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Obamas Osloer Rede: Lektionen über den gerechten Krieg

Er nimmt den Friedensnobelpreis entgegen – und spricht ausgerechnet da von der Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes. Aber Barack Obama verschleiert die Brutalität nicht, die darin liegt. "Manche", sagt er, "werden töten. Manche werden getötet werden."

Offensive ist die beste Verteidigung. Barack Obama geht die Hauptfrage des Tages ohne Umschweife an, gleich in den ersten Sätzen seiner 36-minütigen Rede: Wie passt das zusammen – der Krieg in Afghanistan, den er aus voller Überzeugung führt und soeben durch die Entsendung weiterer 30 000 Soldaten intensiviert hat, und die Ehrung mit dem Friedensnobelpreis?

Krieg und Frieden, das ist sein Thema in Oslo. 44 Mal nimmt er das Wort Krieg in den Mund, 31 Mal das Wort Frieden. Ein bemerkenswertes Zahlenverhältnis bei solch einem Anlass. Liegt das an ihm, und hat das Nobelpreiskomitee womöglich den Falschen ausgewählt? Oder liegt es an den Zeiten, in denen er an die Spitze der einzigen Weltmacht gewählt wurde? Er hat die USA in keinen neuen Krieg geführt. Die beiden Konflikte, in denen er als Commander in Chief fungiert, hat er von George W. Bush geerbt. Den einen davon sei er dabei zu beenden, beeilt sich Obama zu erwähnen. Er tut es beiläufig, den Namen Irak spricht er nicht aus – und ebenso wenig den Namen seines Vorgängers, der den Krieg dort begonnen hat. Im Ausland redet man nicht schlecht über amtierende oder ehemalige Präsidenten, das ist eine eiserne Regel für amerikanische Politiker.

Auf den ersten Blick mochte es scheinen, als führe diese Frage nach der Vereinbarkeit der beiden Rollen Obamas Amerika und Europa an diesem Tag zusammen. „Der Kriegspräsident redet über den Widerspruch, einen Friedenspreis anzunehmen“, schrieb die „Washington Post“ über ihren Vorbericht. Doch bei näherem Hinsehen fallen einmal mehr die unterschiedlichen Haltungen zum Gebrauch militärischer Gewalt auf den beiden Seiten des Atlantiks auf.

Gewiss, auch US-Bürger haben ihre Zweifel, ob Obama den Friedensnobelpreis verdient habe. Zwei Drittel verneinen das in einer aktuellen Umfrage. Doch dahinter stecken nicht moralische Zweifel wegen der Militäreinsätze unter seinem Oberbefehl. Die Skeptiker meinen schlicht, er habe in seinen wenigen Monaten Amtszeit noch nichts erreicht, was die Auszeichnung rechtfertige. „Er hat keinen Grund, sich für die Kriege zu entschuldigen, die Amerika führt“, sagen nicht nur seine konservativen Gegner. Sondern das betonen auch Demokraten vor und nach der Übertragung der Zeremonie.

Obama nutzt die Verleihung des Friedensnobelpreises für eine zwar nachdenkliche, aber zugleich entschiedene Lektion, warum Kriege manchmal unvermeidbar und auch moralisch gerechtfertigt sind. Er verschleiert die Brutalität, die das beinhaltet, nicht. „Ich bin für die Entsendung tausender junger Amerikaner verantwortlich, die in einem weit entfernten Land kämpfen müssen. Einige von ihnen werden töten. Einige von ihnen werden getötet werden.“ Er beruft sich auf das Konzept des „gerechten Krieges“: eine Lehre, die Philosophen und Politikwissenschaftler seit über einem Jahrtausend entwickelt haben. In den meisten Ländern erkennen überwältigende Mehrheiten an, dass Gewalt zur Selbstverteidigung gegen einen Angriff gerechtfertigt ist. Und auch dann, wenn sie der Abwehr eines größeren Übels dient, zum Beispiel der Beendigung eines Massenmordens. Und doch haben die Lehre vom gerechten Krieg und die Frage ihrer Anwendung bis in die jüngsten Jahre die USA und speziell Deutschland entzweit.

Im Februar 2002 hatten 60 amerikanische Intellektuelle aus allen politischen Lagern, darunter der Soziologe Francis Fukuyama, der Kulturhistoriker Samuel Huntington und der Gesellschaftstheoretiker Amitai Etzioni, die militärische Reaktion der USA auf den Terrorangriff vom 11. September 2001 in einem gemeinsamen Bekenntnis unter dem Titel „What we are fighting for“ verteidigt. 90 deutsche Wissenschaftler, Künstler und Publizisten, vornehmlich aus dem linken Spektrum, antworteten, Krieg sei selbst in dieser Situation nicht gerechtfertigt.

