es sie etwa in Argentinien bereits gibt. Vorbild des Klima-Arbeitsvisums sei die Westbalkan-Regelung, die seit 2015 für Menschen aus dieser Region die Erwerbsmigration nach Deutschland im Rahmen eines Kontingents ermöglicht.

„Unsere Vorschläge sind ein Mosaik aus regionalen, nationalen und globalen Ansätzen“, sagte Hans Vorländer, Vorsitzender des Sachverständigenrats. „Der Vorteil ist, dass Regierungen damit kein neues Instrument verhandeln müssen, sondern sich an bestehenden Strukturen orientieren können.“

Das sind die drei Vorschläge

1 Klima-Pass

Der Klima-Pass würde sich an Staatsangehörige von Ländern richten, die durch den Klimawandel ihr gesamtes Staatsgebiet verlieren. Das wären beispielsweise untergehende Pazifik-Inseln. Die Betroffenen sollten ein „humanitäres Daueraufenthaltsrecht in Deutschland“ bekommen, fordert das Gremium. Eine zahlenmäßige Obergrenze gäbe es diesem Konzept zufolge nicht. Deutschland würde so dem Papier zufolge „als Industrieland Mitverantwortung für den Klimawandel übernehmen“.

2 Klima-Card

Die Klima-Card würde sich an Menschen richten, deren Herkunftsländer „vom Klimawandel erheblich betroffen, aber nicht in ihrer Existenz bedroht“ sind. Das wären also potenziell sehr viel mehr Menschen als beim Klima-Pass. Daher schlägt der Sachverständigenrat ein spezifisches Kontingent pro Herkunftsstaat für ein humanitäres Aufnahmeprogramm vor. Die Klima-Card soll sich an Menschen richten, die ihre Heimat vorübergehend verlassen müssen, dorthin aber später zurückkehren. Damit das möglich wird, sollen jeweils Anpassungsmaßnahmen im Herkunftsland gefördert werden. Denkbar wäre dem Konzept zufolge aber auch, dass der Aufenthalt in Deutschland „verstetigt wird“.

3 Klima-Arbeitsvisum

Das Klima-Arbeitsvisum hätte den größten Kreis potenzieller Adressat:innen. Hier würde es sich, anders als bei den anderen beiden Aufenthaltstiteln, nicht um humanitäre Migration handeln. Das Klima-Arbeitsvisum würde sich an Menschen richten, deren Heimat in deutlich geringerem Ausmaß vom Klimawandel betroffen ist als bei Klima-Pass und Klima-Card. Der Sachverständigenrat spricht von einem „Instrument der Erwerbsmigration“, um „neue Einkommensquellen und Perspektiven zu eröffnen“, wenn „schleichende Umweltveränderungen die Lebensbedingungen im Land erheblich verschlechtern“.

Es gäbe auch hier ein Kontingent, der Aufenthaltstitel wäre zudem an das Vorliegen eines Arbeitsvertrags gekoppelt. Bestimmte Qualifikationen oder Sprachkenntnisse wären dem Papier zufolge aber nicht notwendig. Vorbild des Klima-Arbeitsvisums wäre die Westbalkan-Regelung, die seit 2015 für Menschen aus dieser Region die Erwerbsmigration nach Deutschland im Rahmen eines Kontingents ermöglicht.

Das steht außerdem im Gutachten

Auf gut 150 Seiten setzt sich der Sachverständigenrat in seinem aktuellen Jahresgutachten mit dem Thema „Klimawandel und Migration“ auseinander. Der Klimawandel verstärke bestehende Treiber von Migration, heißt es in dem Papier. Die Wanderung spiele sich meist innerhalb von Staaten oder zwischen benachbarten Staaten ab, nur selten hingegen über Kontinente hinweg.

Die Expertinnen und Experten widmen sich auch der Frage, mit welchem Ausmaß der Migration zu rechnen ist. Sie zitieren eine Studie, derzufolge 40 Millionen bis mehr als 200 Millionen Menschen aufgrund des Klimawandels gezwungen sein könnten, ihre Heimat zu verlassen. „Wenn kein wirksamer Klimaschutz geschaffen wird und zu wenig in nachhaltige Entwicklung und in Anpassung an nicht mehr abwendbare Folgelasten des Klimawandels investiert wird, müssen künftig deutlich mehr Menschen migrieren“, heißt es im Jahresgutachten.

Wie lang- oder kurzfristig diese Migration im Einzelnen sein wird, kann man laut den Expertinnen und Experten ohnehin nicht einschätzen. „Plötzliche Klimakatastrophen wie ein Hurrikan zum Beispiel lösen Migrationsbewegungen aus“, sagte Politikwissenschaftlerin Petra Bendel am Dienstag, „bei denen die Menschen aber eine baldige Rückkehr in die Heimat planen.“ In anderen Fällen könnte die Versalzung der Böden für Menschen, die von der Landwirtschaft leben, zu einer langfristigen Umsiedlung führen.

Dafür gibt es durchaus Akzeptanz in der Bevölkerung, ergänzte Marc Helbling. „Die wenigen Studien, die es zur Klimamigration gibt, legen nahe, dass Menschen sie gleichwertig zur Flucht vor politischer Verfolgung betrachten.“ Sie fände mehr Legitimation als Wirtschaftsmigration.

Grundsätzlich solle die Klimamigration, so der Sachverständigenrat, nicht nur als Problem verstanden werden, sondern als „proaktive Anpassungsstrategie“. Das Gremium empfiehlt, in Anpassungsstrategien zu investieren, damit auch der Verbleib im Herkunftsland oder zumindest in der Region möglich wird.

Der Sachverständigenrat für Integration und Migration wurde 2008 von verschiedenen namhaften Stiftungen gegründet, darunter die Stiftung Mercator, die Volkswagen-Stiftung und die Bertelsmann-Stiftung. Mittlerweile wird er vollständig institutionell vom Bund gefördert, die Erstellung des Jahresgutachtens wird zudem vom Bundesinnenministerium mitfinanziert.

Das sagen die Parteien zu den Vorschlägen

Unter Politikern und Politikerinnen stößt der Sachverständigenrat auf gemischte Resonanz. Lars Castellucci, migrationspolitischer Sprecher der SPD, begrüßt die Vorschläge. Seiner Partei sei das Problem der Klimamigration schon länger bekannt, man will darüber beraten. Priorität, sagt Castellucci, sollte allerdings die Bekämpfung der Fluchtursache haben: der Klimawandel.

Olaf in der Beek, klimapolitischer Sprecher der FDP, stimmt ihm hier zu. Deutschland sollte sich vor allem um Anpassungs- und Vermeidungsmaßnahmen kümmern. Die darüber hinausgehende Frage, wie mit klimabedingter Flucht und Migration umgegangen wird, sei dagegen „keine, die auf nationaler Ebene geklärt werden kann. Beim Umgang mit klimabedingter Flucht und Migration helfen keine Alleingänge.“ Es gebe mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz außerdem schon jetzt einen Zutritt zum deutschen Arbeitsmarkt für alle Herkunftsländer.

Die migrationspolitische Sprecherin der Linken Akbulut Gökay hat Zweifel, dass befristete Aufenthaltstitel wie Klima-Card und Klima-Arbeitsvisum dem Problem gerecht werden: „Wir brauchen Programme zur dauerhaften Ansiedlung von Menschen, die als Folge des Klimawandels ihre Herkunftsregionen verlassen müssen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false