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Horst Seehofer (CSU) und Angela Merkel (CDU).

© REUTERS

Nach Seehofers Aussagen: Die Entfremdung der Unionsparteien nimmt zu

Horst Seehofer sagt, die Migration sei die "Mutter aller politischen Probleme". Ein erneuter Affront. Ist die Fraktionsgemeinschaft am Ende? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Die SPD hätte mal an dem Thema dranbleiben sollen. An dem Thema, das sie zur Wahl 2005 und dann wieder 2009 aufgemacht hatte: Sind CDU und CSU wirklich eine Fraktionsgemeinschaft? In Anlehnung an die Worte von Franz Müntefering damals: Es ist ja nicht so, dass man sagen könnte, dass CDU und CSU eine einheitliche politische Linie hätten. Die Geschäftsordnung des Bundestags erfordert die aber, Bedingung für eine Fraktionsgemeinschaft sind gleichgerichtete politische Ziele. Wer sich nun zu Gemüte führt, was Horst Seehofer, noch CSU-Chef und Bundesinnenminister, gerade über die Zustände und Umstände in Chemnitz gesagt hat, der muss doch zweifeln, da bleibt gar keine andere Wahl.

Also, wie war das? „Die Migrationsfrage ist die Mutter aller politischen Probleme“, sagt Seehofer – und das, nachdem er ewig zu Chemnitz geschwiegen hat. Was der CSU-Vorsitzende dann noch sagt, ist so sehr gegen die Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel gerichtet, dass niemand mit Fug sagen kann, die beiden hätten ihre grundlegenden Meinungsverschiedenheiten beigelegt. Von wegen gleichgerichtete politische Ziele: In der Flüchtlingsfrage waren die beiden überkreuz und sind es immer noch. Und es kann doch nicht sein, dass man das Jahr über streitet wie die Kesselflicker, aber wenn es ums Geld für die Fraktion geht, man wieder Schwester und Bruder ist.

Da geht nichts? Doch, ginge schon. Wenn, wie 2005 erwogen, die SPD die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU nicht nur öffentlich anzweifelt, sondern tatsächlich (höchst-)gerichtlich prüfen ließe und/oder die Fraktionsgemeinschaft über eine Änderung der Geschäftsordnung des Bundestags zu spalten versuchte. Was natürlich das Ende der Koalition bedeuten würde, wozu sich die Genossen niemals aufraffen könnten.

Die Wähler könnten in Bayern das Original wählen: Die AfD

Aber das ist nur der formale Aspekt einer tiefen inhaltlichen Auseinandersetzung, genauer: Entfremdung der Unionsparteien. Denn während Merkel immer mehr denkt und handelt wie eine Sozialdemokratin, redet Seehofer immer mehr wie die AfD. Um weniger über sie zu reden. Doch wenn er nahelegen will, dass die Migrationspolitik der Kanzlerin der Grund allen Übels ist, in Chemnitz und anderswo – dann ist der Gedanke an den nahezu ungeheuerlichen Vorsatz des AfD-Anführers Alexander Gauland nicht mehr fern, das System, voran das System Merkel, zu überwinden und seine Vertreter zu jagen. Mag Seehofer das bestreiten wie er will – die Gedanken sind gottlob noch frei.

Ja, dahinter steht womöglich die aus Sicht Seehofers strategische Überlegung, dass Volksparteien eine ganze Bandbreite von Meinungen zu vereinen haben. Was im Fall der Migration besonders schwierig ist, weil es auch diese eine, seine Meinung gibt. Und ja, auch die SPD hat dieses Problem. Nur wird es nicht so offen ausgesprochen und ausgetragen wie in der Union. Aber wahr ist, dass bei den Verlusten an Wählern seit 2017 die SPD die größte Anzahl an die AfD verlor.

Richtig ist natürlich auch, dass Grüne und AfD es (noch) leichter haben, sie sind ja noch keine Volksparteien: Beide können eindeutig sein, die Grünen für Migration mit Integration, die AfD dagegen. Und beide ziehen daraus ihre Gewinne. Vielleicht ist es allerdings deswegen umgekehrt auch ein Teil der Erklärung, warum die SPD bald keine Volkspartei mehr sein könnte: die Uneindeutigkeit ihrer Haltung. Also verliert sie, im Westen, im Osten, überall. Wenn sie doch nur eindeutig wäre! Die Merkel-CDU, die – scheinbar – eine Haltung hat, ist das. Und sie ist stabil oder gewinnt mitunter sogar.

Die CSU wiederum wird dann nach dieser Logik verlieren, weil sie wieder schillert. Wie in den Koalitionsverhandlungen und vor der Bundestagswahl. Wenn Seehofer jetzt für bare Münze genommen werden soll, dann könnten die Wähler das Original vorziehen, die AfD. Die Bayernwahl wird zeigen, ob die Koalition im Bund eine Zukunft hat. Auch die zwischen CDU und CSU.

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