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Patrick Puhlmann holte als SPD-Kandidat in Sachsen-Anhalt 69 Prozent - ohne die Unterstützung anderer Parteien wäre das wohl undenkbar gewesen.

© Patrick Puhlmann

Neuer Landrat in Stendal: Wie ein junger SPD-Mann in Sachsen-Anhalt plötzlich auf 69 Prozent kam

Die SPD steckt in einer existenziellen Krise – doch ausgerechnet in Sachsen-Anhalt gewinnt ein Genosse die Landratswahl mit 69 Prozent. Wie ist das möglich?

Der Wahlsieger muss am nächsten Tag erst einmal wieder arbeiten. In seinem bisherigen Beruf ist Patrick Puhlmann Teamleiter einer Behinderteneinrichtung. Doch von Alltag kann derzeit kaum noch die Rede sein: Am Sonntag wählten die Bürger im Landkreis Stendal den 36-jährigen Sozialdemokraten mit 69 Prozent zum neuen Landrat. Der Amtsinhaber von der CDU, Carsten Wulfänger, kam in der Stichwahl nur noch auf 31 Prozent.

"Wir hatten eine gute Wahlparty", erinnert sich Puhlmann am nächsten Tag, als er in einer Pause schließlich ans Telefon geht. "Ist ja schon länger her, dass die SPD was zu feiern hatte."

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Prominente Glückwünsche für den Gewinner

Das genaue Ergebnis muss laut MDR noch bis Mittwoch ausgezählt werden. Doch schon am Sonntagabend war der Abstand so groß, dass bundesweit Politiker gratulierten. Neben der gerade erst mit ihrer Kandidatur um den SPD-Vorsitz unterlegenen Klara Geywitz schickte im Laufe des Abends auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow seine Glückwünsche nach Sachsen-Anhalt.

Die ungewöhnlich große Aufmerksamkeit dürfte viel mit den ungewöhnlichen Umständen an diesem Wochenende zu tun haben. Dass die SPD überhaupt noch gewinnen kann, wird nach der Wahl Norbert Walter-Borjans und Saskia Eskens zu den neuen Parteichefs derzeit von vielen hinterfragt. Dass es am Tag darauf ausgerechnet in der dünn besiedelten Altmark gelang, mag auch viel mit der Situation vor Ort zu tun haben.

Vorläufiges Ende einer jahrelangen Affäre

Bis heute ermittelt die Staatsanwaltschaft Stendal wegen des Verdachts der Wahl- und Urkundenfälschung. 2014 gewann bei der Kommunalwahl im Kreis Stendal ein CDU-Hinterbänkler sein Mandat mit ungewöhnlich vielen Briefstimmen. Bereits kurz darauf wurde Wahlbetrug vermutet und später bewiesen, doch CDU-Landrat Wulfänger und viele Parteifreunde wollten davon nichts wissen.

Die ausufernde Affäre führte schließlich dazu, dass 2016 sogar Landtagspräsident Hardy Peter Güssau (ebenfalls CDU) zurücktreten musste. Aus der SPD empfahl man der Konkurrenz damals, künftig als "Camorra von der Uchte" anzutreten. Der überführte Betrüger wurde schließlich zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Noch immer wird die Affäre untersucht.

SPD lag zuletzt bei 10 Prozent

Die CDU hielt jedoch an ihrem Landrat fest – die jetzige Wahl wurde damit zum Plebiszit über die Aufklärung der Affäre. Schon bei der Kommunalwahl im Mai straften viele Bürger die Christdemokraten ab, doch die SPD konnte damals wenig profitieren. In der strukturschwachen Region verloren sie ebenfalls und kamen schließlich nur noch auf 10 Prozent der Stimmen. "Ich hätte nie erwartet, dass wir danach so hoch gewinnen wie jetzt", sagt Puhlmann.

Dass die Sozialdemokraten jetzt mit fast siebenmal so vielen Prozentpunkten aus der Landratswahl gehen, dürfte neben der Affäre vor allem mit kluger Bündnis-Politik zu tun haben. Erst Ende Juni entschied sich Puhlmann, für den Landratsposten zu kandidieren. Zuvor habe er sich mit Vertretern der drei Parteien und seiner Frau beraten, erzählt er. "Dass ich es mache, ergab sich dann eben."

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Puhlmann ist Kreisvorsitzender der SPD, doch die Partei hat es wie im ganzen Osten oft schwer, überhaupt wahrgenommen zu werden. Der Kreis Stendal gehört flächenmäßig zu den zehn größten in Deutschland. Von den seit der Wende übriggebliebenen knapp 112.000 Einwohner sind gerade einmal 160 in der SPD.

Gemeinsamer Vertrag vor der Wahl

Für den Erfolg des 1983 geborenen SPD-Politikers war die mangelnde Bekanntheit vielleicht sogar von Vorteil. Puhlmann sei ein junger Kandidat gewesen, "der mehr oder weniger ein unbeschriebenes Blatt war", formuliert es ein Grünen-Vertreter vor Ort. Dass die Grünen den SPD-Mann ebenso unterstützten wie die Linken, lag nicht zuletzt auch daran, dass er zu Kompromissen bereit war.

Auf zwei eng beschriebenen Seiten vereinbarten die Grünen mit Puhlmann insgesamt 24 Punkte für die gemeinsame Zusammenarbeit. Neben der "Akzeptanz für Windkraft" verpflichtete sich der Sozialdemokrat, auch für Umweltmaßnahmen "in der gesamten Verwaltung" und den "Erhalt von Baumbeständen" an Kreisstraßen zu sorgen. Außerdem versprach er, als Landrat seinen "vollständigen Handlungsspielraum" zu nutzen, um neue Tiermast-Anlagen in der Altmark zu verhindern.

In der Altmark funktioniert, was in Berlin Panik auslöst

"Wir haben uns abgesichert", heißt es heute von den Grünen. "Die Zusammenarbeit lief sehr gut", findet Wahlgewinner Puhlmann. Im Wahlkampf besuchte er den örtlichen Klimastreik und traf sich mit Pflegekräften und Schornsteinfegern zum Austausch. Zwischendrin drehte er noch kurze Wahlkampfvideos mit dem Bürgerbus und vor Solarzellen. Es war ein Wahlkampf für alle, nicht nur für die Sozialdemokraten.

"Wir haben hier einen Wahlkampf geführt, der die Leute zusammengebracht hat", sagt Patrick Puhlmann und verweist darauf, dass er im zweiten Wahlgang sogar noch zusätzliche Stimmen gewinnen konnte. "Wer nur gegen die anderen ist, überzeugt die Leute nicht."

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Der Volkspartei SPD wäre ein solcher Deal wie in Stendal vor wenigen Jahren vermutlich dennoch schwer zu vermitteln gewesen. Doch wer bei der Kreistagswahl nur noch zehn Prozent holt, darf nicht wählerisch sein. Auch die anderen Parteien im Kreis Stendal sind pragmatisch. Aktuell bilden die Grünen im Kreistag eine gemeinsame Fraktion mit der FDP. Die wiederum unterstützte in der Stichwahl schließlich ebenfalls den rot-rot-grünen Kandidaten.

Es sind politische Verhältnisse, die in Berlin derzeit wie Untergangsszenarien diskutiert werden. Im Nordosten Sachsen-Anhalts sorgten sie jedoch dafür, dass ein junger SPD-Mann mit 69 Prozent die Wahl gewann.

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