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Friedrich Merz pocht pocht auf mehr Hilfe für die Ukraine will vor dem Kanzler nach Kiew reisen.

© Oliver Dietze/dpa

CDU-Chef reist nach Kiew: Merz will Selenskyj treffen – BKA soll „ausdrücklich“ abgeraten haben

Erst NRW-Wahlkampf, dann die Reise nach Kiew. Was zu den Merz-Plänen bekannt ist und warum der Coup für den Kanzler und die SPD ein Problem ist. Eine Analyse.

Dem Kanzler drohen wieder Bilder, die misslich für sein Ansehen sein können - und kein geschlossenes Bild der deutschen Politik zeigen. Erst sein Schweigen hinter schwarzer Maske nach der Rede des aus dem Bunker zugeschalteten ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Bundestag. Nun will der deutsche Oppositionsführer Friedrich Merz noch vor dem deutschen Regierungschef bei Selenskyj in Kiew seine Solidarität ausdrücken. Das wirkt auf einige in der Koalition wie kontraproduktive Nebenaußenpolitik und dürfte auch im Kreml aufmerksam registriert werden.

Diese Umkehrung der Reihenfolge wäre eine internationale Premiere, ein Affront für Scholz, der ihn vor aller Welt bloßstellen würde. Und es wären Bilder, die die Wahlkämpfer der SPD in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen nicht gebrauchen können.

Dort hat die CDU aber ihr großes Wahlkampfthema gefunden: Olaf Scholz und sein Ukraine-Kurs.

Merz' Team hat bestätigt, dass er am Montag nach Kiew reisen wird, aber aus Sicherheitsgründen werden keine weiteren Details bekanntgegeben. Für Montag ist jedoch zunächst eine gemeinsame Präsidiumssitzung von CDU und CSU in Köln mit den Vorsitzenden Friedrich Merz und Markus Söder geplant, danach eine Pressekonferenz von Merz, Söder und dem wahlkämpfenden NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst. „Alle Termine finden wie geplant statt“, sagt sein Sprecher auf Tagesspiegel-Anfrage. Daher könnte Merz erst danach aufbrechen.

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Da die Zugfahrt von Polen aus in der Regel 13 Stunden dauert, wäre er in diesem Fall Dienstagmorgen wohl in Kiew – und würde die erste Klausur des Kabinetts von Kanzler Scholz in Schloss Meseberg, die an de, Tag stattfindet, etwas in den Schatten stellen.

Womöglich soll es auch ein persönliches Treffen mit Selenskyj geben, zumindest bemüht man sich darum.

Hat die Reise mit den Landtagswahlen zu tun?

Selenskyj hatte wiederholt betont: Besucher sind willkommen, aber nicht, um irgendwelche „Selfies“ oder um Polittourismus zu machen. Das heißt im Umkehrschluss: Politikerreisen, die auch mit Landtagswahlen zusammenhängen könnten, wäre nicht im Interesse der Ukraine. Nachdem die Ausschussvorsitzenden Marie-Agnes Strack-Zimmerman (FDP), Anton Hofreiter (Grüne) und Michael Roth (SPD) in der Westukraine waren, wäre es der bisher ranghöchste Besuch eines Bundespolitikers in Kiew.

Merz hat Scholz informiert

Die Reise ist auch dem Kanzleramt bekannt. Ein Regierungssprecher teilte auf Anfrage mit: "Ich kann bestätigen, dass Friedrich Merz den Bundeskanzler vorab über seine Pläne informiert hat." Merz ist nach Tagesspiegel-Informationen vom Kanzleramt außenpolitische Beratung angeboten worden, die er aber bislang abgelehnt haben soll.

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BKA soll von der Reise abgeraten haben

Besonders brisant: Das Bundeskriminalamt (BKA) soll nach Tagesspiegel-Informationen Merz von der Reise „ausdrücklich“ abgeraten und ihn gebeten haben, die Reise zu verschieben. Merz hatte erst am Freitag die Sicherheitsbehörden über die Reise informiert.

Das BKA soll betont haben, es brauche für so eine gefährliche Reise in das Kriegsgebiet etwas mehr Vorlauf. Auch soll Merz BKA-Personenschutz abgelehnt habe. Das Bundesinnenministerium wollte sich dazu auf Anfrage nicht äußern. Ein CDU-Sprecher sagte lediglich: "Zu Reisedetails und Organisation der Sicherheit kein Kommentar".

