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Bundeskanzlerin Angela Merkel nahm das Zeremoniell an diesem Donnerstag beim Besuch von Mette Frederiksen teilweise im Sitzen ab.

© Tobias SCHWARZ / AFP

Merkels Zittern: Worauf wir einen Anspruch haben

Nach dem dritten Zitteranfall kann sich die Kanzlerin nicht auf ihre Privatsphäre berufen. Sie schuldet dem Souverän ein ärztliches Attest. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Innerhalb von drei Wochen erleidet Angela Merkel drei Zitteranfälle. Sie wird bedauert, die Anteilnahme ist groß. Zu Recht. Ist sie doch ein Mensch, mit allen Stärken und Schwächen. Aber sie ist eben auch eine öffentliche Person. Und damit wird es schwierig.

Merkel ist nun mal die Bundeskanzlerin, als solche nach mancherlei Lesart die mächtigste Politikerin der westlichen Welt, in jedem Fall Regierungschefin der mächtigsten Nation im Herzen Europas. Wenn die – weltweit aufmerksam registriert – krank erscheint, bei Besuchern die Nationalhymne im Sitzen hört, ist das politisch. Hochpolitisch. Denn damit stellen sich Fragen nach ihrer Amtsfähigkeit.
Sie beteuert, dass es ihr gut gehe. Und sagt, dass man das doch akzeptieren könne. Ja, für den Menschen Angela Merkel trifft das zu. Für die Politikerin ist das problematisch. Will sie nicht, dass ihre Amtsfähigkeit infrage gestellt wird, muss sie transparenter werden.

Sich im öffentlichen Amt auf die Privatsphäre zu berufen, wird nicht ausreichen. Nicht mehr. Unter den Kanzlern Brandt, Schmidt, Kohl war das noch anders, gesundheitliche Probleme wurden verschwiegen. Aber nun, da Nachrichten und Videos in Sekundenschnelle um die Welt gehen, geht das „Persönliche ins Regierungsamtliche“ über. Ein Begriff des Politologen Heinrich Oberreuter, der zugleich anteilnehmend sagt: „Niemand hat Interesse, die Amtsfähigkeit der Kanzlerin eingeschränkt zu sehen.“ Gerade weil das so ist, weil dahinter auch der Mensch gesehen werden muss, sollte sich Merkel schützen – indem sie Gerüchten keinen Raum lässt.

Merkel darf Gerüchten keinen Raum lassen

Was sie aber tut. Ihren ersten Anfall begründete sie noch mit Flüssigkeitsmangel bei hohen Temperaturen. Jetzt spricht sie von einem „psychologisch-verarbeitenden Prozess“. Persönlich ist ihr zu wünschen, dass zutrifft, was sie sagt: „Ich glaube, dass es so, wie es gekommen ist, eines Tages auch vergehen wird. Aber es ist noch nicht so weit.“ Als Bundeskanzlerin schuldet sie uns, dem Souverän, dem sie das Amt verdankt, mehr.

Merkel muss die Öffentlichkeit nicht einweihen in Details ihres körperlichen Zustandes, in Gewicht, Body Mass Index, Wehwehchen. Anders als in den USA, wo es gang und gäbe ist, dass über den Präsident quasi ein Gesundheitsgutachten erstellt wird. Doch muss sie in dieser Lage jetzt einen Arzt ihres Vertrauens beauftragen, wachsende Zweifel auszuräumen.

Es geht um ein offizielles Bulletin, in dem ihr die nötige Gesundheit bescheinigt wird. Der Arzt haftet dafür mit Ruf und Zulassung. Das ist zur Beruhigung und zum Vertrauen in eine uneingeschränkte Ausübung des Amts erforderlich. Konrad Adenauer legte damals von sich aus ein Attest vor, dass er mindestens ein Jahr amtieren könne. Er wollte Zweifel zerstreuen. Was gelang, wie wir wissen. Angela Merkel hat ihn bald an Amtsjahren eingeholt.

Das gilt zumal, weil die Erklärung der Bundeskanzlerin, dass sie das erste Zittern noch nicht verarbeitet habe, da in einem Prozess sei, nicht wirklich beruhigend ist. Hier wäre dann psychologische Betreuung und fachärztliche Behandlung erforderlich. Was an Siri Hustvedts Buch „Die zitternde Frau“ erinnert, eine Frau, die nach dem Tod ihres Vaters urplötzlich zu zittern beginnt, so sehr nimmt sie der Verlust mit. Nur so viel: Angela Merkel hat sowohl Vater als auch, gar nicht so lange her, ihre Mutter verloren. Und sie ist doch auch nur ein Mensch.

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