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Seit 2009 steht die Schuldenbremse im Grundgesetz.

© imago images/Steinach

Neue Herausforderungen, alte Regeln: Ist die Schuldenbremse noch zeitgemäß?

Die Ampel möchte Investitionen für die Zukunft tätigen. Die Schuldenbremse schränkt das ein. Ihr Mitbegründer Günther Oettinger verteidigt die Regel.

Von Christopher Schade

Die Schuldenbremse, einst als Antwort auf die Finanzkrise eingeführt, steht erneut im Zentrum der Aufmerksamkeit. Doch wie ist es dazu gekommen?

Ein Blick zurück in die Zeit der Föderalismuskommission II in den Jahren 2007 bis 2009, als die Schuldenregelung inmitten der globalen Finanzkrise geschaffen wurde, gibt Aufschluss über die Hintergründe und die Motivation hinter dieser wegweisenden Verfassungsänderung.

Die Schuldendebatte war zuletzt wieder aufgekocht. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) plädierte im Oktober für die Überprüfung der finanzpolitischen Spielregeln im Grundgesetz, räumte aber ein, dass das Bekenntnis zur Schuldenbremse im Koalitionsvertrag der Ampel für die gesamte Wahlperiode gelte.

Auch in der SPD gibt es Stimmen für eine Reform, kürzlich forderte Parteichefin Saskia Esken eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse. Nun steht aufgrund der bevorstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds auch die Möglichkeit auf der Kippe, die Schuldenbremse in Form von Sondervermögen für Zukunftsinvestitionen zu umgehen.

Struck Oettinger
Die Vorsitzenden der Föderalismuskommission II: der damalige SPD-Fraktionschef Peter Struck und Günther Oettinger (CDU), von 2005 bis 2010 Ministerpräsident von Baden-Württemberg (Archivbild von 2009).

© dpa/Wolfgang Kumm

Günther Oettinger verteidigt die aktuelle Regelung der Schuldenbremse. Er war als Vorsitzender der Föderalismuskommission II maßgeblich an deren Erarbeitung beteiligt. „Ich stehe voll und ganz zu der damaligen Reform. Ich kenne keinen Vorschlag, der eine Verbesserung zur aktuellen Regelung bedeuten würde“, sagte er dem Tagesspiegel. Andere Mitglieder der Kommission zeigen sich hingegen offener für eine Reform.

Eine Reform unter dem Druck der Finanzkrise

Die Regelung wurde 2009 in das Grundgesetz geschrieben. Der finale Entwurf basierte auf der Empfehlung der Kommission, welche 2007 zum ersten Mal tagte und die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu ordnen sollte. Da kurze Zeit später mit dem Bankrott der US-Bank Lehman Brothers die globale Finanzkrise ausbrach, wurde die Einführung einer neuen Schuldenregel zum bestimmenden Thema der Kommission.

Es gab einen breiten Konsens, dass eine Schuldenbremse nötig ist.

Günther Oettinger, Mitbegründer der Schuldenbremse

„Es gab damals Unbehagen im Haushaltsausschuss des Bundestags aufgrund der teuren Konjunkturprogramme zur Bekämpfung der Krise. Die regierende Große Koalition einigte sich darauf, dass im Gegenzug zum Konjunkturprogramm eine neue Schuldenregel beschlossen werden müsse, um ein weiteres Ansteigen der Staatsverschuldung zu verhindern“, berichtet Jochen-Konrad Fromme, der für die CDU/CSU-Fraktion Mitglied in der Kommission war.

Wachsende Schuldenberge

Zuvor galt seit 1969 die sogenannte „Goldene Regel“, nach der neue Kredite in Höhe der im Etat jährlich geplanten Investitionen aufgenommen werden durften. Diese Regel schien nicht mehr zeitgemäß. Der Investitionsbegriff war vage formuliert und es gab laxe Ausnahmeregelungen. Deshalb stieg die Staatsverschuldung von Bund und Ländern seit Bestehen der Bundesrepublik kontinuierlich an. Getilgt wurden die Schulden nie. 

Stattdessen wurden die auslaufenden Schuldenpapiere immer wieder durch neue Schulden ersetzt, für die wiederum neue Zinszahlungen fällig wurden. „Wir mussten in Schleswig-Holstein damals nahezu eine Milliarde Euro pro Jahr für Zinszahlungen aufbringen, und das bei einem Haushalt von insgesamt nur 14 Milliarden Euro. Außerdem waren die Steuereinnahmen nur etwa halb so groß wie unsere Ausgaben“, erinnert sich Peter Harry Carstensen, damals Ministerpräsident im hohen Norden.

„Es gab einen breiten Konsens, dass eine Schuldenbremse nötig ist. Anfangs waren wenige SPD-Kollegen und Bundesländer kritisch, aber das war es auch schon“, beschreibt Günther Oettinger, damals Ministerpräsident von Baden-Württemberg, die Ausgangslage in der Kommission. Uneinigkeit herrschte darüber, wie viel strukturelle Neuverschuldung in Normalzeiten erlaubt sein sollte. 

Ein politischer Kompromiss

Das vom Sozialdemokraten Peer Steinbrück geführte Finanzministerium schlug eine Obergrenze von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bund und Länder zusammen vor. Die Union wollte Schulden nur in Krisenzeiten und Ausnahmesituationen erlauben. Am Ende einigte man sich auf eine Grenze von 0,35 Prozent für den Bund. Hinzu kamen die Möglichkeit der Höherverschuldung in wirtschaftlich schwächeren Phasen und Ausnahmeregeln für Notsituationen. „Eine Kompromisslösung“, so Oettinger.

Petra Merkel war für die SPD Mitglied in der Kommission. Sie zeigt sich offen für eine neue Diskussion über die Schuldenbremse. „Die aktuelle Regelung ist fast 15 Jahre alt. Es gibt inzwischen neue Herausforderungen, die man damals noch nicht absehen konnte. Dass nun Ausgaben über Schattenhaushalte wie das Bundeswehr-Sondervermögen finanziert werden, ist nicht gerade das Gelbe vom Ei. Insofern muss man immer wieder neu diskutieren, wie Bund und Länder als Staat aufgestellt werden“, sagt sie. 

Günther Oettinger dagegen verteidigt die Schuldenbremse: „2021 hat der Bund 3,7 Milliarden Euro an Zinsen bezahlt, inzwischen sind es fast 40 Milliarden. Eine Aufweichung der Schuldenbremse zum jetzigen Zeitpunkt wäre ein Irrsinn. Investitionen müssen zuallererst aus der Privatwirtschaft kommen. Und die kommen dann, wenn Genehmigungsverfahren beschleunigt und Bürokratie abgebaut werden. Hier sollte die Priorität gesetzt werden.“

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