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Präimplantationsdiagnostik: Mit dem Recht zu wissen

Der Bundesgerichtshof in Leipzig hat am Dienstag in einem Grundsatzurteil genetische Untersuchungen an befruchteten Eizellen für nicht strafbar erklärt. Warum ist diese Form der Diagnostik so umstritten?

Matthias B. hat sein Ziel erreicht. Der Berliner Fortpflanzungsmediziner hatte sich im Januar 2006 selbst angezeigt, um rechtliche Klarheit bei der Anwendung der Präimplantationsdiagnostik (PID) herzustellen. Nun hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Leipzig nach einem längeren Rechtsstreit entschieden, dass Ärzte bei Paaren mit einer Veranlagung zu schweren Erbschäden künftig im Reagenzglas befruchtete Eizellen auf Schäden untersuchen und anschließend nur gesunde Zellen für eine Befruchtung auswählen dürfen. Damit schloss sich der BGH in weiten Teilen der Begründung des Landgerichts Berlin an, das Matthias B. im Mai 2009 vom Vorwurf der Verletzung des Embryonenschutzgesetzes freigesprochen hatte. Die Staatsanwaltschaft Berlin war dagegen in Berufung gegangen.

Die PID vermindere bei den Betroffenen die Zahl der Abtreibungen schwerst- behinderter Kinder, urteilten die Bundesrichter des 5. Senats am Dienstag (AZ: 5 StR 386/09). Der Vorsitzende Richter Clemens Basdorf sagte, es gehe nicht darum, die Selektion von Embryonen für die Geburt eines Wunschkindes zu billigen. Mit dem Urteil seien schwere ethische Fragen verbunden. Es bleibe dem Gesetzgeber überlassen, PID strafbar zu machen. Dem Embryonenschutzgesetz sei jedenfalls kein Verbot der PID zu entnehmen.

Worum geht es bei der PID genau?

Mit dieser Methode werden befruchtete Eizellen vor ihrer Einpflanzung in die Gebärmutter untersucht. Meist wird damit nach Auffälligkeiten an Chromosomen oder einzelnen Genen gefahndet, die bekanntermaßen in der Familie vorkommen und schon zu schweren Erkrankungen geführt haben. Die PID kann aber auch genutzt werden, um einer Familie, in der ein Kind lebensbedrohlich erkrankt ist, zu einem weiteren Kind zu verhelfen, das als Spender von Blutstammzellen oder Knochenmark geeignet ist. Voraussetzung ist eine künstliche Befruchtung im Labor des Fortpflanzungsmediziners („In vitro Fertilisation“, IvF).

Worum ging es im konkreten Fall?

Zwischen Dezember 2005 und Mai 2006 behandelte Matthias B. drei Paare mit einer bekannten Veranlagung zu verschiedenen schweren Chromosomen-Anomalien und setzte dabei die PID ein. Die Paare waren fruchtbar, hatten aber teilweise schon mehrere Fehlgeburten hinter sich. Zur künstlichen Befruchtung entschlossen sie sich, um mittels PID abklären zu lassen, welche der befruchteten Eizellen die Veränderung nicht trugen. Auf Wunsch der Paare wurden nur diese Embryonen eingepflanzt. „Ich habe das gezielt gemacht, um das Verfahren rechtlich überprüfen zu lassen“, bestätigte B. am Dienstag gegenüber dem Tagesspiegel. Für die Untersuchung wartete er jeweils bewusst ein Entwicklungsstadium ab, in dem die entnommenen Zellen der Embryonen sich schon differenziert hatten, also nicht mehr das Potenzial hatten, zu einem ganzen Menschen zu werden. Jan-Steffen Krüssel, Vorsitzender der deutschen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin, brachte am Dienstag seine Bewunderung für den Mut des Fachkollegen zum Ausdruck, der in erster Instanz im Herbst 2008 vom Berliner Kammergericht verurteilt worden war.

Was sagt das Embryonenschutzgesetz?

