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Das Verkehrsministerium von Andreas Scheuer hatte einen Formfehler gemacht.

© Fabrizio Bensch/REUTERS

Mildere Strafen für Raser: Wie Andreas Scheuer ein Versäumnis seines Ministeriums ausnutzt

Verkehrsminister Andreas Scheuer will neue Fahrverbote mit einem Trick wieder kippen. Das sei „durchsichtig und dreist“, sagen Länderkollegen.

In welcher Stadt es passiert – ob Berlin, Hannover oder München – ist egal. Der Fauxpas kann überall passieren, und das schnell: Ein Autofahrer bei liegt auf einer gut ausgebauten Straße leicht über dem erlaubten Tempo von 50 Kilometern pro Stunde. Dann kommt ein Seniorenheim oder eine Schule; Verkehrsschilder weisen darauf hin, die Geschwindigkeit auf 30 Stundenkilometer zu drosseln.

Der Fahrer übersieht dies und wird prompt mit einer Überschreitung von mehr als 21 Stundenkilometern geblitzt. Die Folgen: 80 Euro Bußgeld, ein Punkt in Flensburg und Fahrverbot für einen Monat. Eigentlich. Zwar sieht der seit Ende April gültige Bußgeldkatalog diese Sanktionen vor, doch mehrere Bundesländer setzen den Vollzug der Vorschriften aus.

Grund ist ein Formfehler. In der novellierten Straßenverkehrsordnung (StVO) fehlt der Verweis auf die Rechtsgrundlage für die Fahrverbote. „Dies führt dazu, dass die Regelungen zu Fahrverboten nichtig sind“, schrieb Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) an seine Länderkollegen. Betroffen seien alle Fahrverbote, nicht nur für Raserei, sondern auch für gefährliche Überhol- und Abbiegeverstöße sowie für das unbefugte Nutzen einer Rettungsgasse, heißt es in dem Schreiben, das dem Tagesspiegel vorliegt.

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Pikant: Seit Wochen will Ressortchef Scheuer auf Druck von Automobilclubs, Taxifahrern und Straßenverkehrsgewerbe die erst kürzlich verschärften Fahrverbote wieder einkassieren. Diese werden schon bei dem ersten Verstoß für eine Überschreitung von 21 Stunden innerorts und 26 Stunden außerorts fällig. Früher lagen die Grenzen bei 31 beziehungsweise 41 Stundenkilometern.

„Schlamperei in der Umsetzung“

Nun nutzt Scheuer ausgerechnet ein Versäumnis seines eigenen Hauses, das allerdings auch im für die StVO-Novelle zuständigen Bundesrat unentdeckt blieb, um aus der vertrackten Situation herauszukommen. „Diese Rolle rückwärts ist vielleicht nicht überraschend, aber in der Form schon sehr durchsichtig und dreist“, sagte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) dem Tagesspiegel. „Besondere Chuzpe braucht es, die Schlamperei in der Umsetzung der Verordnung zu nutzen, um eine unliebsame Regelung auszuhebeln.“

Trotz der harschen Kritik an Scheuer geht Niedersachsen gemeinsam mit anderen Bundesländern den juristisch sichereren Weg. Das Innenressort in Hannover hat die Bußgeldstellen der Kommunen angewiesen, vorerst keine Fahrverbote nach den neuen Sätzen zu verhängen. Bereits ergangene Bußgeldbescheide blieben wirksam, erklärt eine Ministeriumssprecherin. „Soweit die Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sind, können jedoch Rechtsmittel eingelegt werden.“

Nach der neuen Regelung Fahrverbote ab einer Überschreitung von 21 km/h innerorts verhängt werden.
Nach der neuen Regelung Fahrverbote ab einer Überschreitung von 21 km/h innerorts verhängt werden.

© Sebastian Gollnow/dpa

Einen Freibrief für Raser bedeutet die Außervollzugsetzung allerdings nicht. Höhere Bußgelder sind davon gar nicht betroffen. Bei den Fahrverboten folgen Niedersachsen, Bayern und das Saarland der Forderung des Bundesverkehrsministeriums und greifen auf die vorherige Version zurück. „Wir werden ab sofort für laufende Verkehrsordnungswidrigkeitsverfahren die alte Rechtslage anwenden“, kündigte Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU) an. Thüringen sieht das anders, das Land will die verschärften Fahrverbote weiter anwenden. „Es gibt keinen Grund, diese Regelungen nun zugunsten von Rasern zurückzunehmen“, sagte Infrastrukturminister Benjamin-Immanuel Hoff (Linke).

Berlin wird nach Angaben der Verkehrsbehörde ebenfalls „laufende Bußgeldverfahren vorerst nach dem alten Recht“ behandeln. Man warte auf die vom Scheuer-Ressort angekündigte „bundeseinheitliche Vorgehensweise“, erklärt ein Sprecher von Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne).

Auch Berlin setzt die neuen Regeln aus

Uneinigkeit herrscht auch in der Frage, wie es weitergehen soll. Der Bundesverkehrsminister will dauerhaft zurück zu den milderen Tempo-Grenzen für Fahrverbote. Die neuen Sanktionen „haben zu erheblichen Ungereimtheiten im Sanktionsgefüge geführt“, schrieb Scheuer seinen Länderkollegen. „Der Bußgeldkatalog hat eine Unwucht bekommen, die es zu korrigieren gilt.“ Seit Wochen rührt Scheuer mit Unterstützung des ADAC und des Deutschen Anwaltvereins die Werbetrommel für seine Position.

In den Ländern springen ihm zumindest Unionspolitiker zur Seite. „Mit Blick auf die härteren Fahrverbote scheint die StVO-Novelle tatsächlich über das Ziel hinauszuschießen“, sagt etwa Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU). „Die Verschärfung zumindest an dieser Stelle wieder abzumildern – dafür sollten wir uns aufgeschlossen zeigen.“

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Die Kritiker der neuen Regeln verweisen darauf, dass die harten Fahrverbote nicht nur notorische Raser träfen, sondern auch umsichtige Verkehrsteilnehmer, wenn diese etwa aus Unachtsamkeit ein schlecht erkennbares Ortsschild übersähen. Berufskraftfahrer würden schon bei einem einzigen Fehler in ihrer Existenz bedroht. Hier genügten die erhöhten Bußgelder als Abschreckung.

Von einer „Verkehrtwende“ spricht dagegen die Gewerkschaft der Polizei (GdP). Scheuer torpediere das politische Bekenntnis für mehr Verkehrssicherheit, warnt GdP-Bundesvize Michael Mertens. „Natürlich muss der Formfehler korrigiert werden“, betont die Berliner Verkehrsbehörde.

Bundesrat stimmte für Verschärfung

Für eine Rückkehr zu den alten Regeln gebe es keine Veranlassung. Die Verschärfung des Bußgeldkatalogs sei zu Recht im Bundesrat mit Ländermehrheit beschlossen worden, damit Tempoverstöße wirksamer sanktioniert werden könnten. „Die Regelung ist keinesfalls unverhältnismäßig. Niemand ist gezwungen zu rasen.“

Niedersachsens Innenminister Pistorius beharrt – im Gegensatz zu seinem Koalitionspartner in Hannover – ebenfalls auf den schärferen Grenzen: „Raserei ist Todesursache Nummer eins auf unseren Straßen. Wir sollten uns dem Wohle unserer Bevölkerung verpflichten und nicht dem einiger lauter Lobbyisten.“

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