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Die Linken-Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow (links) und Janine Wissler.

© Kay Nietfeld/dpa

Linken-Vorsitzende Hennig-Wellsow beim Parteitag: „Wir gehen nicht zu Boden“

Die Linke leidet unter parteiinternem Streit und schlechten Umfragewerten. Die Vorsitzende Hennig-Wellsow mahnt auf dem Parteitag zu Geschlossenheit.

Klaus Lederer soll eigentlich zeigen, was es bedeutet, wenn Linke mitregieren. „Wir sind in Berlin angetreten, den Menschen die Stadt zurückzuholen“, sagt der Kultursenator in seiner Rede. Beim digitalen Parteitag der Linken berichtet er über den Berliner Mietendeckel und Hilfsprogramme in der Coronakrise. Doch am Ende spricht er ein Thema an, das viele in der Partei in diesen Tagen umtreibt.

Lederer kritisiert eine „absurde Debatte“, in der das Soziale gegen das Emanzipatorische gestellt werde. Beides müsse verbunden werden, mahnt er. Noch deutlicher wird Simone Oldenburg, Spitzenkandidatin in Mecklenburg-Vorpommern. Persönliche Befindlichkeiten sollten nicht öffentlich ausgetragen werden. „Das können wir nicht gebrauchen“, betont die Schweriner Fraktionschefin. „Unsere Politik darf niemals Selbstzweck sein.“

Diejenigen prominenten Linken, an die sich diese Mahnungen richten, melden sich am Samstag auf dem Parteitag selbst nicht zu Wort. Sahra Wagenknecht, Spitzenkandidatin in Nordrhein-Westfalen und ehemalige Fraktionschefin, hat ihre Partei im Wahljahr mit einem Buch in Aufregung versetzt, in dem sie den Linken in Deutschland Selbstgerechtigkeit vorwirft. Diese kümmerten sich lieber um ein akademisches Großstadtmilieu als um ihre Kernwählerschaft, um Minderheiten statt um die soziale Frage, so Wagenknechts Kritik.

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Wegen dieser Thesen beantragten einige Mitglieder in Nordrhein-Westfalen, Wagenknecht aus der Partei auszuschließen. Über diesen Antrag muss nun eine Schiedskommission entscheiden, die Bundesspitze wandte sich allerdings gegen einen Ausschluss.

Denn weniger als 100 Tage vor der Wahl kann die Partei weitere Grabenkämpfe um ihr so prominentes wie umstrittenes Mitglied nicht brauchen. Doch die Debatte um Wagenknecht ist nicht das einzige Problem für die Parteiführung. Wagenknechts Mann Oskar Lafontaine, einst SPD-Vorsitzender, später Linken-Mitgründer und heute Fraktionschef im Saarland, warnte kürzlich die Wählerinnen und Wähler an der Saar davor, bei der Bundestagswahl für die Linke zu stimmen. Hintergrund ist ein erbitterter Machtkampf zwischen ihm und dem Spitzenkandidaten Thomas Lutze, gegen den Manipulationsvorwürfe erhoben werden.

Während die Linkspartei seit Wochen mit dem Streit um Wagenknecht und Lafontaine Schlagzeilen macht, liegt sie in den Umfragen nur noch bei sechs bis sieben Prozent und rutscht damit gefährlich nahe an die Fünf-Prozent-Hürde heran. In Sachsen-Anhalt erlebte die Partei eine schwere Niederlage. Innerparteilich ist die Unruhe deshalb groß.

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Zum Auftakt des Parteitages spricht die Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow diese Verunsicherung direkt an. Mitglieder fragten, warum es der Linken trotz richtiger und guter Antworten nicht gelinge, besser voranzukommen. In der Partei gebe es „eine gewisse Angst und Furcht, dass wir das alles nicht schaffen“, sagt Hennig-Wellsow. „Aber ich kann euch eines versprechen: Wir gehen nicht zu Boden. Wir sind die Partei Die Linke, wir sind im Klassenkampf.“

Hennig-Wellsow, die seit Februar die Linkspartei gemeinsam mit Janine Wissler führt, spricht auf der Bühne in den Berliner Reinbeckhallen völlig frei und hält eine leidenschaftliche Rede, in der sie an ein linkes Grundgefühl appelliert. Der „kalten Politik“ der Bundesregierung stellt sie eine „warme Politik des Herzens“ gegenüber. Das Land brauche ein neues soziales Fundament, das Geborgenheit schaffe.

„Es bringt niemandem 150 Euro mehr Hartz IV, wenn wir streiten“

Ohne Wagenknechts Vorwürfe direkt anzusprechen, betont Hennig-Wellsow die zentrale Bedeutung der sozialen Frage für ihre Partei, allerdings nicht ohne Selbstkritik. Ihre Partei müsse verstehen, dass den Menschen nicht mit Versprechen und Floskeln geholfen sei, die Menschen müssten wissen, dass sie ernstgenommen werden. „Ich gebe zu: Da sind wir nicht.“ Zugleich schwor Hennig-Wellsow die Delegierten auf eine Bereitschaft zum Regieren ein. Ziel sei es, dass es den Menschen in Deutschland nach der Wahl am 27. September besser gehe. „Diese Menschen können nicht mehr warten.“

Die Vorsitzende warnte die Parteimitglieder deshalb auch vor weiterem öffentlichen Streit: „Es bringt niemandem 150 Euro mehr Hartz IV, wenn wir streiten.“ Am Freitag, einen Tag vor dem Beginn des Parteitages, hatte sich Hennig-Wellsow mit Lafontaine zum Gespräch getroffen. „Wir müssen miteinander reden“, auch wenn man aus unterschiedlichen Welten komme. Die Linke müsse nun ausstrahlen: „Wir sind eins, und es gibt keine zwei Parteien.“

An diesem Sonntag will die Linke ihr Programm für die Bundestagswahl beschließen – in einer traditionell sehr debattierfreudigen Partei ist das kein einfaches Vorhaben. Mehr als 1000 Änderungsanträge wurden im Vorfeld eingereicht, am Wochenende vor dem Parteitag tagte der Bundesvorstand insgesamt 15 Stunden lang, um die Zahl der Anträge zu reduzieren. Noch als der Parteitag bereits lief, wurde im Hintergrund weiterverhandelt, bis noch mehr als 100 Änderungswünsche übrig waren. Kontroverse Debatten werden besonders im Bereich der Außen- und Friedenspolitik erwartet.

Das Spitzen-Duo Janine Wissler und Dietmar Bartsch, das am Sonntag auf dem Parteitag sprechen soll, muss von den Delegierten nicht noch einmal bestätigt werden.

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