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Ein Altenpfleger mit seinem Patienten.

© Guido Kirchner/dpa

Die Agenda von Jens Spahn: Mehr Geld, strengere Vorgaben: Pläne gegen den Pflegenotstand

Gesundheitsminister Spahn will dem Pflegenotstand mit besserer Bezahlung und besseren Arbeitsbedingungen begegnen. Doch er hat noch weitere Ideen. Ein Überblick.

Wegen des Pflegenotstands in Kliniken und Altenheimen hat das Bundeskabinett am Mittwoch ein Sofortprogramm auf den Weg gebracht. Nach den Worten von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist das aber nur ein erster Schritt. Was beschlossen wurde – und was der Minister sonst noch plant.

Idee eins: Geld für mehr Pflegepersonal
Im Koalitionsvertrag findet sich noch die Zahl 8000. Doch Spahn hat zwischenzeitlich draufgesattelt. In seinem Gesetzentwurf sind jetzt 13.000 zusätzliche Stellen für Pflegeheime vorgesehen, um dem Personalnotstand dort zu begegnen. Auch die Kliniken gehen nicht leer aus. Zum einen soll dort künftig jede zusätzliche oder aufgestockte Pflegestelle voll von den Kassen finanziert werden. Zum anderen sollen die Versicherer dort nun auch alle Tarifsteigerungen übernehmen – und zwar rückwirkend ab 2018. „Kein Geld für Pflege ist also keine Ausrede mehr für Krankenhausgeschäftsführer“, sagt der Minister. Das Problem ist nur: Das bewilligte Personal muss erst mal gefunden werden. Nach Regierungsangaben sind derzeit mindestens 36.000 Stellen in der Alten- und Krankenpflege unbesetzt. Für gute Betreuung, rechnet der Sozialverband VdK vor, brauche man mindestens 60.000 zusätzliche Pflegefachkräfte.

Idee zwei: Feste Vorgaben für Kliniken
Mehr Geld ist nicht alles. Um die Krankenpflege zu verbessern, will Spahn den Kliniken auch strenge Vorgaben zum vorzuhaltenden Personal machen und Verstöße dagegen sanktionieren. Ab 2020 soll für jedes Krankenhaus das Verhältnis zwischen Pflegekräften und anfallendem Pflegeaufwand errechnet und veröffentlicht werden, heißt es in dem Entwurf. Werde eine bestimmte Personalgrenze unterschritten, werde das Honorar gekürzt. In einem anderen bereits beschlossenen Gesetz sind Mindestpersonalstärken für „pflegesensitive Bereiche“, wie etwa Unfallchirurgie oder Intensivmedizin, vorgesehen. Weil die Klinikbetreiber die Verhandlungen darüber platzen ließen, verlangt Spahn nun neuerliche Verhandlungen mit den Kassen – und droht für den Fall des Scheiterns mit einem Eingriff der Politik. „Wer auf Dauer bei hoher Patientenzahl zu wenig Pflegekräfte hat, der gefährdet Patienten und beutet auch die Pflegekräfte aus“, sagte er. Konsequenz könne dann nur sein, dass man dort weniger Patienten behandeln dürfe. Notfalls müssten Abteilungen auch geschlossen werden.

Idee drei: Bessere Bezahlung
Für ausgebildete Pflegekräfte müssten 2500 bis 3000 Euro im Monat möglich sein, verkündete Spahn Mitte Juli. Mit den Zahlen hatte er sich etwas vergriffen, denn der Minister will die Gehälter in der Branche ja nicht kürzen, sondern steigern. Nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) verdient eine vollzeitbeschäftigte Krankenpflegerin im Schnitt bereits 3239 Euro brutto. Doch deutlich schlechter sieht es in der Altenpflege aus. Fachkräfte kommen hier durchschnittlich nur auf 2621 Euro. Damit liegen sie um 16 Prozent unter dem Durchschnittsverdienst aller Beschäftigten in Deutschland. Altenpflegehelferinnen gehen sogar nur mit grade mal 1870 Euro nach Hause. Und besonders abgeschlagen sind Pflegekräfte im Osten.

Dass es mehr Geld für sie geben muss, steht bereits im Koalitionsvertrag. Das Problem dabei: Die Löhne werden hierzulande nicht von der Politik bestimmt, sondern von Tarifpartnern ausgehandelt. Und es gibt kaum eine Branche, in der das so schwierig ist wie im Pflegesektor. Weniger als drei Prozent der Beschäftigten sind gewerkschaftlich organisiert. Die Arbeitgeber wiederum sind zersplittert in private, kirchliche, kommunale und gemeinnützige Träger. Die Privaten wollen keine Tarifverträge, die Kirchen haben traditionell ihr eigenes Arbeitsrecht und lassen sich nicht reinreden. Um höhere Gehälter zu erzielen, müsste ein Tarifvertrag für allgemeingültig erklärt werden. Doch das ist nur möglich, wenn dieser schon bisher für einen hohen Anteil der Beschäftigten gilt. Die Lösung könnte so aussehen, dass man kirchliche Vereinbarungen wie normale Tarifverträge wertet. Dafür bedürfte es einer Gesetzesänderung.

Idee vier: Bessere Arbeitsbedingungen
Neben der Bezahlung müssten sich auch die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte verbessern, findet Spahn. Konkret wurde er diesbezüglich noch nicht. Diesen Part übernahm sein Pflegebeauftragter. Pflegekräfte sollten die Möglichkeit erhalten, ihre Arbeitszeit drei Jahre lang von 100 auf 80 Prozent zu reduzieren, forderte Andreas Westerfellhaus – und zwar bei vollem Lohnausgleich. Die freie Zeit müsse aber der Erholung dienen, Nebenjobs dürfe es dann nicht geben. Zudem sollten Krankenkassen und Heime, die innovative Konzepte für gute Arbeitsbedingungen ausprobierten, Zuschüsse bekommen. Fachkräfte sollten verantwortlicher arbeiten können, etwa bei der Versorgung chronischer Wunden oder mit Diabetes-Kranken. Und generell sollte es für Pflegekräfte mehr Qualifizierungsstufen und auch bessere Aufstiegschancen geben.

