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Arbeitsminister Hubertus Heil will das Bürgergeld reformieren.

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Update

„Menschenunwürdig“: Scharfe Kritik aus SPD und Grünen an Heils Bürgergeld-Plänen

Nicht nur bei den Jusos kommen die Pläne des Arbeitsministers schlecht an. Heil droht damit, bei Arbeitsverweigerung den Regelbedarf für bis zu zwei Monate auszusetzen.

| Update:

Der Vorstoß von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), Bürgergeld-Empfängern bei Arbeitsverweigerung zeitweise die Unterstützung komplett zu streichen, stößt in Teilen der SPD und bei den Grünen auf Kritik. Der Grünen-Arbeitsmarktexperte Andreas Audretsch warnte am Freitag im „Spiegel“ davor, zu überziehen. „Das Bundesverfassungsgericht hat im November 2019 zu Sanktionen geurteilt und strenge Vorgaben für die Kürzung des Existenzminimums gemacht“, sagte Audretsch.

„Artikel eins unseres Grundgesetzes garantiert allen Menschen in Deutschland ein Leben in Würde“, sagte der Grünen-Arbeitsmarktexperte Audretsch. „Anhand dieser Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts werden wir jeden Vorschlag zur Reform prüfen und messen“, kündigte er an.

Heil hatte der „Bild“-Zeitung gesagt, die Bundesregierung wolle die „Sanktionsmöglichkeiten gegen Totalverweigerer“ verschärfen. Wer sich allen Jobangeboten verweigere, „muss mit härteren Konsequenzen rechnen“, so Heil.

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Der sogenannte Regelbedarf soll künftig für bis zu zwei Monate komplett gestrichen werden, „wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte sich willentlich weigern, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen“. So heißt es in einem Entwurf des Arbeitsministeriums, der der sich derzeit in der regierungsinternen Abstimmung befindet und dem Tagesspiegel vorliegt.

170
Millionen Euro könnten durch Sanktionsverschärfungen jährlich eingespart werden.

Das Bürgergeld, das in diesem Jahr die Hartz-IV-Leistungen abgelöst hat, kann bisher um bis zu 30 Prozent gekappt werden. Laut Gesetzentwurf könnten durch die Sanktionsverschärfung rund 170 Millionen Euro pro Jahr gespart werden, wovon der Bund 150 Millionen Euro und die Kommunen 20 Millionen Euro einbehalten dürften.

Aus den Jobcentern gebe es Praxisberichte, wonach „einige wenige Beziehende von Bürgergeld zumutbare Arbeitsaufnahmen beharrlich verweigern und somit bewusst ihre Hilfebedürftigkeit aufrechterhalten beziehungsweise nicht vermindern“ heißt es in Regierungskreisen.

Der Sozialstaat sei „darauf angewiesen, dass Mittel der Allgemeinheit, die zur Hilfe für deren bedürftige Mitglieder bestimmt sind, nur in Fällen in Anspruch genommen werden, in denen wirkliche Bedürftigkeit vorliegt“.

Der Abstand zwischen Löhnen und Bürgergeld muss spürbar sein.

Carl-Julius Cronenberg, FDP-Sozialpolitiker

Auch die Jungsozialisten kritisieren die Pläne. „In einem Rechtsstaat ist es nicht vertretbar, Menschen als Sanktion hungern zu lassen“, sagte der Juso-Vorsitzende Philipp Türmer dem Tagesspiegel: „Der Vorschlag, sämtliche Leistungen abseits der Miete zu streichen ist weder mit der Menschenwürde noch mit dem Grundgedanken des Bürgergelds vereinbar.“

Das Bürgergeld sollte eine Abkehr von der Hartz-IV-Ideologie darstellen, damit Sozialhilfeempfänger nicht ständig den Entzug ihrer Lebensgrundlage fürchten müssten, sagte der Vorsitzende der SPD-Jugendorganisation: „Diese permanente über den Köpfen schwebende Drohung darf nicht wieder in das Leben der Bürgergeldempfänger zurückkehren.“

Diese Angst beträfe nicht nur die direkt Sanktionierten, „sondern genauso alle anderen, die immer mit der Angst leben müssen, dass eine verpasste Reaktion auf einen Brief oder ein Fehler des Mitarbeiters im Jobcenter zum Verlust ihrer Existenzgrundlage führt“, sagte Türmer: „Die vorgeschlagene Verschärfung der Sanktionen darf nicht kommen.“

Der dem linken Parteiflügel der SPD angehörende Sebastian Roloff sagte dem „Spiegel“, er sei ohnehin „kein Fan“ der Idee gewesen, die im Zuge des Karlsruher Haushaltsurteils gestrichenen Mittel aus dem Klima- und Transformationsfonds „bei den Schwächsten zu kompensieren“. „Jetzt jenseits des Bundesverfassungsgerichts eine komplette Streichung für zwei Monate vorzuschlagen, verwundert doch sehr. Auch eingedenk der Position der SPD“, sagt Roloff, der Mitglied im SPD-Parteivorstand ist.

Die Grüne Jugend kritisierte den Vorstoß des Arbeitsministers als „menschenunwürdig“. Katharina Stolla, Co-Chefin der Grünen Jugend, sagte dem „Spiegel“, Heil untergrabe selbst die Zustimmung zum Sozialstaat, „indem er mit diesem Vorstoß ein allgemeines Misstrauen gegenüber Arbeitslosen noch weiter befeuert“. Statt Kürzungen vorzunehmen, sei es nötig, dass der Sozialstaat „großflächig ausgebaut“ werde. Alles andere sei „unehrlich und ignorant gegenüber den vielen Menschen, die durch persönliche Schicksale und komplizierte Biografien auf Sozialhilfe angewiesen“ seien.

Zustimmung aus CDU und FDP

Aus FDP und CDU kam Zustimmung zu Heils Plänen. „Der Vorstoß des Arbeitsministers geht in die richtige Richtung. Es ist der Solidargemeinschaft der Steuerzahler nicht zuzumuten, dass sich andere auf ihre Kosten ausruhen“, sagte der FDP-Sozialpolitiker Carl-Julius Cronenberg dem Tagesspiegel. Für die Akzeptanz des Sozialstaats müsse sich Arbeit und Leistung lohnen. „Der Abstand zwischen Löhnen und Bürgergeld muss spürbar sein und die richtigen Anreize setzen.“

Der CDU-Sozialpolitiker Stefan Nacke sagte dem Tagesspiegel: „Die Solidarleistung des Bürgergeldes darf keine Einbahnstraße sein.“ Sofern es nicht möglich sei, dass man selbst für sich sorge, erwarte die Gesellschaft zurecht Mitwirkung bei Vermittlungs- und Weiterbildungsangeboten.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) unterstützt den Vorstoß ebenfalls. „Damit setzt der Arbeitsminister nicht nur seinen Beitrag zum Haushaltskonzept 2024 um. Vor allem wird die Akzeptanz des Sozialstaats gestärkt, wenn auch Gegenleistungen gefordert werden“, sagte Lindner der Deutschen Presse-Agentur. Das erwarteten die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu Recht. Im kommenden Jahr müsse weiter in diese Richtung gedacht werden, sagte Lindner. „Das System unserer Sozialleistungen muss daraufhin geprüft werden, dass sich Arbeit stets mehr lohnt als der Verzicht auf einen Job.“

Angesichts der Debatte, ob sich Arbeit noch lohne, schwenke „die Ampel viel zu spät um“, sagte Nacke: „Im Empfinden der Bürger waren klare Sanktionen immer schon selbstverständliche Voraussetzungen für den Zusammenhang von Fördern und Fordern.“

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