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Eine Frau erhält den Impfstoff von Astrazeneca.

© LENNART PREISS / AFP

Nach dem Astrazeneca-Chaos: Impfangebot für alle bis Ende des Sommers – geht das noch?

Astrazeneca wird in Deutschland nicht mehr an Menschen unter 60 Jahren verabreicht. Welche Folgen das jetzt für die Impfstrategie hat. Ein Überblick.

Markus Söder hat gesagt, bei Astrazeneca erlebe man jeden Tag eine neue Überraschung. Dahingehend wird er auch am Mittwoch nicht enttäuscht. Das Präparat werde künftig unter dem Namen Vaxzevria vertrieben, verkündete der Hersteller. Mit den jüngsten Ereignissen habe das nichts zu tun. Darüber hinaus bleiben zahlreiche Fragen offen, nachdem Bund und Länder nach weiteren Fällen von Hirnthrombosen beschlossen hatten, das Vakzin in Deutschland nur noch an Über-60-Jährige zu verimpfen.

In Berlin sollen Menschen zwischen 60 und 70 Jahren bereits ab Karfreitag wieder mit Astrazeneca geimpft werden. Ab Donnerstag sollen die Impftermine buchbar sein – die Über-60-Jährigen sollen weiter in Impfzentren geimpft werden. Ab Mitte April wird der Impfstoff schrittweise an Arztpraxen geliefert.

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Wer unter 60 ist, kann sich weiter auch mit Astrazeneca impfen lassen, aber auf eigenes Risiko. Letztlich ist es eine nicht klar nachvollziehbare Altersgrenze, zumal die 31 Fälle von Sinusvenenthrombosen nach Astrazeneca-Impfungen bis auf zwei Fälle allesamt Frauen im Alter von 20 bis 63 Jahren betrafen. Die beiden Männer waren laut Bundesregierung 36 und 57 Jahre alt. Es kam zu neun Todesfällen. Bürger unter 60 Jahren können sich nach sorgfältiger Aufklärung grundsätzlich nur in Arztpraxen impfen lassen.

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Wird die Impfpriorisierung bei Astrazeneca aufgehoben?

Nein, das bedeutet auch, dass sich jetzt nicht einfach alle Bürger unter 60 bei ihrem Hausarzt für eine Astra-Impfung anmelden können. Aber wenn er nun in großer Zahl verschmäht werden sollte, wird die von Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder angestoßene Debatte um eine weitgehende Freigabe auf Wiedervorlage kommen. Aber die Bundesländer dürfen jetzt schon zumindest die sehr große Gruppe der 60-69-Jährigen für Impfungen mit Astrazeneca einladen.

Der Deutsche Lehrerverband hält die Altersbeschränkung für einen „katastrophalen Rückschlag für die Impfung von Lehrkräften“. Präsident Heinz-Peter Meidinger fordert eine schnelle Möglichkeit für unter 60-jährige Lehrkräfte, sich mit Biontech/Pfizer und demnächst mit Johnson & Johnson impfen zu lassen.

„Wenn dieser Austausch nicht sofort stattfindet, wird es mit der Durchimpfung von Lehrkräften im April nichts mehr werden“, sagt Meidinger. Das gefährde massiv wegen der steigenden Inzidenzen die Chancen, Schulen nach Ostern zu öffnen.

Was passiert mit der Zweitimpfung?

Wer 60 Jahre oder älter ist, bekommt weiter Astrazeneca. Wer jünger ist, „sollte gemeinsam mit seinem Arzt das Risiko abwägen und entscheiden“, teilt das Bundesgesundheitsministerium mit. Die Ständige Impfkommission soll nun schnellstmöglich zu dieser Frage Stellung nehmen. Der Vorteil ist, dass bei Astrazeneca zwischen Erst- und Zweitimpfung mindestens zwölf Wochen liegen.

Da der Stoff seit Februar verimpft wird, stehen somit die meisten Zweitimpfungen ohnehin erst ab Mai an. Bislang wurden laut Ministerium 2.383.113 Erstdosen und 645 Zweitdosen Astrazeneca verimpft.

[Wir müssen deutlich unter 100.000 Toten bleiben“. Lesen Sie hier das gesamte Interview mit Karl Lauterbach. T+]

Kann nach einer Erstimpfung mit Astrazeneca ein anderes Vakzin benutzt werden?