Die Fortpflanzungsmedizin stand noch ganz am Anfang, als in Deutschland im Jahr 1991 das Embryonenschutzgesetz in Kraft trat. Zu diesem Zeitpunkt war das erste Retortenbaby Louise Brown schon 13 Jahre alt. Nicht erstaunlich also, dass die PID in diesem Gesetz noch gar nicht erwähnt wird. Ausdrücklich mit Strafe bedroht wird dort allerdings, „wer es unternimmt, eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt“. Alle anschließenden Verwendungen der befruchteten Eizelle müssen deren Erhalt dienen. Die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken ist damit auf jeden Fall ausgeschlossen. Zudem sollen pro Behandlungszyklus höchstens drei Eizellen befruchtet werden. Nach strenger Auslegung ist daraus abzuleiten, dass alle befruchteten Eizellen auch eingepflanzt werden müssen und keine Auslese stattfinden darf. Die liberalere Auslegung stützt sich darauf, dass der „Zweck“ Schwangerschaft auch dort verfolgt wird, wo nur ausgewählte Embryonen eingepflanzt werden. In vielen Fällen wird das Ziel dadurch sogar besser erreicht.

Wie verliefen die Debatten über PID in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt?

Auf jeden Fall bewegt. Auf der einen Seite ist Lebensschutz in Deutschland ein besonders sensibles Thema. Auf der anderen Seite fällt die Diskrepanz zwischen Ablehnung der PID auf der einen und detaillierter vorgeburtlicher Untersuchung (Pränataldiagnostik) auf der anderen Seite auf. Diese zweite Form der Diagnostik während der Schwangerschaft wird allen Frauen ab 35 von den Kassen angeboten und führt beispielsweise bei Entdeckung einer Trisomie 21 oft zu Schwangerschaftsabbrüchen, die straffrei bleiben. Der wenige Tage alte Embryo im Labor scheint gesetzlich besser geschützt als der Fetus im Mutterleib.

Im Jahr 2000 empfahl eine Kommission der Bundesärztekammer denn auch, den Einsatz der PID unter strengen Auflagen für begrenzte Fälle straffrei zu stellen. Zwei Jahre später sprach sich die Biomedizin-Enquetekommission des Bundestags gegen die Zulassung der PID aus. 2003 votierte wiederum die Mehrheit der Mitglieder des damaligen Nationalen Ethikrats für ein umfassenderes Fortpflanzungsmedizingesetz, das auch die eingeschränkte Erlaubnis zur PID enthalten sollte. Als wichtiges Ziel wurde genannt, aufeinanderfolgende „Schwangerschaften auf Probe“ zu vermeiden, die mit Abbrüchen enden. Nach diesem Votum sollte die PID nur nach umfassender Beratung und an einigen wenigen Zentren möglich sein.

Droht nun ein Dammbruch beim

Lebensschutz, wie Kritiker fürchten?

Diese Gefahr sieht zumindest der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe (CDU). Es warnte vor Selektionen, was lebenswert sei und was nicht. Andere sehen den Weg zur gezielten Geschlechtswahl geebnet oder fürchten, es werde künftig nur noch „Designerbabies“ geben. Einzelne „Model“- oder „Fußballer“- Gene, auf die man testen könnte, gibt es allerdings nicht. Zudem ist die IvF, ohne die es keine PID gibt, eine mühsame und nicht ganz risikofreie Prozedur, die kaum ein fruchtbares Paar ohne Not in Anspruch nehmen würde. In Großbritannien, wo die PID schon seit den 90er Jahren erlaubt ist, gab es bis 2004 weniger als 500 Untersuchungen. In welchen Fällen eine PID erlaubt sein soll und wo „Dämme“ errichtet werden müssen, wird in jedem Fall eine gesellschaftliche und politische Frage bleiben.

Wie gehen andere Länder damit um?

Deutschland gehört neben Italien, Österreich und der Schweiz zur Minderheit der Länder in Europa, in denen die PID bisher nicht angeboten wird. Viele deutsche Paare, in deren Familien erbliche Krankheiten vorkommen, wenden sich daher an Zentren in Nachbarländern wie Belgien. In einem Gutachten, das im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung erstellt wurde, kam die Medizinsoziologin Irmgard Nippert von der Universität Münster 2007 zu dem Ergebnis, dass die Hälfte der Frauen, die sich in dem größten belgischen Zentrum für assistierte Reproduktion an der Freien Universität Brüssel einer PID unterziehen, aus dem Ausland kommen. Der „Reproduktionstourismus“ gilt als starkes Argument für einheitlichere europäische Regelungen. Auch wann die PID eingesetzt werden darf und wer darüber entscheidet, ist in Europa bisher recht unterschiedlich geregelt.

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