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Die Linken-Vorsitzenden Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow.

© Annegret Hilse/Reuters

Nach dem Wahldebakel im Saarland: Linke will „alles auf den Prüfstand“ stellen

Die Linkspartei diskutiert über Konsequenzen aus der Wahlniederlage. Nun könnte in der Bundespartei neuer Streit drohen.

Die Wahllokale im Saarland hatten noch keine zwei Stunden geschlossen, da begann in der Linkspartei auch auf Bundesebene bereits eine Auseinandersetzung um die Schuldfrage. „Wird wieder niemand die Verantwortung übernehmen? Oder wird man sie Oskar zuschieben?“, fragte der Linken-Bundestagsabgeordnete Klaus Ernst auf Twitter in Anspielung auf den früheren saarländischen Ministerpräsidenten und späteren saarländischen Linken-Fraktionschef Oskar Lafontaine.

Die Linke war bei der Wahl an der Saar auf 2,6 Prozent abgerutscht und ist im neuen Landtag nicht mehr vertreten. Dabei war das Saarland bisher eine Hochburg der Partei, die dort 2017 noch 12,8 Prozent geholt hatte und Oppositionsführerin gewesen war.

Die beiden Parteivorsitzenden begründeten die Niederlage mit der Zerstrittenheit des Landesverbandes im Saarland. „Man wählt keine zerstrittenen Parteien“, sagte Susanne Hennig-Wellsow. Ihre Co-Chefin Janine Wissler sprach von einem „desaströsen Ergebnis“.

Die inhaltlichen Forderungen im Wahlkampf seien „völlig überlagert von Streitigkeiten“ gewesen. Zugleich sehen beide Parteichefinnen den ehemaligen Vorsitzenden Lafontaine in der Verantwortung für das Wahldebakel. Die Ergebnisse der Partei im Saarland seien auch in der Vergangenheit stark an seine Person gebunden gewesen, sagte Wissler. Noch 2009 hatte die Partei dort 21 Prozent der Stimmen geholt. Lafontaines Parteiaustritt zehn Tage vor der Wahl und seine Aufforderung, die Linke nicht zu wählen, seien ein „schwerer Schlag“ gewesen, betonte die Parteichefin.

Mit Parteiaustritten kennt der 78-Jährige sich aus. Vor mehr als zwei Jahrzehnten hatte er sich mit der SPD überworfen, für die er als langjähriger Ministerpräsident im Saarland, als Bundesfinanzminister und als Parteichef amtiert hatte. Zuletzt war er Fraktionschef der Linken im Saarland, wo er sich in den vergangenen Jahren einen erbitterten Machtkampf mit dem Landeschef Thomas Lutze geliefert hatte.

Dabei ging es sogar um den Vorwurf manipulierter Wahlen. Von einer „Schlammschlacht“ war an der Saar die Rede. Mit dem Austritt aus der Linkspartei war Lafontaine einem Ausschlussverfahren gegen ihn zuvorgekommen.

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Seinen Schritt begründete Lafontaine aber auch mit inhaltlichen Differenzen. „Einer Partei, in der die Interessen der Arbeitnehmer und Rentner und eine auf Völkerrecht und Frieden orientierte Außenpolitik nicht mehr im Mittelpunkt stehen und die zudem das im Saarland etablierte Betrugssystem unterstützt, will ich nicht mehr angehören“, hatte er erklärt.

„Merkt ihr jetzt was?“

Und so drohen nach dem Wahldebakel an der Saar die inhaltlichen Konflikte auch in der Bundespartei neu aufzubrechen. „Jene, die Oskar aus der Partei vertrieben haben, sich selbst aber für so wichtig halten, inhaltlich und persönlich, merkt ihr jetzt was?“, fragte Klaus Ernst noch am Wahlabend – und zielte mit der Attacke wohl auf den Bundesvorstand seiner Partei.

Ernst habe „seinen eigenen Kopf“, sagte Hennig-Wellsow am Tag nach der Wahl. Die Konflikte in ihrer Partei deutete die Vorsitzende als einen Generationenwechsel: Die einen träten ab, die anderen kämen. Zwischen Ernst und den Jüngeren in der Partei war es kürzlich zum offenen Konflikt gekommen, bevor er im Bundestag den Vorsitz des Ausschusses für Klima und Energie übernahm. In einem offenen Brief unter dem Titel „Nicht euer Ernst“ hatten sich vor allem die Klimapolitiker der Partei gegen ihn gewandt, konnten die Besetzung aber nicht verhindern.

Hinter solchen Konflikten steht die Frage, wie offensiv sich die Partei beim Klimaschutz positionieren soll. Ein Teil der Partei – und zu diesem Lager wird auch Ernst gerechnet – lehnt eine stärkere Betonung des Klimaschutzes ab.

Die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht wirft den Linken sogar vor, sich nur noch um Lifestyle-Themen zu kümmern und das Kerngeschäft der Partei zu vernachlässigen. Die Parteichefinnen bemühen sich auch in diesem Bereich um Schadensbegrenzung: Die Partei müsse „darüber diskutieren, wie wir verschiedene Milieus ansprechen, und nicht darüber, welche wir ansprechen und welche nicht“, sagte Wissler.

Noch am Sonntagabend kündigte Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler an: „Wir werden die Partei neu aufstellen müssen.“ Gemeint war der tief zerstrittene Landesverband im Saarland, doch auch die streiterprobte Bundespartei muss sich in diesen Tagen mit der Frage auseinandersetzen, welche Konsequenzen sie aus dem Wahldebakel an der Saar zieht.

Fraktionschef Dietmar Bartsch forderte am Tag nach der Wahl einen inhaltlichen Neuanfang. Alles müsse „auf den Prüfstand“, sagte Bartsch am Montag dem NDR. Über die inhaltliche Aufstellung wollen die Linken bei ihrem Parteitag im Juni beraten. Bei der Bundestagswahl hatte die Linke weniger als fünf Prozent der Stimmen erzielt.

Offener Streit um die Außenpolitik

Auf dem Erfurter Parteitag will die Linke außerdem über ihre Position in der Außen- und Sicherheitspolitik diskutieren. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine war es gleich mehrfach zum offenen Streit in der Linken über die Positionierung der Partei gekommen. Der außenpolitische Sprecher Gregor Gysi zeigte sich in einem offenen Brief „entsetzt“ über die Abgeordneten Sahra Wagenknecht, Ernst, Sevim Dagdelen, Andrej Hunko sowie drei weitere Parlamentarier.

Sie hatten in einer gemeinsamen Erklärung dem Westen eine „maßgebliche Mitverantwortung“ für den Krieg gegeben. Dass diese Gruppe innerhalb der Bundestagsfraktion die Argumentation des Kremls verteidigt, ist keineswegs neu. Intern wurde sie deshalb schon lange als „Russia Today“ verspottet. Wagenknecht tritt mit solchen außenpolitischen Positionen regelmäßig in Talkshows auf. „Wir bestimmen die politischen Positionen der Partei Die Linke zusammen. Sahra Wagenknecht spricht für sich selbst“, sagt Hennig-Wellsow dazu.

In einem Fall hat der Parteivorstand jetzt die Notbremse gezogen: In einem Papier des Ältestenrates, der von Hans Modrow geleitet wird, war der russische Angriffskrieg in der Ukraine als „Bürgerkrieg“ verharmlost worden. Diese Formulierung halte der Parteivorstand für „inakzeptabel“ sagte Wissler. Der Ältestenrat soll nun „neu aufgestellt werden“.

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