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Afghanistan: Musterklagen wegen Luftangriff

Vor drei Jahren ließ ein deutscher Oberst zwei von Taliban entführte Tanklastwagen bombardieren. Dabei starben auch viele Zivilisten. 79 Opferfamilien kämpfen weiter um eine Entschädigung.

Auch drei Jahre nach dem Nato- Luftangriff auf zwei Tankfahrzeuge in der Nähe von Kundus wird noch immer über Entschädigungsleistungen für die Opferfamilien gestritten. 91 Familien ziviler Opfer des Bombenangriffs haben zwar inzwischen Geld erhalten, der Bremer Anwalt Karim Popal vertritt aber 79 Familien, die weitere Ansprüche geltend machen. Seinen Angaben zufolge will das Landgericht Bonn im Oktober einen Termin für die Verhandlung von Musterklagen aus dieser Gruppe festlegen.

Der Angriff in der Nacht zum 4. September 2009 galt eigentlich Talibankämpfern, die am Tag zuvor die beiden Tanklastwagen im Kommandobereich der Bundeswehr entführt hatten. Sie waren mit ihnen dann aber in einem Flussbett stecken geblieben. Der deutsche Oberst Georg Klein forderte darauf Luftunterstützung durch US-Kampfjets an, denen er in der Nacht schließlich den Befehl erteilte, die Talibankämpfer zu bombardieren. Bei dem Angriff starben allerdings auch zahlreiche Zivilisten, darunter Kinder und Jugendliche aus der Gegend, die von den Taliban offenbar zu Hilfe gerufen worden waren. Die Bundesregierung leugnete zunächst, dass auch zivile Opfer unter den Toten waren, was letztlich zum Rücktritt des damaligen Verteidigungsministers Franz-Josef Jung (CDU) führte.

Die genaue Zahl der zivilen Opfer ist bis heute nicht restlos aufgeklärt. Das Verteidigungsministerium hat 91 Opfer anerkannt und ihren Familien 5000 US-Dollar für jeden Toten zukommen lassen – „aus humanitären Gründen“, wie ein Sprecher am Montag betonte. Ein Schuldeingeständnis sei mit der Zahlung nicht verbunden. Anwalt Popal geht dagegen von 139 zivilen Opfern aus. Seine Mandanten sehen die geleisteten Zahlungen als nicht ausreichend an. Viele Witwen und Waisen, so erklärt er, hätten gar kein Geld erhalten, weil es ausschließlich auf Konten männlicher Verwandter eingezahlt worden sei. „Die haben das Geld nicht selten für sich genutzt“, erklärt Popal. Das Ministerium verweist indes darauf, dass die Abwicklung unter Vermittlung einer afghanischen Menschenrechtskommission mit den jeweiligen Familien abgestimmt worden sei. Es stehe den Opferfamilien aber selbstverständlich frei, die Zahlungen und weitere Ansprüche gerichtlich überprüfen zu lassen, so ein Sprecher.

Karim Popal kämpft auch weiter für eine Verurteilung von Oberst Klein, der wegen seines Befehls selbst in der Nato scharf kritisiert worden war. Ein Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft wurde jedoch eingestellt. Dagegen hat Popal Verfassungsbeschwerde eingelegt. Der 51-Jährige Klein soll derweil Abteilungsleiter im neuen Bundeswehr-Amt für Personalmanagement werden – und steht damit vor der Beförderung zum Brigadegeneral. Ulrike Scheffer

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