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Österreichs neuer Kanzler in Berlin: Merkel und Kern betonen Einigkeit in Flüchtlingspolitik

Der neue österreichische Kanzler Kern hebt bei seinem Antrittsbesuch die Gemeinsamkeiten mit Deutschland in der Flüchtlingspolitik hervor. Eine Abkehr vom verschärften Kurs seines Vorgängers ist indes nicht zu erwarten.

Österreichs neuer Kanzler Kern will bei Grenzkontrollen "absolut behutsam" vorgehen.

© John MacDougall / AFP

Es ist nicht so, dass Angela Merkel angesichts der nahenden Sommerpause schon mal einen Gang runterschalten könnte. Im Gegenteil, die Zeiten könnten unruhiger kaum sein. Da wäre zunächst der drohende Austritt Großbritanniens aus der EU: Wie kann im Fall eines Brexit ein Dominoeffekt und Auseinanderbrechen Europas verhindert werden?

Die zweite Herausforderung Merkels hat es ebenfalls in sich: Am Freitag und Samstag steht die lang geplante Klausurtagung von CDU und CSU in Potsdam an. Wie können Merkel und Seehofer nach den monatelangen Querschüssen aus München wieder zueinanderfinden?  Einzig die sommerlichen Temperaturen lassen erahnen, dass bald die Urlaubszeit beginnt, keine Zeit zum Durchschnaufen für die Kanzlerin.

Angesichts dieser Aussichten dürfte der Gast, den die Kanzlerin am Donnerstag in Berlin empfangen hat, eine angehnehme Abwechslung gewesen sein. Der neue österreichische Bundeskanzler Christian Kern war zu seinem Antrittsbesuch ins Kanzleramt gekommen.

Die Aufgaben des neuen österreichischen Kanzlers sind nicht minder schwer

Und auch der ehemalige Bahnchef hat, gerade mal gut ein Monat im Amt, nicht minder schwere Aufgaben zu lösen. So muss er nicht nur den richtigen Umgang mit der rechts stehenden FPÖ finden, sondern auch die zahlreichen Wähler zurückholen, die sich von der Mitte abwenden.

Als wäre das nicht schon genug, steht auch noch eine mögliche Wiederholung der Bundespräsidentenwahl im Raum. Bei der Wahl im Mai hatte der Grüne Alexander Van der Bellen mit hauchdünnem Vorsprung gegen den FPÖ-Kandidaten Hofer gewonnen. Doch aktuell deutet einiges darauf hin, dass sich einzelne Wahlhelfer nicht ganz korrekt verhalten haben könnten. Das Verfassungsgericht prüft derzeit etwaige Unregelmäßigkeiten. Nach einer möglichen Neuwahl könnte der Sieger diesmal ein Rechtspopulist sein.

Der 50 Jahre alte Shootingstar Kern hat in den ersten Wochen vor allem durch einen neuen politischen Stil auf sich aufmerksam gemacht. Gelassen im Ton, aber hart in der Sprache, lautet etwa sein Credo im Umgang mit den Rechten. Bei seiner Stippvisite in Berlin betonte er denn auch den Wert der deutsch-österreichischen Zusammenarbeit. Kern sprach von "exzellenten nachbarschaftlichen Beziehungen".

Während der Pressekonferenz ließen sich Merkel und Kern sogar auch auf einen kurzen Plausch in Sachen Fußball und dem Abschneiden der beiden Länder bei der EM ein. Allein, so harmonisch klang das zuletzt weniger, was zwischen Wien und Berlin gesprochen wurde.

In der Flüchtlingspolitik lagen die Kanzlerin und Kerns Vorgänger mächtig über Kreuz

Mit Kerns Vorgänger, dem zurückgetretenen Werner Faymann, hatte Merkel zuletzt mächtig über Kreuz gelegen. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im vergangenen Herbst sah Merkel in Faymann noch einen zuverlässigen Partner in der EU. Einigkeit demonstrierten sie, als der Österreicher im September in Berlin war.

Bei der anschließenden Pressekonferenz sagte Merkel den inzwischen berühmten Satz, der in der Formulierung „…dann ist das nicht mein Land“ mündete. Während Ungarn die Grenzen dicht machte, war auf Österreich stets Verlass gewesen. Etwa, als tausende Flüchtlinge am Bahnhof in Budapest festsaßen, und die Deutsche und der Österreicher die Menschen weiterreisen ließen.