Grundsätzlich ist es nicht unüblich, dass man verschiedene Impfstoffe zur Immunisierung einer Person verwendet. Bei Impfungen gegen andere Krankheitserreger wird diese Strategie bereits angewendet. Dabei verstärkt sich der Impfschutz sogar. Forschende hoffen auf diesen Effekt auch bei der Impfung gegen Sars-CoV-2. In Versuchen mit Mäusen hat sich so ein Immun-Boost bereits gezeigt.

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In Großbritannien läuft seit Anfang Februar eine Studie an über 800 Personen, bei der zunächst getestet wird, ob eine Kombination von Impfstoffen eine ausreichende Immunantwort hervorruft – und, ob dieses Vorgehen überhaupt sicher ist.

Die Impflinge erhalten bei ihrer ersten Impfung AstraZeneca und bei ihrem zweiten Termin den Impfstoff von Biontech/Pfizer. Der Abstand zwischen den Impfungen beträgt vier oder zwölf Wochen. Nachfolgende, größere Studien müssen dann zeigen, wie groß der Impfschutz bei diesem Vorgehen tatsächlich ist. In Russland läuft derzeit eine Studie, bei der die Kombination von AstraZeneca und Sputnik V erprobt wird.

Bereits Mitte des Monats wurden in einem Impfzentrum in Saarbrücken Impfstoffe bei drei Personen verwechselt. Sie erhielten bei ihrem ersten Termin Biontech/Pfizer und bei ihrem zweiten AstraZeneca. Die Personen hatten keinerlei Beschwerden.

Würde sich dabei zeigen, dass eine Kombination von Impfstoffen tatsächlich möglich ist, hätte das einen weiteren großen Vorteil in logistischer Hinsicht. In Impfzentren könnte man dann auf andere Impfstoffe ausweichen, wenn der Erstimpfstoff gerade nicht verfügbar ist. Lieferschwierigkeiten einzelner Hersteller würden dann nicht mehr die komplette Impfstrategie in Verzug bringen.

Klappt es jetzt noch mit dem Impfangebot an alle Bürger bis zum Sommerende?

Doch, verspricht Kanzlerin Angela Merkel. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) rechnet sogar vor September damit. Im zweiten Quartal würden rund 70 Millionen Impfdosen erwartet – davon rund 15 Millionen von Astrazeneca.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fordert angesichts des Bund-Länder-Streits um die richtigen Lockdown-Maßnahmen gegen die dritte Welle einen ganz neuen Ansatz: Astrazeneca für die Älteren, Biontech für die Jüngeren – ohne Zurückhalten von Impfstoff für Zweitimpfungen.

In Deutschland wird der Impfstoff von Astrazeneca nur noch bei über 60-Jährigen uneingeschränkt eingesetzt.
In Deutschland wird der Impfstoff von Astrazeneca nur noch bei über 60-Jährigen uneingeschränkt eingesetzt.

© Fabian Bimmer/REUTERS

Denn bei allen zugelassenen Impfstoffen sei die Wirkung und der Schutz vor Ansteckungen und schweren Verläufen sehr hoch. So könne man allen Impfwilligen „bis Ende Juni“ die Erstimpfung geben, was viele Todesfälle verhindern werde. Lauterbach betont, man müsse deutlich unter 100.000 Toten bleiben in Deutschlands – die Zweitimpfungen sollten im 3. Quartal erfolgen.

Wie hoch ist das Risiko, eine Hirnvenenthrombose nach einer Impfung zu erleiden?

Nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts gab es bisher 31 Verdachtsfälle von Hirnvenenthrombosen nach einer Impfung mit Astrazeneca. Neun von ihnen verliefen tödlich. Die Betroffenen waren überwiegend Frauen unter 55. Eine Forschergruppe um den Transfusionsmediziner Andreas Greinacher von der Uniklinik Greifswald konnten kurz darauf einen Zusammenhang zwischen der Impfung und den Hirnvenenthrombosen herstellen. Das war die Grundlage für das aktuelle Aussetzen der Impfungen von Menschen unter 60 mit Astrazeneca.

