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 Die Bohr- und Förderinsel "Mittelplate" vor Cuxhaven - es ist das größte deutsche Erdöl-Fördergebet bisher.

© Carmen Jaspersen dpa

Lindner will mehr Nordsee- statt Putin-Öl: Warum neue Ölbohrungen in Deutschland zur Option werden

FDP-Chef Lindner will die Ausweitung der heimischen Öl- und Gasproduktion prüfen. Greenpeace warnt vor Umweltschäden im Wattenmeer, das sei eine „Nebelkerze“.

Eigentlich galt die heimische Erdöl- und Erdgasförderung schon als Auslaufmodell, wegen begrenzter Ressourcen und der Sorge vor Umweltschäden. „Wir wollen keine neuen Genehmigungen für Öl- und Gasbohrungen jenseits der erteilten Rahmenbetriebserlaubnisse für die deutsche Nord- und Ostsee erteilen“, heißt es auf Seite 40 des Ampel-Koalitionsvertrags von SPD, Grünen und FDP.

FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner hat dies nun im Tagesspiegel-Interview in Frage gestellt. Um von dem russischen Öl und Gas schneller loszukommen. „Aufgrund der Entwicklung der Weltmarktpreise scheint dies wirtschaftlicher zu werden. Ich halte es vor dem veränderten geopolitischen Hintergrund für ratsam, ohne Denkverbote die gesamte Energiestrategie unseres Landes zu prüfen“, so Lindner.

Auch das von dem Grünen Robert Habeck geführte Wirtschaftsministerium zeigt sich offen für eine Prüfung. "Wir prüfen, ob und unter welchen Bedingungen eine Erhöhung der Öl- und Gasförderung in Deutschland kurzfristig möglich ist“, sagte der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Oliver Krischer, dem Tagesspiegel.

Zugleich stellte er für die Grünen im Gegenzug aber Bedingungen: Zu prüfen seien auch solche Maßnahmen, mit denen kurzfristige Verbrauchssenkungen erreicht werden könnten – „allen voran ein Tempolimit“, fordert Krischer von Lindner eine Aufgabe seines Widerstands gegen ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen.

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Christian Lindner, Bundesminister der Finanzen und FDP-Chef.
Christian Lindner, Bundesminister der Finanzen und FDP-Chef.

© Mario Heller/Tagesspiegel

Was würde eine Ausweitung der Öl- und Gasförderung bringen?

Nach Angaben des Bundesverbands Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG) wurden zuletzt rund 1,9 Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr gefördert, vor allem in der Nordsee. Dazu rund fünf Milliarden Kubikmeter Gas. Bei der heimischen Erdölförderung war bisher das Jahr 1965 mit 7,8 Millionen Tonnen und bei Erdgas das 1999 mit 21,2 Milliarden Kubikmetern das ertragreichste. Die meisten Gebiete liegen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Nach Angaben der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe belaufen sich die sicheren Erdölreserven in Deutschland auf etwa 17,9 Millionen Tonnen. Die sicheren Erdgasreserven betragen 22,3 Milliarden Kubikmeter.

Die in Deutschland bisher nicht wirtschaftlich gewinnbaren Erdgasmengen werden insgesamt auf 1,36 Billionen Kubikmeter geschätzt. Die zusätzlichen konventionellen Erdölressourcen belaufen sich auf rund 20 Millionen Tonnen. Da die Bundesregierung nun statt einem Großlieferanten auf viele verschiedene Lösungen setzen will, könnte hier ein gewisses Zusatzpotenzial liegen.

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Die Potenziale sind überschaubar

Aber allein schon die Verbrauchszahlen zeigen, dass Deutschland weiterhin eindeutig Energieimport bleiben kann, zumal das unkonventionelle Gas-Fracking aus Umweltschutzgründen als politisch tot gilt; seit 2016 ist es gesetzlich nicht mehr zulässig. In Deutschland wurden zuletzt pro Jahr etwa 96 Millionen Tonnen Erdöl und rund 87 Milliarden Kubikmeter Gas verbraucht (Zahlen für 2020). Deutschland importierte dabei 28 Millionen Tonnen Rohöl aus Russland und 56,3 Milliarden Kubikmeter Gas kamen aus dem von Präsident Wladimir Putin regierten Land.

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„Die Förderung in Deutschland in geringem Umfang zu erhöhen ist denkbar, wenn Politik, Gesellschaft und Behörden unsere Aktivitäten unterstützen“, betont eine Sprecherin des BVEG auf Tagesspiegel-Anfrage, dass man durchaus dafür bereitstünde. Mittelplate ist bisher das größte Ölfeld Deutschlands, es liegt in der Nordsee am südlichen Rand des Schleswig-Holsteinischen Wattenmeer.

Nordseeinsel Juist, Ostfriesland, davor ein Windpark. Umweltschützer warnen vor den Folgen von mehr Öl- und Gasbohrungen in der Nordsee.
Nordseeinsel Juist, Ostfriesland, davor ein Windpark. Umweltschützer warnen vor den Folgen von mehr Öl- und Gasbohrungen in der Nordsee.

© imago images / Jochen Tack

Die größten Reserven liegen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein

„Der größte Teil der Erdölreserven lagert im Norddeutschen Becken, vor allem in den Bundesländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen“, betont Andreas Beuge, Sprecher der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. „Die größten Erdgasvorkommen finden sich in Niedersachsen, das im Ländervergleich über knapp 99 Prozent der gesamten sicheren Rohgasreserven der Bundesrepublik verfügt.“ Mittelfristig wären noch Potenziale in der deutschen Nordsee möglich. Dies setzt aber entsprechende politische Entscheidungen voraus.

Greenpeace: Lindner zündet Nebelkerze

Experten betonen, dass weitere Erdöl- und Erdgasfunde bei intensivierter Exploration wahrscheinlich seien, diese erscheinen aber in der zu erwartenden Größenordnung nur von begrenzter Bedeutung für die Versorgungssicherheit.

Auch Manfred Santen, Öl-Experte von Greenpeace betont: "Der Vorschlag von Minister Lindner ist eine Nebelkerze. Die Fördermengen von Öl in der Nordsee decken derzeit etwa zwei Prozent des Bedarfs in Deutschland. Selbst wenn alle derzeit bekannten Ölvorkommen in der deutschen Nordsee erschlossen würden, könnten die dort vermuteten Mengen den aktuellen deutschen Ölbedarf gerade einmal etwa zwei Monate decken."

Die Vorkommen würden im streng geschützten Nationalpark Wattenmeer lagern – mögliche Ölunfälle hätten katastrophale Auswirkungen für dieses einmalige Ökosystem. Um eine nachhaltige Unabhängigkeit von russischen  Importen zu erreichen, sei der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien wie Wind- und Solarenergie erforderlich. 

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