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Der Kandidat der säkularistischen Partei CHP Ekrem Imamoglu.

© AFP/Jasin Akgul

Update

Nach Kommunalwahlen in der Türkei: Wie sich die AKP gegen eine Machtübergabe in Istanbul wehrt

Ekrem Imamoglu, Sieger der Kommunalwahl in Istanbul, erhält seine Ernennungsurkunde. Die Regierungspartei AKP will seinen Sieg trotzdem nicht akzeptieren.

Die türkische Opposition übernimmt das Ruder in der wichtigsten Stadt des Landes: Die Wahlkommission bestätigte am Mittwoch den knappen Sieg des Kandidaten der Regierungsgegner, Ekrem Imamoglu, und ließ ihm die Ernennungsurkunde übergeben. Damit steht die Niederlage der Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan in der 15-Millionen-Metropole fest. Die AKP will jedoch eine Annullierung der Wahl und eine Neuauflage am 2. Juni durchsetzen. Darüber soll in den kommenden Tagen entschieden werden.

„Wir wissen, was diese Stadt braucht“, sagte Imamoglu nach seiner Ernennung. Er versprach, als Bürgermeister allen Istanbuler Bürgern dienen zu wollen. Bei der Wahl am 31. März siegte Imamoglu dem amtlichen Endergebnis zufolge mit einem Vorsprung von knapp 14.000 Stimmen: Er bekam 4,169765 Millionen Stimmen, sein AKP-Gegner Binali Yildirim kam auf 4,156036 Millionen, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete.

Imamoglus Wahlsieg läutet eine neue Ära in Istanbul ein. Seit 1994 wurde die Stadt von islamisch-konservativen Politikern regiert. Der 48-jährige Imamoglu dagegen ist Mitglied der säkularistischen Partei CHP. Er hat angekündigt, städtische Subventionen für regierungsnahe Vereine und Stiftungen zu stoppen.

Seit dem Wahltag beschwert sich die AKP über angebliche Manipulationen der Gegenseite. Nachzählungen ließen Imamoglus Vorsprung zwar um einige tausend Stimmen schrumpfen, brachten Yildirim aber nicht den Sieg. Erdogan und andere AKP-Politiker argumentieren jedoch, es gebe mittlerweile so viele Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Wahl, dass nur eine Neuauflage jetzt Klarheit bringen könne.

Schon am Dienstag hatte Erdogans Partei deshalb einen Antrag gestellt, das Istanbuler Ergebnis für null und nichtig zu erklären. Die elf Richter in der zentralen Wahlkommission in Ankara – sechs vom Berufungsgerichtshof und fünf vom Verwaltungsgerichtshof – könnten auf Antrag der AKP das Ergebnis selbst nach Imamoglus Ernennung noch annullieren.

AKP lässt nicht locker

Die AKP werde nicht lockerlassen und weiter versuchen, ihre Macht in Istanbul zu behaupten, schrieb die Journalistin Banu Güven auf Twitter. Die Wahlkommission stehe unter hohem Druck der Regierungspartei. Erdogan-Kritiker werfen der Kommission vor, sich in manchen ihrer Entscheidungen nach den Wünschen der Regierung gerichtet zu haben, statt unabhängig zu urteilen.

Dennoch ist die politische Niederlage für Erdogan beträchtlich. Istanbul ist nicht nur seine politische Heimat, sondern Standort von rund 40 Prozent der türkischen Wirtschaftsleistung. Dadurch kann die dort herrschende Partei ihre Anhänger mit millionenschweren Posten und Aufträgen belohnen. Deshalb wehrt sich die AKP gegen eine Machtübergabe am Bosporus. Eine Neuwahl wäre für die Erdogan-Regierung jedoch ein Risiko; selbst regierungsnahe Kommentatoren erwarten, dass die Opposition dann noch motivierter wäre als bisher.

Selbst aus den Reihen der AKP war die Forderung laut geworden, Imamoglus Sieg solle anerkannt werden. Die Partei war im Jahr 2001 als Alternative zu dem korrupten und undemokratischen Politbetrieb in Ankara gegründet worden. Medienberichten zufolge planen AKP-Dissidenten inzwischen die Gründung einer eigenen Partei.

Kritik aus der EU

Außenpolitisch müsste sich Erdogan bei einer Annullierung auf neue Kritik aus dem Westen einstellen. Unmittelbar nach der Wahl vom 31. März hatte EU-Vizekommissionschef Frans Timmerman die Sorge geäußert, Erdogans Regierung werde das Ergebnis nicht respektieren.

Auch wirtschaftspolitisch wäre eine Neuwahl ein Wagnis. Viele Investoren warten auf den Beginn struktureller Reformen zur Überwindung der derzeitigen Rezession, mit der die Arbeitslosigkeit auf fast 15 Prozent gestiegen ist. Ein weiterer Wahlkampf bis Juni würde solche Reformen jedoch voraussichtlich verzögern.

Regierungsgegner in der Türkei vermuten, dass das Ausscheiden der AKP aus Rathäusern in Istanbul und anderen Städten viele Fälle von Korruption und Machtmissbrauch ans Tageslicht bringen wird. So will die Opposition bereits entdeckt haben, dass sich ein Ex-Minister aus Erdogans Regierung seinen Chauffeur jahrelang aus Istanbuler Steuergeldern bezahlen ließ.

Im südosttürkischen Diyarbakir prangerte der pro-kurdische Politiker Selcuk Mizrakli nach seiner Wahl zum neuen Bürgermeister die Prunksucht seines Vorgängers an, der von der Zentralregierung in Ankara eingesetzt worden war. Auf Twitter veröffentlichte Mizrakli ein Video, das ihn bei einem Rundgang durch luxuriöse Amtsräume zeigt. Dazu gehört ein prunkvoll ausgestattetes Marmor-Badezimmer.

„Die waren wohl noch nie in einem Armenviertel in Diyarbakir“, sagt Mizrakli in dem Video. „Die verstehen nicht, wie es ist, arm zu sein.“

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