zum Hauptinhalt
Der britische Premierminister Boris Johnson.

© REUTERS

Letzter Anlauf für ein Handelsabkommen: Johnson muss tun, worauf er am wenigsten Lust hat – sich entscheiden

Jahrelang hat sich Boris Johnson um die Frage herumgedrückt, wie Großbritanniens Verhältnis zur EU aussehen soll. Jetzt muss er Farbe bekennen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Nach vier Jahren des Brexit-Dramas naht für Boris Johnson der Moment der Entscheidung. Für den Mann, der bei vielen Briten in den Zeiten vor Corona dank seines schnodderig-clownesken Gehabes Sympathien erwarb und im vergangenen Jahr zum Premierminister aufstieg, ist der Brexit zum Schicksal geworden. 2016, beim alles entscheidenden Referendum, hatte Johnson einen gewichtigen Anteil am „Nein“ zur EU.

Jetzt, in der entscheidenden Phase der Post-Brexit-Verhandlungen, ist er gezwungen, endlich jene Antwort zu geben, um die er sich jahrelang erfolgreich herumgedrückt hat: Wie eng soll das Vereinigte Königreich in Zukunft an die EU angebunden bleiben?

Großbritannien ist im Januar bereits aus der EU ausgetreten. In der laufenden Übergangsperiode bleibt das Königreich aber bis Jahresende im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Bei den aktuellen Verhandlungen, bei denen ein Zeitplan nach dem anderen über den Haufen geworfen wird, geht es darum, wie hart der Bruch für beide Seiten in dreieinhalb Wochen sein wird.

Das wirtschaftliche Verhältnis zu Großbritannien wird sich dann in jedem Fall verändern. Ein Scheitern der Verhandlungen würde indes zur Erhebung von Zöllen führen und den Schaden für beide Seiten noch vergrößern.

Wirtschaftliches Risiko liegt vor allem bei Großbritannien

Das wirtschaftliche Risiko liegt dabei vor allem auf der Seite Großbritanniens. Laut Schätzungen wird die britische Wirtschaft ab dem Beginn der Corona-Pandemie über fünf Jahre hinweg voraussichtlich um insgesamt vier Prozent schrumpfen, selbst wenn ein Handelsabkommen zu Stande kommt. Im Fall eines „No Deal“ läge der Wirtschaftseinbruch sogar bei sechs Prozent. Doch Johnson scheint dies egal zu sein. Statt auf die verheerenden Wirtschaftsdaten in seinem Land zu schauen, lässt er die Uhr bei den Verhandlungen mit Brüssel herunterlaufen – in der Hoffnung, die EU werde ihm in letzter Sekunde entgegenkommen.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Der EU-Chefverhandler Michel Barnier dürfte Johnson allerdings kaum den Gefallen tun, britische Unternehmen in Zukunft von den Sozial- und Umweltauflagen der Gemeinschaft  zu befreien und ihnen gleichzeitig den ungehinderten Export auf den europäischen Binnenmarkt zu garantieren. Genau darum geht es beim Streit um die fairen Wettbewerbsbedingungen, der seit dem Beginn der Gespräche im März ungelöst ist und jetzt in der letzten Phase mit besonderer Härte geführt wird.

EU muss auf faire Wettbewerbsbedingungen pochen

Die EU hat allen Grund, in diesem Punkt unnachgiebig zu bleiben. Denn ein Einknicken würde auf Jahrzehnte hinaus zu Nachteilen hiesiger Unternehmen gegenüber britischen Wettbewerbern führen. Das ist der Grund, dass auch Kanzlerin Angela Merkel betont, es dürfe nicht um jeden Preis ein Handelsabkommen mit Großbritannien geben. Zwangsläufig birgt der Poker auch auf EU-Seite Risiken. Das gilt nicht zuletzt für die deutsche Automobilindustrie und deren Lieferketten, für die Zölle Gift bedeuten würden.

Bei der Fischerei geht es vor allem ums Prestige

Schon anders liegen die Dinge bei der Fischerei, wo gesamtwirtschaftlich eher wenig auf dem Spiel steht. Hier geht es einerseits um die Jobs französischer Fischer und andererseits um einen britischen Prestigegewinn, den man dem britischen Regierungschef ruhig gönnen sollte.

Am Ende muss aber der Premier erklären, ob er einen Deal mit der EU will oder nicht. Die Referendumskampagne von 2016 mag für den Spieler Johnson noch ein Vehikel zur Macht gewesen sein. Heute ist bitterer Ernst daraus geworden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false