Idee fünf: Höhere Pflegebeiträge
Nach Spahns Dafürhalten könnte der Pflegebeitrag schon zum nächsten Jahr deutlich erhöht werden – um 0,5 Prozentpunkte. Diese Größenordnung, von den Pflegekassen ins Gespräch gebracht, sei „realistisch“, sagte er. Mitte Juni war Spahn noch zurückhaltender und hatte eine Erhöhung um 0,3 Punkte als genügend erachtet. Von der Kassenidee, den Beitragsanstieg mittels eines Bundeszuschusses zu begrenzen, will er bislang nichts wissen. Dabei sind die Arbeitgeber vergrätzt. Auch die Pflegeversicherung müsse ihren Beitrag leisten, damit die Summe der Sozialabgaben auf Löhne und Gehälter nicht über 40-Prozent-Marke klettere, ließ sich der Präsident ihrer Bundesvereinigung, Ingo Kramer, vernehmen. Nötig sei ein Gesamtkonzept zur langfristigen Finanzierbarkeit der Pflegeversicherung. „Bislang fehlt der Bundesregierung hier leider ein klarer Kompass." Der Pflegebeitrag war zuletzt Anfang 2017 um 0,2 Punkte auf 2,55 Prozent erhöht worden. Kinderlose zahlen 2,8 Prozent.

Alle Hände voll zu tun: Gesundheitsminister Jens Spahn.
Alle Hände voll zu tun: Gesundheitsminister Jens Spahn.

© Carsten Koall/dpa

Idee sechs: Geld auch für Betreuungskräfte
„Wir wollen die Pflege auch für reine Betreuungskräfte öffnen.“ Mit diesem Rezept, angekündigt ebenfalls via Zeitungsinterview, will Spahn vor allem dem Pflegenotstand begegnen. Zwar wurden die Leistungen für zu Hause lebende Pflegebedürftige bereits in der vergangenen Legislatur ausgeweitet. Seither zahlen die Kassen auch für Haushaltshilfe, fürs Einkaufen, Vorlesen oder das gemeinsame Spazierengehen. Doch erbracht werden dürfen solche Leistungen, um sie bezahlt zu bekommen, nach wie vor nur von Pflegefachkräften. Die jedoch sind meist schon durch die rein körperliche Pflege ausgelastet und haben weder Zeit noch Interesse, darüberhinaus schlecht bezahlte Betreuung zu übernehmen. Die Öffnung der Pflegeversicherung für reine Betreuungsdienste und Haushaltshilfen hätte doppelten Charme. Zum einen fänden sich dann die dringend benötigten Helfer weit leichter. Zum andern wären sie wohl auch günstiger zu haben. Für das gleiche Geld erhielten die Pflegebedürftigen also mehr Betreuungsstunden.

Idee sieben: Privatinvestoren bremsen
„Zweistellige Renditen für Finanzinvestoren und Kapitalgesellschaften – das ist nicht die Idee einer sozialen Pflegeversicherung.“ Mit diesem Statement irritierte Spahn nicht nur private Pflegeheimbetreiber, sondern auch manchen seiner Parteifreunde. Wenn es sich „vernünftig regulieren“ lasse, so der CDU-Politiker, könne er sich hier eine gesetzliche Bremse vorstellen. Wirtschaftsliberale reagierten heftig. Spahn plane, die Marktwirtschaft abzuschaffen und Unternehmer zu enteignen, tönte es ihm entgegen. Der Mann habe sich als „Planwirtschaftler mit populistischen Motiven“ entpuppt. Allerdings handelt es sich bei Spahns Vorstoß wohl eher um einen Warnschuss. Es sei zu bedenken, dass solche Regulierung einen „erheblichen Eingriff“ bedeute, meinte er selber gleich im Nachsatz. Der Pflegesektor benötige nun mal Wettbewerb. Neue Heime zu bauen, sei „sehr kapitalintensiv“. Und große Finanzinvestoren seien bisher ja kein Massenphänomen. Gleichwohl: Sein Ministerium werde den Markt im Auge behalten.
Idee acht: Ausländische Pflegekräfte
Für die benötigten Pflegekräfte werde man „auch im Ausland suchen müssen“, sagte Spahn bei der Präsentation seiner „Konzertierten Aktion Pflege“ mit Arbeitsminister Hubertus Heil und Familienministerin Franziska Giffey (beide SPD). Der Gesundheitsminister kritisierte die komplizierte Anerkennung von Berufsabschlüssen und dass ausländische Pflegekräfte, etwa aus Albanien und dem Kosovo, oft viel zu lange auf ihr Visum warten müssten. Heil erwägt für ausländische Pflegekräfte sogar noch weiteres Entgegenkommen: eine befristete Aufenthaltserlaubnis zur Jobsuche. Im vergangenen Jahr arbeiteten hierzulande 128.000 Ausländer sozialversicherungspflichtig als Alten- und Krankenpfleger. Ihre Zahl hat sich seit 2013 fast verdoppelt. Dazu kommen viele Osteuropäerinnen, die Pflegebedürftige in Privathaushalten betreuen. Da sie meist illegal beschäftigt sind, ist ihre Zahl nicht bekannt. Die Schätzungen belaufen sich auf bis zu 300.000.

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