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Bald mit neuen (und alten) Kräften an ihrer Seite: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Minister von SPD und Union: Wem ist in diesem Kabinett Haltung zuzutrauen?

Deutschland zu regieren, erfordert weit mehr als die Fähigkeit, beflissen einen Koalitionsvertrag abzuarbeiten. Doch wer sieht über die Grenzen seines Ressorts hinaus? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Der Gesamteindruck: frisch, weitgehend unverbraucht, offen, jung, ziemlich weiblich, ein wenig östlich. Und dass sich die Riege der deutschen politischen Repräsentanz fundamental wandelt, lässt sich schon daran ablesen, dass Angela Merkel (63) und Horst Seehofer (68) im neuen Kabinett wie zwei Relikte wirken - Überbleibsel aus vergangener Zeit, erfahren zwar, aber über den Gipfel ihrer Schaffenskraft hinaus. Allen anderen darf man getrost zubilligen, ambitioniert zu sein, gestalten zu wollen. Dass sie fachlich kompetent sind – oder es in kurzer Zeit sein werden -, sollte bis zum Beweis des Gegenteils als vorausgesetzt gelten. Die 100-Tage-Regel, die einem neuen Team eine gewisse Schonzeit gewährt, ist ein guter Brauch. Auch Politik muss gelernt werden.

Ein Rundum-Sorglos-Paket ist dieses neue Kabinett trotzdem nicht. Denn wohin soll der Aufbruch gehen? Das ist unklar. Drei Verlierer-Parteien haben sich zusammengetan, zum Wohl des Landes, das ist ihnen hoch anzurechnen. Die Minister übernehmen Verantwortung, ohne ein Mandat für Reformen zu haben. Das wiederum bremst sie. Außerdem wissen sie, dass man nicht regieren und gleichzeitig Opposition sein kann.

Profilierung, Erneuerung, klare Kante zeigen: Vieles von dem, was die politische Kultur des Landes beleben könnte, müssen sich die Mitglieder des neuen Kabinetts verkneifen. Das gilt besonders für die der SPD und CSU. Sie könnten versucht sein, sich zunächst im Amt bewähren zu wollen, eine ordentliche Arbeit zu machen, nicht anzuecken oder gar Sand im Getriebe zu sein.

"Ganz gut" reicht nicht

Aber Deutschland zu regieren, erfordert weit mehr als die Fähigkeit, beflissen einen Koalitionsvertrag abzuarbeiten. Wer im neuen Kabinett sieht über die Grenzen seines Ressorts hinaus? Wem ist Haltung zuzutrauen? Auf wen lässt sich die Hoffnung gründen, einen verlässlichen inneren Kompass zu haben? Diese Fragen sind schwer zu beantworten. Man geht die Riege der Minister durch und denkt „ganz gut, interessant, nicht schlecht“. Doch das reicht nicht. Auch deshalb hinterlassen die Abgänge von Thomas de Maizière und Sigmar Gabriel etwas Wehmut.

Donald Trump entfesselt einen Handelskrieg, was tun? Wladimir Putin steht vor seiner erneuten Wiederwahl, wie umgehen mit Russland? Das Atomabkommen mit dem Iran, daran festhalten oder aufkündigen? Europa zwischen Brexit, Emmanuel Macron, italienischem Chaos, osteuropäischer Renationalisierung und rechtspopulistischer Mitsprache von Österreich bis Skandinavien – ist da noch was zu retten? Gar nicht zu reden von der anhaltenden Flüchtlingsproblematik, Erdogans Türkei, Netanjahus Israel, dem Krieg in Syrien, der Verwundbarkeit Deutschlands durch Hacker. All dem kann Merkel sich nicht alleine stellen. Und selbst wenn sie es täte, könnte die Last der Probleme sie erdrücken. Hinzu kommt, dass die Kanzlerin gelegentlich die Bodenhaftung verliert, wie zuletzt bei ihrer Kritik an der Essener Tafel.

Jung, weiblich, männlich, talentiert, ein wenig östlich: In solchen Beschreibungen des neuen Kabinetts schwingt bereits mit, was ihm fehlt. Das lateinische Wort dafür heißt „gravitas“, was sich frei übersetzen ließe mit Substanz, Ernsthaftigkeit, Tiefe. Wir lassen uns gerne eines Besseren belehren.

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