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Bundesfinanzminister Christian Lindner stellt sich im Rahmen seiner so genannten Bürgerdialogtour JETZT Im Dialog Fragen von Bürgerinnen und Bürgern in Lübeck.

© imago/Chris Emil Janßen/IMAGO/Chris Emil Janssen

„Menschenrechte über Profite!“: Linke Aktivisten stören Auftritt von Lindner in Leipzig

Ein Auftritt des Finanzministers wird immer wieder von Rufen und Gesang unterbrochen. Der FDP-Chef gibt Kontra– und scheint das Gefecht ein wenig zu genießen.

Sie stehen auf, sie rufen, sie singen. Immer wieder. „Menschenrechte über Profite!“, brüllen die jungen Leute, oder: „Christian Lindner schützt die Reichen!“ Erst beginnt ein junger Mann in Reihe drei, dann zwei Frauen in Reihe sieben. Dann stehen mehr und mehr Gäste auf, brüllen Fragen und Parolen, singen Anti-Lindner-Lieder.

Donnerstagnachmittag, Leipzig, Kupfersaal. Etwa 500 Menschen sind gekommen, um Finanzminister Lindner (FDP) zu hören. Eingeladen haben die Liberale Hochschulgruppe und die Friedrich-Naumann-Stiftung. Ein Volkswirt von der Universität Leipzig will Lindner befragen. Thema: Staatsschulden.

Als Lindner über den Klimawandel spricht, beginnen die Störaktionen

Schon die Begrüßung gibt einen Hinweis darauf, was etwa 20 Minuten später folgen wird. „FDP: Fick die Polizei!“, rufen drei oder vier junge Leute in den Saal. Dann ist Ruhe. Vorerst. Ausgerechnet während Lindner über Treibhausneutralität und die Bekämpfung des Klimawandels („eine Überlebensfrage für Menschheit“) spricht, gegen 15.30 Uhr, beginnen die Störaktionen.

Ob er etwas für den Schutz der Lebensgrundlagen und soziale Gerechtigkeit tue, will der junge Mann in Reihe drei von Lindner wissen, stehend und lautstark wiederholt er seine Frage. „Die Antwort ist Ja“, ruft Lindner von der Bühne, „jetzt können Sie wieder Platz nehmen.“

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Von wegen. An verschiedenen Stellen des Saales stehen Aktivisten immer wieder auf. Die beiden Frauen in Reihe sieben geben eine Gesangseinlage: „Für die FDP steht Wirtschaft vor den Menschen. Für die FDP steht Wirtschaft vor der Umwelt …“

Sie hätten das ja „choreografisch aufgebaut“, spottet Lindner und kündigt mit fester und lauter Stimme an, er werde sich seiner „technischen Möglichkeiten mit der Akustik“ bedienen. Die Stimme des Finanzministers über die Lautsprecher wird lauter. Die Protest-Gesänge ebenfalls. „Sie wollen nur rufen!“, presst Lindner in sein Mikrofon: „Aber in der Demokratie stellt man nicht nur Fragen, sondern wartet auch auf Antworten. In Wahrheit sind Sie gar nicht an Antworten interessiert.“

Lindner ärgert und freut der Protest zugleich

Angespannt ist die Stimmung im Kupfersaal. Lindner, so scheint es, ärgert und freut der Protest zugleich. Der rhetorischen Reibung jedenfalls geht er mitnichten aus dem Weg. Ganz im Gegenteil. „Sie wollen sich gar nicht irritieren lassen in Ihrem festgefahrenen Weltbild“, ruft er den singenden, rufenden, sich selbst fotografierenden und filmenden Störern zu: „Sie tragen dazu bei, die Gesellschaft zu spalten! Hören Sie auf damit!“ Der gesellschaftliche Konsens, sagt Lindner, werde „von rechts oder von Ihnen von links gefährdet“.

Die Stimmung im Saal ist nun auf der Seite Lindners, die große Mehrheit hier will den FDP-Chef hören. „Gründen Sie eine Partei und machen Sie sie mehrheitsfähig!“ ruft er jetzt den Störern zu. „Haut ab“, rufen Zuhörer den Störern zu, „haut ab!“

Der Protest dauert schon eine Weile, als die Störer plötzlich ein ganz aktuelles Thema ansprechen: „Warum ist Ihre Partei immer noch gegen das Lieferkettengesetz?“, ruft eine junge Frau. Nun erhebt sich ein fünfköpfiger Chor zum Gesang gegen Lindner. „Weiter! Weiter! Weiter!“, spornt Lindner die Störer ironisch an. „Christian Lindner schützt Reiche“, singen zwei Störerinnen ein wenig leiernd.

Der Finanzminister verdächtigt die Letzte Generation

Lindner schreibt den Protest der „Letzten Generation“ zu. „Mir ist so viel lieber, dass ihr hier demonstriert, als dass ihr euch auf irgendwelche Straßen geklebt und arme Bürger behindert habt“, ruft Lindner seinen Kritikern zu: „Ihr wollt doch nur die Show fortsetzen, weil ihr Spiegel TV vorher Bescheid gesagt habt.“ Gebrüll im Saal.

„Ihr seid Anti-Demokraten!“, ruft Lindner den Störern zu, und abermals: „Ihr seid Anti-Demokraten!“ Und weiter: „Niemand schadet dem Klimaschutz mehr als die Letzte Generation!“ Unter energischen Einsatz des Zeigefingers ruft Lindner: „Wir sind mehr! Und wir haben einen längeren Atem als die!“ Rhythmischer Beifall. „Haut ab!“, rufen die Lindner-Unterstützer, die sich nun ebenfalls erhoben haben, klatschend: „Haut ab!“

Ihr macht Klimaschutz in eurer beschützten Wohlstandsblase!

Christian Lindner (FDP) zu den Protestlern, die seinen Auftritt stören.

Der Finanzminister stellt die Störer in eine Ecke, in der man über den nationalen Tellerrand nicht hinausdenke: „Ihr macht Klimaschutz in eurer beschützten Wohlstandsblase!“ Die Störer wechseln wieder das Thema: „Lieferkettengesetz jetzt!“ Sie gehen damit auf das EU-Gesetz ein, das Deutschland auf Initiative der FDP in Brüssel blockiert. „Wir haben schon eins“, ruft Lindner, auf das nationale Lieferkettengesetz anspielend: „Ein Blick ins Gesetzbuch erleichtert die Rechtskenntnis.“

Polizisten tragen die Störer aus dem Saal

Lindner steht auf und ruft den interessierten Zuhörern zu: „Bleiben Sie hier!“ Nun genießt er den Schlagabtausch. Der Minister nestelt sein Smartphone aus der Sakkotasche und schießt ein Selfie von sich und den Störern. „Christian Lindner schützt die Reichen“, leiern die Protestler: „Für die FDP steht die Wirtschaft vor den Menschen.“ Er pariert: „Ich bin von mehr Menschen gewählt worden als ihr!“ Als einige sächsische Polizeibeamte den Saal betreten, werfen sich die Störer auf den Boden. Nach und nach tragen die Polizisten die Protestler aus dem Saal.

Nun geht es wieder um Klimawandel, Staatsverschuldung, die Agenda 2010, die Zinsen, auch mal um Robert Habeck. Knapp zweieinhalb Stunden lang wird Lindner am Ende im Saal sein, antwortet auf etliche Fragen. Am Ende sagt er: „Viele Menschen haben das Gefühl, dass eine organisierte Minderheit der Mehrheit vorzuschreiben versucht, wie sie zu leben hat.“

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