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Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) kommt zum Bürgerdialog im Salzlandkreis.

© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa-Zentralbild/dpa

Lobbyarbeit für die Heimat: Was Seehofers Ministerium vorhat

Das neue Heimatministerium ist bespöttelt worden - doch den Chef Horst Seehofer lässt das kalt. Der CSU-Politiker will einen Staat, der sich kümmert.

Wenn Horst Seehofers Mann für die Heimat erklären will, womit er sich so beschäftigt, kommt er zur Verdeutlichung gern auf den Berliner Nahverkehr zu sprechen. Wenn heute neue Strecken geplant würden, fragten die Verantwortlichen: „Sind da genügend Leute, die zusteigen und mitfahren?“ Vor 150 Jahren, als man das Berliner S-Bahn-Netz konzipiert habe, argumentiert Michael Frehse, habe man derartige Fragen „Gott sei Dank“ nicht gestellt. „Sondern man hat gesagt: Die Stadt wächst. Das ist klar.“ Dann habe man Haltestellen bis auf die „grüne Wiese“ geplant, „wohl wissend, dass die grüne Wiese auch alsbald zugebaut ist“.

Das beschreibt, im Kern, die Philosophie der von Innen- und Heimatminister Horst Seehofer (CSU) neu geschaffenen Heimatabteilung. Der 64-jährige Jurist Frehse ist Chef der Abteilung H; H steht für Heimat. „Fast schon fahrlässig“ habe die Politik in den vergangenen Jahrzehnten vieles dem „freien Spiel des Marktes“ überlassen, sagt Frehse. Das Rezept von Seehofer und ihm dagegen: „aktive staatliche Strukturpolitik“. Er selbst fasst das Ziel seiner Bemühungen so zusammen: Junge wie alte Menschen sollen dort leben können, wo sie leben wollen.

Wie die aussehen kann, hat sich Seehofer am Freitag im Städtchen Bernburg im sachsen-anhaltischen Salzlandkreis angeschaut und mit Ehrenamtlichen, Schülern und Unternehmern über deren Wünsche und Zukunftsideen gesprochen. „Es war in der Tat eine Lehrstunde für mich insofern, weil ich registriert habe, dass man am Schreibtisch alleine keine gute Politik machen kann, sondern dass man raus muss“, resümierte er.

Dabei sei er positiv überrascht worden: Alle Menschen, mit denen er gesprochen habe, hätten Liebe für ihre Region versprüht und selbstbewusst gefordert, die Themen vor Ort selbst in die Hand zu nehmen. Der größte Wunsch an ihn und die Politik sei gewesen, Hindernisse wie Bürokratie abzubauen. „Das war ein Volltreffer“, sagte er zur Entscheidung, die Erkundungstour in Bernburg zu starten.

Der Salzlandkreis will eine „Smart Region“ („Kluge Region“) werden. Grob gesagt: Das Leben für die Bürger soll besser werden, auch mit Hilfe der Digitalisierung. Ein konkretes Projekt: Ein Pflegedienst soll künftig Menschen von Dorf zu Dorf mitnehmen können - die Pfleger sind mit ihren Autos ja ohnehin unterwegs. Bernburg ist die erste Station auf Seehofers Deutschlandtour, in deren Verlauf er bis ins kommende Jahr hinein alle Bundesländer besuchen will. Wann und wo die Reise weitergeht, blieb zunächst offen.

Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse sei eine der wichtigsten politischen Aufgaben des kommenden Jahrzehnts, sagt Seehofer. „Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir nicht nur Statistiken und Zahlen von Instituten und Ministerien, sondern wir müssen konkret die Menschen vor Ort in den Blick nehmen. Ich möchte deshalb auf meiner Deutschlandreise mit den Menschen über ihre Wünsche und Sorgen sprechen, über das, was sie stolz macht auf ihre Heimat und was sie konkret brauchen, damit diese Heimat lebenswert bleibt.“ Nur so könne Politik entstehen, die bei den Menschen auch ankomme.

Seehofer, der sich nach langen Jahren als bayerischer Ministerpräsident auch in Berlin immer noch ein bisschen wie ein Landesvater fühlt, will einen Staat, der sich kümmert. Beispielsweise darum, dass Busse und Bahnen auch auf dem Land fahren, dass es Kindergärten gibt, Krankenhäuser und ein gutes Handynetz. „Der Staat hat den Rahmen dafür zu setzen, dass nicht in weiten Gebieten Deutschlands das Gefühl des Zurückgelassenseins entsteht“, hat Seehofer in einem Gastbeitrag für das „Handelsblatt“ formuliert. „Es wird bis zu zehn Jahren dauern, bis wir nachhaltig diese Strukturpolitik so betreiben, dass wir von gleichwertigen Lebensverhältnissen reden können“, ergänzte er in Bernburg.

Das Konzept hat Bayern mit seinem Heimatministerium schon ausprobiert. Dazu gehört auch Dezentralisierung. Frehse verweist auf die Empfehlung der Kohlekommission, der Bund solle bis zu 5000 neue Arbeitsplätze schaffen in Regionen, die vom Kohleausstieg betroffen sind. Seehofer schreibt sich diesen Beschluss auf die Fahnen.

Einen so aktiven Staat wünschen sich indes nicht alle am Berliner Kabinettstisch. „Die sind ja nicht alle begeistert davon“, sagt Frehse. Neue Gesetze taugen nach Darstellung von Frehse und seinen Mitstreitern nicht als Gradmesser für Erfolg oder Misserfolg der Abteilung H. Den Heimat-Leuten gehe es vielmehr darum, innerhalb der Bundesregierung für ihren Politikansatz zu werben, zu überzeugen. „Unsere Gedanken sind weit übergreifend“, sagt Frehse und meint, dass man auch die Unterstützung der Länder brauche.

Schützenhilfe erwartet sich die Heimatabteilung - in der mittlerweile die meisten der 144,5 Planstellen besetzt sein sollen - von der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“. Das Expertengremium aus Bund, Ländern und Verbänden soll Ende Juni oder Anfang Juli seine Ergebnisse präsentieren. Zur Umsetzung können sie niemanden zwingen, aber mit dem Vorsitzenden Seehofer und den Co-Vorsitzenden Julia Klöckner (CDU/Landwirtschaftsministerin) und Franziska Giffey (SPD/Familienministerin) wissen sie immerhin ein paar Minister hinter sich. Dass Seehofer ungemütlich werden kann, wenn ihm etwas gegen den Strich geht, hat er schon mehrmals in seiner politischen Karriere gezeigt - wenn auch die Machtkämpfe etwa mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht immer zu seinen Gunsten ausgingen. (dpa)

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