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Tatort Kitzbühel: Die Polizei hat das Haus abgesperrt, in dem ein 25-Jähriger am Sonntag fünf Menschen erschoss.

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Update

Nach den Morden in Kitzbühel: Wer von einem „Beziehungsdrama“ spricht, verschleiert das wahre Problem

Der fünffache Mord von Kitzbühel wirft ein Schlaglicht auf die vielen Gewaltverbrechen gegen Frauen. Tatsächlich geht es um Machtfragen, nicht „Eifersucht“.

Einen Tag nach den Morden im österreichischen Skiort Kitzbühel sind weitere Einzelheiten bekannt geworden. Eines der Opfer war der 24-jährige Eishockey-Torwart der Kitzbüheler Zweitligamannschaft, der am Vorabend der Tat noch auf dem Eis gestanden hatte und wegen seiner Leistung im Heimspiel zum „Mann des Spiels“ gewählt worden war.

Offenbar war er der neue Freund der 19-jährigen Frau, die sich kurz zuvor vom Täter, einem 25-jährigen aus dem Ort, getrennt hatte. Der erschoss sie, ihren Bruder, die Eltern und den neuen Freund am Sonntagmorgen in der Wohnung der Familie, zu der er sich Zugang erzwungen hatte.

Anschließend stellte er sich der Polizei. In ersten Polizeiberichten und Meldungen der österreichischen Medien war davon die Rede, Tatmotiv des 25-Jährigen sei vermutlich „Eifersucht“ gewesen.

Fachleute sind mit diesen Bezeichnungen eher unglücklich – auch wenn, wie häufig, Worte wie „Beziehungsdrama“ oder „Familientragödie“ in Zeitungstexten oder Polizeimeldungen stehen.

Verbrannt, weil sie ihn abwies

„Diese Begriffe verschleiern, was tatsächlich passiert, nämlich Gewalt gegen Frauen“, sagt Petra Söchting. Sie ist Leiterin des „Hilfetelefons Gewalt gegen Frauen“, das seit sechs Jahren bundesweit und rund um die Uhr Beratung und Hilfe für betroffene Frauen anbietet, auf deutsch und in 17 weiteren Sprachen, gegebenenfalls anonym. Tatsächlich geht es um Machtfragen. Im Mittelpunkt steht - wie in dem jüngsten Tiroler Fall – eine Trennung der Frau oder eine Zurückweisung, die die Täter als Machtverlust erleben.

So ermordete Ende September der 52-jährige Frank N. in Göttingen brutal eine 44-jährige Frau, die seine Annäherungsversuche stets abgewiesen hatte. Er übergoss sie auf offener Straße mit einem Brandbeschleuniger und stach auf sie ein, als sie weglaufen wollte. Eine Kollegin, die ihr zur Hilfe kam, verletzte er lebensgefährlich.
Es sind solche Taten, die Schlagzeilen machen. Berichtet werde über „drastische Fälle wie den von Kitzbühel“, sagt Söchting, „oder dann, wenn Prominente Täter oder Opfer sind.“ Das sei problematisch: „Es müsste viel öfter darüber berichtet werden, um zu zeigen, wie verbreitet und alltäglich diese Art von Gewalt ist.“

Zahlen belegen dies: Einer EU-weiten Studie zufolge, die die Europäische Grundrechte-Agentur 2014 veröffentlichte, ist etwa ein Viertel aller Frauen von körperlicher oder sexueller Gewalt in der Partnerschaft betroffen. Eine Untersuchung des Bundesfrauenministeriums, bei der zwischen 2002 und 2004 10.000 Frauen befragt wurden, hatte für Deutschland zehn Jahre zuvor die gleichen Daten erhoben.

Fast die Hälfte der Opfer lebte mit dem Täter zusammen

Demnach hatte jede vierte Frau zwischen 16 und 85 Jahren mindestens einmal im Leben körperliche oder sexuelle Übergriffe durch Ehemann, Freund oder Liebhaber erlebt. Wenn es in Partnerschaftsbeziehungen zu Gewalt kommt – von vorsätzlicher einfacher Körperverletzung bis zu Mord und Totschlag – waren nach der jüngsten Auswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik für das Jahr 2017 mehr als 82 Prozent der Opfer Frauen, etwa die Hälfte der Betroffenen (49,1 Prozent) lebte mit dem Täter zusammen.

Allein in Berlin starben 2017 elf Frauen durch Gewalt ihrer Männer.

Die nächste Auswertung, die das Bundeskriminalamt seit 2015 jährlich im Herbst veröffentlicht, dürfte ähnliche Werte bringen. Zwar erlebt Petra Söchting, dass ihre Beraterinnen Jahr für Jahr öfter um Hilfe gebeten werden, aber: „Wir haben keine Erkenntnisse, dass das Ausmaß von häuslicher und Partnergewalt gegen Frauen größer wird.“

Die wachsende Nachfrage der Beratung am Hilfetelefon zeige stattdessen, „dass es bekannter wird und das sich Frauen auch stärker trauen, sich Hilfe zu holen, wenn sie Opfer solcher Gewalt werden.“ Söchting begrüßt auch, dass das Thema „öffentlicher geworden ist und breit kommuniziert wird“. Das mache Frauen Mut, sich nach außen um Hilfe zu wenden.

Gewalt gegen Frauen schädigt das ganze Land

Hilfe in konkreten Fällen ist aber nur ein - wichtiger - Teil des Kampfs gegen den Femizid, wie der gezielte Mord an Frauen etwa in Italien, Spanien und Mexiko inzwischen genannt wird. Seit Februar des letzten Jahres ist die sogenannte Istanbul-Konvention geltendes Recht in Deutschland. Das Abkommen, das der Europarat im Mai 2011 in Istanbul verabschiedete, verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, systematisch gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen anzugehen.
Dafür fehlten in Deutschland nach wie vor die nötigen Einrichtungen, kritisierte kürzlich das „Bündnis Istanbul-Konvention“, ein Zusammenschluss von Frauenorganisationen. Nötig sei zum Beispiel eine hochrangige staatliche Koordinierungsstelle für die Umsetzung von Istanbul, aber auch unabhängige Überwachung, die per Gesetz ausreichend Macht und Geld brauche, um effektive Prävention und Schutz vor Gewalt gegen Frauen in Deutschland durchzusetzen.

Ein Sprecher von Frauenministerin Franziska Giffey verwies gegenüber dem Tagesspiegel auf das "breite Unterstützungssystem mit bundesweit etwa 350 Frauenhäusern und rund 40 Zufluchtswohnungen", das Deutschland habe. Jährlich könnten etwa 30- bis 34.000 Personen – betroffenen Frauen und ihren Kindern - Schutz geboten werden. Zudem gebe es bundesweit mehr als 750 Fachberatungsstellen. Die Ministerin nehme aber Hinweise sehr ernst, dass es weiter Lücken im System gebe. Im laufenden Bundeshaushalt seien 6,1 Millionen Euro eingeplant, um sie zu schließen, im nächsten Jahr 35 Millionen.
Gewalt gegen Frauen ist auch volkswirtschaftlich teuer - viel teurer als sie zu verhindern. Auf zwischen eine bis 25 Milliarden US-Dollar pro Land bezifferten 2015 Expertinnen der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) die Kosten von Gewalt gegen Frauen. Sie sei mitschuld an Verarmung, einem höheren Krankheits- und Sterberisiko, schädige die Produktivität eines Landes und belaste dessen Justiz- und Gesundheitssystem.

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