Merkel blieb ihrem Kurs in der Flüchtlingspolitik weitgehend treu. Ihr österreichischer Kollege aber vollzog im Laufe der folgenden Monate eine 180-Grad-Wende. Getrieben von der rechtspopulistischen FPÖ und unter Druck gesetzt von seinem Koalitionspartner, der ÖVP, schlug Faymann in der Flüchtlingspolitik eine härtere Gangart ein.

Mal führte Faymann Flüchtlingskontingente ein (Merkel war immer gegen Obergrenzen), dann unterstützte das Alpenland auch noch die Grenzschließungen und -kontrollen auf dem Balkan (Merkel hatte Grenzschließungen immer ausgeschlossen). Auch verbal kühlte sich das deutsch-österreichische Verhältnis ab. Immer wieder griff Faymann seine deutsche Kollegin für ihren angeblich zu liberalen Flüchtlingskurs an.

Trotz der Einigkeit: Einiges deutet darauf hin, dass Kern den Flüchtlingskurs seines Vorgängers beibehalten wird

Zwar ist es noch zu früh, um abzusehen, ob Kern in der Flüchtlingspolitik einen weniger rigiden Kurs einschlagen wird. Die Zeichen deuten allerdings eher darauf, dass der SPÖ-Politiker den Weg seines Vorgängers weitergehen wird. Einmal, weil sein Koalitionspartner von der Volkspartei etwas anderes kaum mittragen würde. Seine sozialdemokratische Partei ist in der Frage gespalten.

Zum anderen, weil er nach dem Treffen mit Angela Merkel zwar die Gemeinsamkeiten mit der Kanzlerin betonte, im gleichen Atemzug aber darauf beharrte, an der von seinem Vorgänger eingeführte Obergrenze von 37.500 Flüchtlingen für 2016 festhalten zu wollen. So verteidigte er die Maßnahmen als Reaktion auf die "Sorgen des österreichischen Volkes".

Nichtsdestotrotz waren Merkel wie Kern bemüht, die Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Österreich in der Flüchtlingspolitik zu betonen. So unterstützten beide das Flüchtlingsabkommen zwischen EU und der Türkei, wie die Kanzlerin sagte. Auch in der fairen Verteilung von Flüchtlingen und dem Schutz der Außengrenzen präsentierten Merkel und Kern Einigkeit – insbesondere in Abgrenzung zu jenen EU-Staaten, die sich in der Angelegenheit bislang sperren. "Hier geht es darum zu beweisen, dass Europa ein solidarisches Projekt zu sein hat", sagte Kern.

Kern: "Nachricht vom Untergang Europas ist doch reichlich übertrieben"

Ähnliche Töne waren bereits am Mittwoch zu hören, als Kern sich mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Brüssel traf. „Absolut behutsam“, sagte der Österreicher da, wolle er in Sachen Grenzkontrollen vorgehen. Zudem betonte Kern, dass er – entgegen der Ankündigung seines Vorgängers Faymann – zurzeit keine Notwendigkeit für Kontrollen am Brenner sehe.

Natürlich ist auch das Thema Brexit aufgekommen. Abermals bekräftigte Merkel ihre Hoffnung, dass die Briten für einen Verbleib in der EU stimmen. Ihr Kollege aus Österreich legte den Fokus auf die Stärke des europäischen Projekts, unabhängig davon, wie das Brexit-Referendum ausgeht. "Die Nachricht vom Untergang ist doch reichlich übertrieben", sagte Kern in Anspielung auf ein Zitat von Mark Twain.

Am kommenden Dienstag sehen sie sich wieder - um über das britische Referendum zu beraten

Vor dem Hintergrund der aktuellen großen Aufgaben, so kann man die Worte von Merkel und Kern deuten, soll kaum ein Blatt Papier zwischen das deutsch-österreichische Doppel passen. Andererseits: Es ist ja noch nicht mal ein Jahr her, da galt das Bündnis Merkel/Faymann als ähnlich eng. Es dürfte vor allem von der Innenpolitik in Österreich abhängen, wie sich der neue Kanzler weiter verhalten wird.

Bereits am Dienstag jedenfalls können Merkel und Kern schon unter Beweis stellen, wie gut die Zusammenarbeit zwischen ihnen funktioniert. Dann werden sie sich wiedersehen, beim Europäischen Rat in Brüssel, um mit den übrigen Staats- und Regierungschefs über den Ausgang des britischen Referendums zu beraten.

Daniel Godeck

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