Der Feldzug in Afghanistan ist auch in den USA acht Jahre nach seinem Beginn nicht mehr sonderlich populär. Doch nicht wegen moralischer Bedenken, sondern wegen praktischer Erwägungen. Viele hundert Soldaten sind gefallen, viele hundert Milliarden Dollar wurden ausgegeben und fehlen im Inland bei der Gesundheitsversorgung, der Bildung und Instandhaltung der Infrastruktur. In Afghanistan ist jedoch keine Besserung sichtbar, kein Gegenwert für die amerikanischen Opfer. Die Mehrzahl der US-Bürger meint heute, Afghanistan sei den Kampf nicht wert. Zugleich unterstützt eine knappe Mehrheit von 51 Prozent Obamas Truppenverstärkung – in der Hoffnung, dass sich die Lage wendet und 2011 den Rückzug erlaubt, ohne dass Taliban und Al Qaida an die Macht zurückkehren. Diese Zahlen veröffentlicht die „New York Times“ an dem Tag, an dem Obama in Oslo ans Rednerpult tritt.

Der neue Preisträger nennt ehrfurchtsvoll die Namen berühmter Vorgänger: Er bewundere den gewaltfreien Widerstand von Martin Luther King und Mahatma Gandhi. Doch als Staatsoberhaupt sei er seinem Amtseid verpflichtet, „sein Land zu schützen und zu verteidigen“. Da „kann ich mich nicht nur von ihrem Beispiel leiten lassen. Ich stehe der Welt gegenüber, wie sie ist“. Und das heißt: „Das Böse existiert auf der Welt.“ Zu gewissen Zeiten werden die Völker „Gewalt nicht nur als notwendig, sondern als moralisch gerechtfertigt betrachten“.

Obama hat schon im Wahlkampf gern unterschieden zwischen der Welt, wie sie ist, und der Welt, wie sie sein sollte. In der realen Welt, das sagt er in Oslo, gibt es zwar die Vereinten Nationen und ihre Grundrechtecharta. Doch es sind die USA und ihre Soldaten, die im Zweifel „die Last auf sich genommen“ und „die globale Sicherheit seit sechs Jahrzehnten mit dem Blut unserer Bürger gewährleistet haben“. Er ist stolz auf diesen Dienst seines Landes an der Menschheit.

Gewiss, er spricht auch von der Rolle der Diplomatie. Von der Verantwortung, einen stabilen Frieden durch gerechte Nachkriegsordnungen zu ermöglichen. Auch den kann sich Obama nur unter dem amerikanischen Wertesystem vorstellen: Individuelle Freiheit und Demokratie führen zu wahrem Frieden. Keine faulen Kompromisse mit Diktaturen! Und keine Anerkennung von Kriegen um des Glaubens willen. „Ein Heiliger Krieg kann niemals ein gerechter Krieg sein.“

Er hat es sich nicht leicht gemacht. Es scheint, als suche er sehr ernsthaft nach einer überzeugenden Antwort auf das politische und moralische Dilemma. Das ist ein Kraftakt, auch physisch. Nach seiner inneren, amerikanischen Uhr ist es sieben Uhr früh, als er im Rathaus von Oslo zur Preisverleihung erscheint. Obama hat da bereits mehrere Stunden Programm hinter sich: Besuche bei Norwegens Premier Stoltenberg sowie bei König Harald und Königin Sonja.

Und weil Amerika gerade erst erwacht, als Obama diese umfassende Rede über Krieg und Frieden hält, gibt es so schnell auch keine Auskunft, wer sie geschrieben hat. Nach den bisherigen Erfahrungen kann man sich die Antwort des Weißen Hauses freilich denken: Der Präsident selbst habe die Ideen geliefert, die ihm am Herzen liegen. Dann habe das Team um den 28-jährigen Redenschreiber Jon Favreau einen Entwurf verfasst. Vier, fünf Mal geht so ein Manuskript hin und her zwischen Obama und Favreau. Zwischendurch dürfen auch Strategieberater und Politikexperten ihren Rat einspeisen, damit sich keine Formulierung einschleicht, die im Widerspruch zu generellen oder regionalpolitischen Linien der US-Politik steht. Am Ende freilich ist es Barack Obamas Rede. Er wird gemessen an dem, was er sagt – unabhängig davon, welchen Anteil er selbst am Inhalt hatte und was davon andere ihm aufgeschrieben haben.

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