Dennoch sind die 31 aufgetretenen Fälle im Verhältnis zu den bereits 2,3 Millionen in Deutschland vergebenen Erstdosen Astrazeneca sehr gering. Der Thromboseforscher Robert Klamroth, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Vivantes Klinikum im Friedrichshain, geht davon aus, dass das spezielle Krankheitsbild selbst in der Risikogruppe nur bei 1 zu 50.000 liegt, also sehr selten ist.

„Als junge Frau hat man aber auch ein sehr geringes Risiko, einen sehr schweren oder tödlichen Verlauf einer Covid-19-Erkrankung zu haben“, sagt Klamroth. Für junge Frauen ist das Risiko eines schweren Covid-19-Verlaufs daher vergleichbar hoch mit dem einer Hirnvenenthrombose durch die Impfung. Mehrere Forschende sprechen sich deshalb dafür aus, Frauen unter 55 zukünftig einen anderen Impfstoff zu geben.

Start der Corona-Impfungen in bayerischen Hausarztpraxen.
Start der Corona-Impfungen in bayerischen Hausarztpraxen.

© Peter Kneffel/dpa

Das Krankheitsbild der Hirnvenenthrombosen selbst ist gut behandelbar. „Da dieser Mechanismus in abgewandelter Form bereits bekannt ist, gibt es eine Therapiemöglichkeit für die Patienten“, sagt Alice Assinger, Professorin an der Medizinischen Universität Wien. „Noch beruhigender ist die Tatsache, dass jedes mittelgroße Krankenhaus über diese Therapiemöglichkeit verfügt und Patienten damit rasch und sicher geholfen werden kann.“

Die Forschenden von der Uni Greifswald machen zudem konkrete Vorschläge für Medikamente, mit denen die Thrombosen behandelt werden können. Auch sie sind sicher und erprobt.

Wie reagiert die EU und wer haftet bei Impfschäden?

Eine Sprecherin der EU-Kommission erinnerte am Mittwoch daran, dass die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) Mitte März den Impfstoff von Astrazeneca noch einmal unter die Lupe genommen hatte, nachdem es bereits Berichte über Blutgerinnsel nach der Verabreichung des Vakzins gegeben hatte. Vor zwei Wochen sagte EMA-Chefin Emer Cooke, dass ihre Behörde den Impfstoff weiterhin für „sicher und wirksam“ halte. Wie die  Sprecherin der EU-Kommission am Mittwoch anmerkte, überwögen beim Astrazeneca-Impfstoff und allen anderen in der EU zugelassenen Vakzinen weiterhin die Vorteile die Risiken.

Nach der Entscheidung in Deutschland beriet die EMA mit Experten aus den Mitgliedstaaten über die neuen Thrombose-Fälle. Am Nachmittag erklärte die EMA, es gebe kein altersspezifisches Risiko beim Astrazeneca-Impfstoff. Entscheidend für diese Bewertung dürften auch die weitaus größeren Erfahrungen mit dem Impfstoff in Großbritannien sein. Dort haben inzwischen mehr als 30 Millionen Menschen eine erste Dosis des Vakzins erhalten.

Die letzte Prüfung durch die EMA hatte Mitte März zur Folge, dass eine Warnung vor seltenen Blutgerinnseln in Hirnvenen im Beipackzettel aufgenommen werden muss. Das ist entscheidend bei Haftungsfragen, da eine Einwilligung der Impflinge, die über die Risiken aufgeklärt wurden, anschließende Ansprüche gegenüber dem Hersteller mindert. Die Frage, ob Astrazeneca in Haftung zu nehmen sei, war am Mittwoch in der EU-Kommission jedenfalls kein Thema.

Nach Auskunft des Bundesgesundheitsministeriums gilt für Impfschäden das soziale Entschädigungsgesetz. Wer durch eine öffentlich empfohlene Schutzimpfung einen Impfschaden erleidet, erhält auf Antrag eine Versorgung vom Land. Die Länder haften im Fall von Astrazeneca, wenn trotz der jüngsten Einschränkungen bei der Verabreichung des Impfstoffs die bekannten Nebenwirkungen auftreten. Der Bund übernimmt die Haftung, wenn unerwartete Nebenwirkungen auftreten. Bei Produktfehlern übernimmt der Hersteller die Haftung.

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