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 Der französische Präsident Emmanuel Macron ist während seiner jüngsten Fernsehansprache an die Nation.

© Gao Jing/XinHua/ dpa

Macrons Ansprache an die Nation: Die Coronakrise ist keine Zeit für Helden

Gewissheiten statt Selbstkritik: Der Stil des französischen Präsidenten wirkt immer mehr aus der Zeit gefallen. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Andrea Nüsse

Ich gebe zu, ich war lange Zeit ein großer Fan des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Wo sonst gab es einen so energiegeladenen Politiker mit Visionen und Mut zur Veränderung? In Deutschland jedenfalls nicht. Dazu so belesen und eloquent.

Doch als ich am Sonntag beim Abendessen in der Küche die vierte Corona-Ansprache Macrons im Radio hörte, war ich ernüchtert. Meine Beziehung zu Macron ist vielleicht nicht zerrüttet, aber doch arg angeschlagen – und die Faszination ist endgültig verflogen.

Sicher, oft haben wir die Franzosen für ihren staatlichen Pomp belächelt, die feierlichen Auftritte vor goldenen Spiegeln im Elysée-Palast, das nationale Pathos.

Manchmal haben wir sie aber insgeheim auch beneidet, weil in Deutschland Politik immer so wahnsinnig vernünftig ist und ohne Bilder und Emotionen auskommt.

Ein einsamer Retter auf der Bühne

Unvergessen der dramatische Auftritt Macrons 2017 als designierter Präsident in der nächtlichen Cour Napoléon des Louvre, ein einzelner Mann, der allein den Hof durchquert, bis er im Scheinwerferlicht auf der Bühne als Retter erscheint.

Gut, er will Frankreich wieder groß machen, dem Volk Mut zusprechen, dem etwas verlotterten Präsidentenamt Glanz und Würde zurückgeben. Dabei bedient er sich der kulturellen Symbole, die etwas zum Schwingen bringen können bei seinen Landsleuten. Einverstanden.

Sein Eigenlob teil Macron immerhin mit der Bevölkerung

Dann kam der mühsame Alltag – und dann kam Corona. Und diese Zeit ist leider nicht für einsame Helden gemacht. Sie ist durch Unsicherheit, Nichtwissen und Vorantasten von Medizinern, Politikern und Bevölkerung geprägt. Pathos, Gewissheiten und einsame Entscheidungen an der Staatsspitze wirken da völlig aus der Zeit gefallen. Auch in Frankreich.

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In seiner ersten Corona-Ansprache am 16.März hatte Macron dem Virus den „Krieg“ erklärt – und schon damals genau gewusst, dass der Lockdown bis zum 11.Mai dauern muss. Dann ist viel schiefgelaufen und die „Grande Nation“ fragt sich, warum sie so schlecht dasteht.

In seiner jüngsten Ansprache konnte man dagegen den Eindruck gewinnen, Frankreich habe diesen Krieg gewonnen. Man könne „stolz“ sein – obwohl Krankenhäuser überfordert waren und fast 30000 Menschen starben. (Das sagt Macron nicht.) Gefolgt von viel Eigenlob, welches er aber mit der Bevölkerung teilt, die „bewundernswerten Verantwortungssinn“ gezeigt habe. (Was sie sonst wohl nicht tut?)

Zwischen Klein-Klein und de Gaulles Fußstapfen

Erstaunlich banal wirken die praktischen Informationen, dass der Besuch im Altersheim wieder gestattet ist und die Schulen am 22. Juni öffnen. Offenbar wollte der Präsident diese Ankündigungen nicht seinem Premierminister überlassen, der in der Krise eine zu gute Figur macht.

Leider kein Wort dazu, wie das in den Schulen ablaufen soll mit den Hygienemaßnahmen, ein Thema, das die Bundesrepublik seit Wochen beschäftigt. Das ist dann doch zu viel Klein-Klein für einen Präsidenten, der in den Fußstapfen eines Charles de Gaulle unterwegs ist. Vielleicht folgt ein präsidiales Dekret, wo alles Wissenswerte drinsteht.

Einen Blick in die Zukunft gab es auch – „mehr arbeiten und produzieren“ sollen die Franzosen, auch wenn Macron es sich verkniffen hat, seine verhasste Rentenreform zu erwähnen.

Ein Machtwort zum Schluss

Zu den aktuellsten Fragen – Polizeigewalt, Rassismus und Umgang mit der eigenen Kolonialgeschichte – kamen Status-quo-Phrasen: Rückhalt für die Polizei, Warnung vor Chaos. Zum Schluss noch ein echtes Machtwort: Frankreich werde keine einzige Spur seiner Geschichte tilgen und keine Statue abbauen. Punkt.

Hoffentlich meint Macron das in dem Sinne, dass Frankreich sich stattdessen mit seinen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und seiner „Barbarei“ auseinandersetzen solle – so hatte dieser einst so mutige Mann Teile der Kolonisierung Algeriens einmal bezeichnet. Und dafür habe ich ihn bewundert.

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