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Nachruf auf Ugo Brilli: Einer von Hitlers italienischen Sklaven

Er war der letzte bekannte Insasse des Lagers in Berlin-Schöneweide. Ugo Brilli wurde geschunden, weil er Hitlers und Mussolinis Krieg nicht mehr mitmachte.

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Der letzte Zeuge ist tot. Im Alter von 99 Jahren ist Ugo Brilli gestorben, der einzige noch lebende einstige italienische Kriegsgefangene, der im früheren Lager in Berlin-Schöneweide Zwangsarbeit leisten musste. Wie das "Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit" bekannt gab, das sich auf dem Gelände der Forschung und dem Gedenken an die NS-Zwangsarbeitenden widmet, starb Brilli am 17. Juni in Campi Bisenzio bei Florenz.

Der gebürtige Toskaner Brilli war Bauer und Holzfäller. Als 22-Jähriger wurde er im Mai 1943 zum Kriegsdienst in der italienischen Armee eingezogen und diente als Funker an der slowenischen Grenze. Wenige Monate später, am 8. September 1943, erklärte sein Land den Austritt aus dem Krieg, nachdem die Granden der Faschistischen Partei Mussolini abgesetzt hatten. Wie 650.000 seiner Kameraden geriet Brilli in deutsche Gefangenschaft. Er wurde nach Berlin gebracht und musste dort zuerst Trümmer bei Siemens räumen. Später arbeitete er in einer Tischlerei, schließlich gelang es ihm, einen Platz als Küchenhelfer zu bekommen - womöglich der Grund, warum er überlebte: Er kam dort an etwas mehr Essen und die Arbeit war weniger hart.

Für sie gab es keine Entschädigung

Todkrank war er dennoch, als die Rote Armee im Mai, zwei Jahre nach seiner Einberufung, Berlin befreite, ihn freilich zunächst noch in der Demontage in einem anderen Lager einsetzte. Brilli, der zuvor 71 Kilo wog, war auf 48 Kilo abgemagert und litt an Typhus. Er konnte im September 1945 in seine toskanische Heimat zurückkehren, nahm seine Tätigkeit als Holzfäller wieder auf, heiratete und hatte mit seiner Frau zwei Kinder.

Ugo Brilli war einer der so genannten "Italienischen Militärinternierten" (Imi) und damit Teil einer dramatischen und für Deutschland beschämenden Geschichte, die keineswegs mit 1945 endete. Hitler hatte den gefangenen italienischen Soldaten den regulären Status als Kriegsgefangene verweigert und ihnen diesen Namen verpasst, um sie besser ausbeuten zu können. Man hatte sie bei ihrer Gefangennahme vor die Wahl gestellt, für Mussolinis in Salò residierendes Marionettenregime unter deutscher Aufsicht weiterzukämpfen oder zur Zwangsarbeit ins Reich abtransportiert zu werden. Obwohl man sie hungern ließ, um sie unter Druck zu setzen, und trotz dessen, was sie absehbar erwartete, entschied sich die überwiegende Mehrheit gegen die NS-Besatzer. Nur etwa 190.000 der 650.000 Gefangenen waren bereit weiterzukämpfen.

Die "Imi", von denen 30.000 wie Brilli nach Berlin gerieten und die im Lager Schöneweide die größte einzelne Gefangenengruppe waren, hatten den besonderen Hass ihrer NS-Bewacher gegen die frühere Verbündete Italien zu ertragen. Das wirkte sich unmittelbar auf ihre Lebensbedingungen in den Lagern aus: Nach den rassistisch verachteten Sowjetsoldaten war ihre Todesrate die höchste. Dennoch lehnten es alle Bundesregierungen ab, ihnen eine Entschädigung zu zahlen.

Schließlich wurden sie sogar aus dem Kreis der Berechtigten herausdefiniert, die in den späten Genuss der Zwangsarbeiterentschädigung unter der Regierung von Gerhard Schröder Anfang der 2000er Jahre kamen. Sie seien schließlich in Wirklichkeit Kriegsgefangene gewesen, hieß es in einem Gutachten für den damaligen Finanzminister Hans Eichel (SPD), könnten also nicht als Zwangsarbeiter entschädigt werden. Auch in Italien waren die Imi lange vergessen, erst in den letzten Jahren wurde ihr "Widerstand ohne Waffen" anerkannt.

53 Kameraden sah er beim Bombenangriff sterben

Seit 2016 erinnert im Dokumentationszentrum in Berlin-Schöneweide eine Dauerausstellung an die "Imi", auch Ugo Brillis Bild ist dort zu sehen und seine Geschichte nachzulesen. Brilli war mehrfach zu Vorträgen dort und berichtete in Berliner Schulen aus seinem Leben, zuletzt 2017. Einen weiteren geplanten Besuch im letzten Jahr verhinderte die Pandemie. Vor zwei Jahren erhielt Brilli das Bundesverdienstkreuz.

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Nach Angaben der Gedenkstätte war Brilli das Andenken an 53 italienische Leidensgefährten ein besonderes Anliegen. Sie starben vor seinen Augen am 7. Mai 1944 während eines Bombenangriffs auf das Zwangsarbeiterlager in Weißensee, in dem er sich damals befand, ausgerechnet im Splitterschutzgraben des Lagers. Er selbst war erst nach ihnen eingetroffen und hatte sich, als er erkannte, dass dort keine Rettung war, anderswo in Sicherheit gebracht. „Bevor ich sterbe, will ich ein Andenken an diese armen Kameraden, die dort gestorben sind“, zitiert das Zentrum ihn in seinem Nachruf.

Das ist gelungen. Seit Mai erinnert eine Gedenktafel an Brillis tote Kameraden. Und an jenen Tag, der ihm selbst gegenwärtig war, solange er lebte.

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