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Die verstehen sich.

© dpa

Merkel, Schwesig, Le Pen & Co: Machos haben es schwer in der Krise

In Krisenzeiten kommen in der Politik oft Frauen nach oben. Sie dehnen Rollenmuster und leben Widersprüche, die bei Männern nicht geduldet werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Claudia Keller

Vertraut, scherzend, siegesgewiss: So standen Angela Merkel, Julia Klöckner und Ursula von der Leyen in der vergangenen Woche auf dem Bundesparteitag der CDU beieinander. Die Bundeskanzlerin, die Verteidigungsministerin und die rheinland-pfälzische Spitzenkandidatin für die Landtagswahl 2016 wirkten wie die Königin und ihre Kronprinzessinnen – und wurden hofiert. Der bayerische Poltergeist Horst Seehofer bekam lediglich höflichen Applaus.

Ein paar Tage zuvor waren Manuela Schwesig und Hannelore Kraft, die beiden stellvertretenden Parteivorsitzenden der SPD, beim Bundesparteitag ihrer Partei mit hoher Zustimmung in ihren Ämtern bestätigt worden. Parteichef Sigmar Gabriel straften die Delegierten mit nur 74 Prozent der Stimmen ab. Männliches Machotum hat es schwer in Krisenzeiten.

Gesellschaftliche und parteipolitische Krisensituationen bieten Frauen die große Chance, Karriere zu machen. Und so stehen mittlerweile in fast allen Parteien von ganz links bis ganz rechts Frauen an der Spitze. Sie brechen festgefahrene Strukturen auf, sie räumen die Trümmer weg, die die Männer hinterlassen haben, und machen die Jobs, die viel Arbeit und wenig Aussicht auf Erfolg verheißen.

Angela Merkel zog die CDU aus dem Sumpf der Spendenaffäre, Hannelore Kraft und Malu Dreyer pulten als Ministerpräsidentinnen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz für die SPD die Kastanien aus dem Feuer, die ihre Vorgänger dort hineingeworfen hatten. Auch Julia Klöckner sagt, dass sie ihren Aufstieg in der rheinland-pfälzischen CDU Krisensituationen zu verdanken hat, die als ausweglos erschienen.

In der Wirtschaft hat sich die ehemalige Bundesverfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt den Ruf der Trümmerfrau erarbeitet. Zuerst räumte sie beim skandalgeschüttelten Daimler-Konzern auf. Ab Januar soll sie als erster weiblicher Vorstand bei VW für Integrität und Recht sorgen. Die Männer schaffen das nicht alleine.

So unterschiedlich diese Frauen sind, so verschieden ihre Parteien und Aufgabenfelder, gemeinsam ist ihnen die Erfahrung, dass ihnen erst mal nichts zugetraut wurde. Merkel galt als „Kohls Mädchen“, Schwesig wurde als „Küsten-Barbie“ verspottet, als sie vor zwei Jahren das Bundesfamilienministerium übernahm. Sie solle nicht so „weinerlich“ sein, rief ihr CDU-Fraktionschef Volker Kauder hinterher. Julia Klöckner muss sich anhören, sie sei ein „Shitstorm auf Pumps“.

Wer als Frau in der Politik etwas werden will, muss sich erotisch neutralisieren

Hat eine Politikerin auch noch Sex-Appeal, sind Häme und Spott umso größer. Denn wer als Frau in der Politik etwas werden will, muss sich erotisch neutralisieren und am besten direkt von der Mädchen- in die Mutterrolle schlüpfen. Flache Schuhe, kurvenkaschierende Anzüge, Kurzhaarfrisuren waren bislang stilbildend.

Die Generation der 40-Jährigen bricht dieses Muster jetzt hier und da auf: Manuela Schwesig lässt die blonden Haare lockerer ins Gesicht fallen und zeigt schon mal im Sommerkleid Kontur. Julia Klöckner macht offensiv in Stöckeln, kurzem Rock und eng sitzender Bluse Wahlkampf.