Scholz dagegen machte derweil nochmal deutlich, dass ihm übereiltes, impulsives Agieren generell suspekt sei. Zugleich legt Merz das grundlegende Problem offen, dass Scholz ja schon viel früher hätte hinfahren und ein Signal setzen können, gerade nach der Debatte um die Reaktion auf die Selenskyj-Rede im Bundestag.

Was Merz mit seiner Reise bezwecken will - die SPD-Spitze schweigt lieber

Der Stabschef von Merz, Jacob Schrot, betont, es gehe um Solidarität, Merz wolle zudem zuhören und die konkreten Unterstützungsbitten der ukrainischen Gesprächspartner nach Deutschland tragen. „Deutschlands Unterstützung der Ukraine ist keine Frage von Regierung vs. Opposition“, betont er.

Deshalb habe die demokratische Mitte des Deutschen Bundestags auch einen gemeinsamen Antrag zur Unterstützung der Ukraine – auch mit schweren Waffen – verabschiedet – gleichwohl war das eine schwere Geburt und Merz nutzte die Debatte weniger zur Auseinandersetzung mit dem russischen Angriffskrieg als zu einer Abrechnung mit Scholz, dessen Zustimmungswerte zuletzt eingebrochen sind.

„Diese gemeinsame staatspolitische Verantwortung von Opposition + Regierung will Friedrich Merz mit seinem Besuch zum Ausdruck bringen“, twitterte Schrot. Aber als Oppositionspolitiker kann er Kiew nichts konkreten anbieten.

Die SPD-Spitze will das Ganze vorerst nicht kommentieren, aber die Mission von Merz dürfte als Anmaßung und Affront gewertet werden. SPD-Chef Lars Klingbeil kritisierte zuletzt im Bundestag, Merz gehe es vor allem um parteipolitische Spielchen, nicht aber um staatspolitische Verantwortung in diesen Kriegszeiten.

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Kanzler Olaf Scholz hört einer Rede von Friedrich Merz im Bundestag zu.
Kanzler Olaf Scholz hört einer Rede von Friedrich Merz im Bundestag zu.

© Odd ANDERSEN / AFP

Der Kanzler sucht lieber Lösungen, statt Symbolpolitik zu machen

Scholz selbst hält wenig von Symbolpolitik, arbeitet lieber hinter den Kulissen an Lösungen. Selenskyj hat den Kanzler explizit nach Kiew eingeladen, nachdem er einen Besuch des wegen seiner früheren Russland-Politik in Kiew umstrittenen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier für unpassend hielt. Um den Bundespräsidenten nicht zu brüskieren, hatte Scholz aber auf einen Kiew-Besuch zunächst verzichtet, nach dem Sieg von Emmanuel Macron bei der französischen Präsidentschaftswahl halten sich Gerüchte, dass die beiden zusammen nach Kiew reisen können.

Johnson und Scholz geben eine Pk, dann reist einer nach Kiew, einer nach Lübeck

Doch alles nach Merz könnte für Scholz komisch aussehen, würde jedenfalls das Bild des Zauderers und Zögerlichen vor aller Welt verstärken. Am 8. April zum Beispiel war er zu Gast bei Großbritanniens Premier Boris Johnson in London, bei der PK wurde nach Reiseplänen gefragt, beide hielten sich bedeckt – am nächsten Tag spazierte Premier Johnson mit Selenskyj durch Kiew – während Scholz Wahlkampf in Lübeck machte.

Insgesamt ist zuletzt ein schiefes Bild entstanden, wird in Regierungskreisen etwas frustriert eingeräumt; das nutzt die Union als größte Oppositionspartei aus.

Niemand sollte vergessen, dass es im Bundestag auch eine Mehrheit für eine Jamaika-Koalition geben würde, sollte Scholz das Vertrauen der Ampel-Koalition verlieren und diese zerbrechen.

Großbritanniens Premier Boris Johnson geht mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyi durch Kiew.
Großbritanniens Premier Boris Johnson geht mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyi durch Kiew.

© Reuters

Merz: Kanzler hat ein Problem - mit seiner Koalition

Merz betont, das Problem für den Kanzler sei nicht die Union, sondern der Streit in seiner Koalition. Deutschland macht jedoch eigentlich genau das, was andere Nato-Partner und teils noch mehr, was gerade finanzielle und militärische Hilfe betrifft – aber kommuniziert es derart schlecht, dass im In- wie im Ausland das Bild eines Durcheinanders und ängstlichen Zögerns entsteht.

