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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am Freitagmittag die Synogoge am Fraenkelufer in Berlin-Kreuzberg besucht.

© imago/epd/imago/Christian Ditsch

„Mein Platz ist heute unter Ihnen“: Steinmeier besucht eine Synagoge voller Angst

Der Bundespräsident erklärt den Kampf gegen Antisemitismus zur Pflicht aller Bürgerinnen und Bürger. In einer Berliner Synagoge aber trifft er am Freitag eine stark verunsicherte Gemeinde.

Die große Synagoge am Landwehrkanal, in der Pogromnacht am 9. November 1938 vom Feuer der Nationalsozialisten verwüstet und als kleinere „Synagoge am Fraenkelufer“ wieder Heimat einer jüdischen Gemeinde, braucht auch 85 Jahre später Schutz. Gerade für diesen Freitag, sechs Tage nach dem Hamas-Überfall auf Israel, hat die palästinensische Terrororganisation ihre Anhängerschaft in aller Welt aufgerufen, Jüdinnen und Juden erneut Leid anzutun.

Streifenwagen der Polizei sind vor Ort, Hunde beschnüffeln die Taschen der Gäste, ehe das deutsche Staatsoberhaupt eintrifft. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will seine Solidarität bekunden mit den Gläubigen, für die das Bedrohungsgefühl nichts Neues ist, die nun aber Zeitzeugen des größten Judenmords seit dem Holocaust sind, in dem Land, das danach ihr Schutzraum sein soll. Steinmeier weiß, dass neben der persönlichen Betroffenheit auch dieser größere Zusammenhang gesehen wird, „auch Schmerz über die Verwundbarkeit des Landes“ vorhanden ist.

Wir kennen Angst, aber nicht auf diesem Niveau.

Nina Peretz, Vorsitzende des Freundeskreises der Synagoge am Fraenkelufer

Nach dem Schock und der Trauer um die Ermordeten, zu denen ausnahmslos jeder der 100 bis 200 Menschen, die sich diesem Kreuzberger Gebetsort zugehörig fühlen, einen persönlichen Berührungspunkt hat, kam die Angst. „Wir kennen Angst“, sagt Nina Peretz, die Vorsitzende des Freundeskreises, „aber nicht auf diesem Niveau.“ In der Synagoge haben sie dutzende steckbriefartige Vermisstenanzeigen ausgelegt, die den von der Hamas Verschleppten ein Gesicht geben,

Steinmeier hört der Gemeinde zu

Im Gottesdienstraum bildet Steinmeier mit den Gemeindemitgliedern einen Stuhlkreis. Er hört sich an, wie es ihnen in dieser Situation geht. Nina Peretz berichtet, dass sie noch nie so viele besorgte Anrufer am Apparat hatte: „Sie trauen sich nicht in den Gottesdienst, nicht in israelische Cafés, koschere Lebensmittelgeschäfte oder auch nur, sich mit Kippa auf der Straße zu zeigen.“

Daniel Botmann, Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, nimmt ebenfalls an der Runde teil. Er erzählt, wie sehr die vergangenen Tage den Mitgliedern nochmals klargemacht haben, dass sich die „Vernichtungsideologie der Hamas gegen alles Jüdische richtet“ und nicht etwa „nur“ gegen die Politik der bis dato rechtsgerichteten israelischen Regierung. „Nicht ohne Grund sind heute viele jüdische Schulen leer geblieben“, berichtet Botman. Er freut sich über das „wichtige Zeichen“, dass Steinmeier sie genau an jenem „Tag des Zorns“ besucht, den die Hamas ausgerufen hat.

Wer Deutscher ist oder auf Dauer hier leben will, muss Auschwitz kennen und begreifen.

Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident

Die zentrale Botschaft des Bundespräsidenten ist die des Beistands. „Auch für deutsche Juden ist dieser Freitag ein Tag der Angst“, sagt er im Anschluss in die Kameras, inmitten der Gemeindemitglieder stehend, „deshalb ist mein Platz heute hier unter Ihnen.“ Nie wieder dürften sie in Deutschland um ihr Leben fürchten müssen. Den Kampf gegen den Antisemitismus definiert Steinmeier zur Pflichtaufgabe für die gesamte Bevölkerung, auch die zugewanderte: „Wer Deutscher ist oder auf Dauer hier leben will, muss Auschwitz kennen und begreifen“. Allen im Land müsse klar sein, „dass Antisemitismus keine Meinung, sondern strafbar ist“.

Sein Appell soll schon am Freitagabend auf fruchtbaren Boden fallen. Viele Nachbarn haben sich angekündigt. Sie wollen sich vor der Synagoge zu deren Schutz versammeln. Nina Peretz freut sich, dass „nur eine WhatsApp“ nötig war, um diese Solidarität zu bekommen. Auch für den hohen Besuch ist sie dankbar, „das bedeutet den Leuten viel“. Steinmeier gibt sich überzeugt: „Die Angst ist groß, aber der Zusammenhalt ist stärker.“

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