Doch noch kommt bei den Wählern und Parteigenossen am besten die Mutterrolle an. Angela Merkel hat sie perfektioniert – gerade weil sie keine eigenen Kinder hat. Gerade weil ihre Weiblichkeit im Ungefähren bleibt und sich nicht im Nachwuchs konkretisiert, kann sie sich als aufopfernde und strenge Germania und Europa inszenieren. Gerade weil sie nicht in die Niederungen eines Familienalltags verstrickt ist, kann sie die Sehnsucht vieler Deutscher nach einer geschlechtslosen Übermutter erfüllen, der es nicht um die Befriedigung eigener (weiblicher) Bedürfnisse und Machtgelüste geht, sondern die vermeintlich das Große und Ganze im Blick hat.

Die Kehrseite des Narrativs der Übermutter ist und bleibt das „Mädchen“. Merkel sei „bockig“, weil sie in der Flüchtlingsfrage auf ihrer Position beharre, klagen CDU-Kollegen. „Bockig“ sind sonst nur Kinder. Bei Horst Seehofer und Sigmar Gabriel heißt das „Basta“-Politik.

Auch die Parteichefin des französischen Front National, Marine Le Pen, und ihre Nichte Marion Maréchal-Le Pen sind Krisengewinnlerinnen und nutzen die Rollenmuster von Mutter und Mädchen geschickt für sich aus. Während sich Marine Le Pen zur geschlechtslosen Retterin der Nation stilisiert, gibt ihre Nichte die naive Blonde. Anders als ihr Vater Jean-Marie Le Pen hält sich Marine mit antisemitischer Hetze zurück, und wenn Marion ihre blonden langen Haare schüttelt, wirkt der Rassismus aus ihrem Mund gleich viel weniger schlimm. Die Strategie der Verharmlosung der beiden Le-Pen-Frauen geht auf. Der Front National ist salonfähig geworden. Auch Frauke Petrys Sätze wirken viel netter, wenn sie dazu keck den Kopf in den Nacken wirft, als wenn ihr AfD-Parteigenosse Alexander Gauland dasselbe sagt.

Machotum wirkt oft hormon- und emotionsgesteuert

Männer haben es schwerer, in Krisenzeiten eine Rolle zu finden, die Vertrauen weckt. Machotum wirkt oft hormon- und emotionsgesteuert (etwa Seehofers Politik der Ultimaten) und vermittelt so das Gegenteil eines kühlen Kopfs, der die Lage im Griff hat. Pragmatiker wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière wirken schnell wie blutleere Technokraten. Finanzminister Wolfgang Schäuble wird verdächtigt, nur noch Zahlen und Bilanzen im Kopf zu haben.

Politikerinnen haben es da leichter. Sie können auch in der Krise den harten Hund geben oder die Mutter Teresa oder beides zusammen (Merkel), sie können Grausamkeiten verkünden, etwa drastische Sparschritte, und steigen trotzdem im Ansehen – wie Soraya Sáenz de Santamaria, die stellvertretende Ministerpräsidentin in Spanien. Sie ist zwar nur 1,50 Meter groß, überragt Regierungschef Mariano Rajoy aber um ein Vielfaches an Temperament, Intellekt und Schlagfertigkeit. Viele Spanier glauben, dass sie gute Chancen bei der Wahl an diesem Sonntag hat.

Haben Politikerinnen erst mal die Anfangshürde genommen und erweisen sich – für viele Männer überraschend – als fähige Köpfe, wird ihnen zugestanden, dass sie die Rollenmuster dehnen und Widersprüche leben, die bei Männern nicht geduldet würden. Sie können auch Forderungen durchsetzen, die zunächst als heillos weltfremd gelten – wie die Elternzeit, die Quote für Aufsichtsräte oder politikfreie Sonntage. Sie verändern den Politikbetrieb und die Gesellschaft in einer Weise, von der dann auch die Männer profitieren.

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