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Bisher ist Martin Selmayr Junckers Bürochef. Der verschaffte ihm auch den neuen Job.

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Update

Martin Selmayr: Ein Deutscher an der Schaltstelle der EU-Kommission

Martin Selmayr, bisher Büroleiter von Jean-Claude Juncker, wird neuer Generalsekretär der EU-Kommission - und damit noch wichtiger in Brüssel. Ein Porträt.

Wenn sein Chef eine Rede hält, sitzt er häufig in der ersten Reihe. Der Jurist Martin Selmayr nickt dann Jean-Claude Juncker aufmunternd zu, er souffliert dem Kommissionspräsidenten, wenn es um Zahlen geht. Der 47-Jährige ist seit 2014 so etwas wie das Back-up für den Luxemburger, seit der erst Spitzenkandidat für die christdemokratische europäische Parteienfamilie war und nach den letzten Europawahlen vom Europaparlament an die Spitze des Brüsseler Beamtenapparates gewählt wurde.

Selmayr leitet Junckers Büro, das ist ein einflussreicher Posten – und nun wird der Deutsche noch wichtiger: Von diesem Donnerstag an besetzt Selmayr als Generalsekretär der EU-Kommission die wichtigste Schaltstelle im EU-Beamtenapparat. Juncker, dessen Amtszeit 2019 endet, hat ihn in diese Position berufen. Alle Gesetzesvorhaben, die die Generaldirektionen planen, schlagen zunächst hier auf. Hier werden sie geprüft und entweder an die zuständigen Kommissare zur Weiterbearbeitung weitergeleitet – oder sie landen im Papierkorb.

Manche halten ihn für den eigentlichen Strippenzieher

Lange war spekuliert worden, was aus Selmayr wird, wenn Juncker im nächsten Jahr in Rente geht. Da er polarisiert, die Brüsseler Welt in Freunde und Feinde aufteilt, hat er viele Gegner im EU-Apparat. Daher wurde gemutmaßt, dass er nur eine Zukunft außerhalb der Kommission haben würde. Dass Selmayr die neue Position ausfüllen kann, daran bestehen keine Zweifel. Er wird geachtet wegen seines steilen Aufstiegs, seines kompromisslosen Eintretens für die europäische Sache, aber gefürchtet wegen seines Alphatier-Auftretens.

Fragen wirft auch das Tempo seiner Beförderung auf. Beworben hatte sich Selmayr nämlich auf den ausgeschriebenen Posten des stellvertretenden Generalsekretärs und sich im regulären Verfahren mit Assessment Center und Bewerbungsgespräch durchgesetzt. Die doppelte Beförderung auf den Stuhl des Generalsekretärs hat Selmayr Medienberichten zufolge wohl Juncker zu verdanken. Sie sei nötig gewesen, weil der bisherige Amtsinhaber, der Niederländer Alexander Italianer, kurzfristig um seine Versetzung in den Ruhestand gebeten habe. Das führte zu der kuriosen Situation, dass Selmayr innerhalb weniger Minuten in derselben Sitzung der Kommission zunächst als stellvertretender Generalsekretär bestätigt wurde, bevor die Kommissare ihn dann wenig später einstimmig zum Generalsekretär beriefen.

Nun wird zunehmend Kritik an Selmayrs Blitzkarriere geübt. Die französische Zeitung "Liberation", die als erste von der Doppelbeförderung berichtet hatte, nannte seine Ernennung einem "Staatsstreich", im EU-Parlament ist von Vetternwirtschaft die Rede. Die Grünen fordern, dass sich schon bald der Haushaltskontrollausschuss mit der Sache befassen soll, um die "Nacht- und Nebel-Aktion" der Kommisare zu untersuchen, wie der deutsche Abgeordnete Sven Giegold sagte.

Als Junckers sogenannter „Kabinettschef“ hat der gebürtige Bonner Selmayr, der in Karlsruhe Abitur gemacht hat, bereits enormen Einfluss ausgeübt. Manche in Brüssel halten ihn für den eigentlichen Strippenzieher im Hintergrund der Kommission. Über seinen Tisch gehen alle wichtigen Entscheidungen. An ihn wandte sich etwa Autolobbyist Matthias Wissmann, als er im Herbst in letzter Minute noch Änderungen an den neuen EU-Abgasvorschriften durchsetzen wollte. Indem der 63 Jahre alte Juncker ihn an diese Stelle versetzt, verschafft er ihm mindestens für zwei, drei weitere Jahre eine äußerst machtvolle Position. Selbst wenn im Herbst 2019 ein neuer Kommissionspräsident kommt, wird er zunächst auf die Expertise von Selmayr angewiesen sein und müsste eine Anstandsfrist verstreichen lassen, bevor er ihn auswechselt.

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