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Labour-Chef Jeremy Corbyn am Wochenende in London.

© REUTERS

Nach der Wahl in Großbritannien: Labour zahlt den Preis für die Radikalisierung

Wenn die Labour Party in Großbritannien überleben will, muss sie vor allem wieder eines werden: eine Volkspartei. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Noch ist die Labour Party dabei, ihre Wunden zu lecken. Bei der Parlamentswahl stürzte die größte britische Oppositionspartei auf ein denkbar schlechtes Ergebnis ab. Man muss schon weit in der Geschichte zurückgehen – bis in die Zwischenkriegszeit vor über 80 Jahren –, um auf einen noch dramatischeren Mandatsverlust der Labour Party zu stoßen. Labour-Chef Jeremy Corbyn hat sich am Wochenende halbherzig für das Ergebnis entschuldigt und ansonsten mehr oder weniger erklärt, dass in seiner Partei alles beim Alten bleiben soll. Im kommenden Jahr will Corbyn vom Parteivorsitz zurücktreten. Aber er sieht keinen Grund, dass am scharfen Linkskurs etwas geändert werden soll. Das ist ein Fehler.

Viele in der Labour Party lamentieren, dass die Wahl nicht so klar verloren gegangen wäre, wenn Regierungschef Boris Johnson mit seiner Brexit-Agenda nicht den Wahlkampf dominiert hätte. Wenn, ja wenn die Labour Party mit ihren Themen wie der Verstaatlichung der Eisenbahn oder einem gebührenfreien Studium im allgemeinen Brexit-Getöse durchgedrungen wäre, so lautet das Argument, dann wäre auch das Wahlergebnis besser ausgefallen.

Nicht allein der Brexit ist für das Ergebnis der Labour Party verantwortlich

Ganz falsch ist das Argument nicht, denn den Konservativen werden einige traditionelle Labour-Wähler, die diesmal den Brexit unbedingt erzwingen wollten, bei der nächsten Wahl wohl wieder von der Fahne gehen. Wenn Labour-Leute aber allein dem Brexit die Schuld am Wahlergebnis geben, dann übersehen sie, dass zwei andere Dinge der eigenen Partei massiv geschadet haben: die umstrittene Persönlichkeit Corbyns und die Antisemitismus-Vorwürfe gegen den Parteichef einerseits und auf der anderen Seite der radikale Linkskurs der Labour Party.

Mehr noch als in Deutschland mit seinem Verhältniswahlrecht sind Parteien im britischen Mehrheitswahlsystem darauf angewiesen, Volksparteien zu sein, wenn sie überleben wollen. Die zur Brexit-Partei radikalisierten Tories werden diese Lektion womöglich noch lernen, wenn die Wirren um den EU-Ausstieg irgendwann einmal vorbei sind. Die Labour Party, die seit Corbyns Machtübernahme vor vier Jahren unter dem Einfluss der Momentum-Bewegung eisern auf Linkskurs gehalten wird, hat schon jetzt den Preis für ihre Radikalisierung gezahlt.

Die Labour Party geriet von zwei Seiten unter die Räder

Denn die einst stolze britische Partei ist bei dieser Wahl von zwei Seiten unter die Räder geraten: Sozialdemokratisch angehauchte Wähler, die 1997 noch den New-Labour-Protagonisten Tony Blair an die Macht brachten, konnten sich nicht zur Wahl des Altlinken Corbyn durchringen. Und auf der anderen Seite waren es Menschen in prekären Lebenslagen in Nord- und Mittelengland, die schon wie beim EU-Referendum von 2016 fälschlicherweise ihr Heil in einem Austritt aus der EU sehen.

Wenn der jetzt beginnende Erneuerungsprozess der Labour Party eine Chance haben soll, dann sollte die neue Riege an der Spitze der Partei sich darauf besinnen, wieder eine Volkspartei zu sein, die sowohl Geringverdiener als auch die Mitte anspricht. Das ist auch eine Lehre aus dem Schicksal anderer sozialdemokratischer und sozialistischer Parteien in Europa. Ihnen hat – etwa in Frankreich – ein linkssektiererischer Kurs nicht gutgetan.

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