Anders als im Irak-Krieg, als Unions-Fraktionschefin Angela Merkel sich George W. Bush andiente und sich klar vom Nein des Kanzlers Gerhard Schröder zum mit falschen „Beweisen“ von den USA angezettelten Irak-Krieg distanzierte, gibt es im Ukraine-Krieg keinen grundlegenden Unterschied zwischen Union und SPD.

Ein Armin Laschet hätte es Scholz sicher leichter gemacht, aber Merz will mit seinem offensiven Politikstil die Schwächen beim Kanzler offenlegen. So scheiterte auch dessen Ziel einer allgemeinen Impfpflicht, und nach der Selenskyj-Rede forderte er Scholz eindringlich auf, Stellung zu nehmen, Tagesordnung im Bundestag hin oder her. Scholz schwieg.

Merz reklamiert für sich, dass erst durch den Druck der Union die Bewegung bei der Lieferung schwerer Waffen entstanden sei. Der Kanzler hatte zunächst vor einer nuklearen Eskalation mit Russland gewarnt, was als Absage an die Lieferung deutscher Panzer verstanden wurde, gerade auch in der SPD. Das wurde mehrere Tage so kommuniziert, plötzlich sickerte durch, dass die Regierung grünes Licht für die Lieferung von Gepard-Panzern gibt, die von Kraus-Maffei Wegmann allerdings erstmal generalüberholt werden müssen.

Umfragen sagen: Viele stützten auch Scholz' abwägenden Kurs

Auf jeder CDU-Veranstaltung im NRW-Wahlkampf geht es um den Krieg und den Kanzler, bei der SPD verweisen sie darauf, dass das Stimmungsbild in der Bevölkerung aber gespalten sei, dass gerade ältere Bürger, die den Krieg noch erlebt haben, da beim abwägenden Kurs des Kanzlers sind.

Nach der Niederlage im Saarland und seinem Raushalten aus dem Wahlkampf geht es für den Partei- und Fraktionschef Merz auch darum, dass er etwas zu Wahlsiegen beitragen kann. Ob sein Agiere einen Effekt hat, wird sich noch zeigen müssen.

Scholz gibt sich kämpferisch - und plant TV-Auftritt

Dass Scholz auch ein anderes Gesicht zeigen kann, wurde bei einer Kundgebung zum 1. Mai in Düsseldorf deutlich. Er musste dort gegen ein Pfeifkonzert anschreien. Er rief dort - auch mit Blick auf einem Offenen Brief von Prominenten - er respektiere jeden Pazifismus. "Aber es muss einem Bürger der Ukraine zynisch vorkommen, wenn ihm gesagt wird, er solle sich gegen die putinsche Aggression ohne Waffen verteidigen. Das ist aus der Zeit gefallen." Um seinen Kurs nochmal besser zu erklären, wird er am Montag auch in der ZDF-Sendung "Was nun...?" zu Gast sein - während Merz dann nach Kiew reisen will.

Im Wahlkampf hieß es: "Scholz packt das an"

Die Bundestagswahl gewann die SPD durch glänzende Kommunikation und klare Botschaften. „Scholz packt das an“, lautete der Slogan. Davon ist in den Augen auch einiger in der SPD wenig geblieben. Und in solchen ungewöhnlichen Zeichen braucht es mitunter auch starke Gesten, wird immer wieder betont. Auch die 82-jährige Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, hat sich auf den weiten und beschwerlichen Weg nach Kiew gemacht und kam dort am Sonntag an.

Der menschenrechtspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Michael Brand, geht hart mit Scholz ins Gericht. „Friedrich Merz tut das, was ein Bundeskanzler längst hätte tun müssen“, sagt er auf Tagesspiegel-Anfrage. „Viele Regierungschefs, Außenminister und andere haben sich mit der Ukraine durch Präsenz vor Ort in Kiew symbolisch verbunden. Die deutsche Regierung meidet das wie der Teufel das Weihwasser, so wie sie rasche und ernsthafte Unterstützung der Ukraine im Überlebenskampf verweigert hat.“

Scholz sehe „immer mehr wie ein kleiner feiger Mann aus, und nicht wie der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland“ Es sei nicht nur aktuell, sondern auch für die Geschichte wichtig, „dass wenigstens der Oppositionsführer im Deutschen Bundestag, wie auch die drei Ausschussvorsitzenden aus der Koalition, die Ehre unseres Landes versuchen zu retten.“

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