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Aus Libyen geflohene Afrikaner vor Lampedusa im Frühjahr 2011

© Filippo Monteforte/AFP

Leben in der Illegalität: Vor dem Gesetz sind alle ungleich

Die meisten ihrer Menschenrechte stehen nur auf dem Papier. Eine Diskussion „Leben in der Illegalität“ beschäftigt sich mit den sogenannten "illegalen" Einwanderer und Europas Migrationspolitik - und deren Folgen für die betroffenen Menschen.

Sie wollten weg aus Libyen. Für die Menschen aus der Subsahara war das Land im März 2011 zur doppelten Falle geworden: Die Verträge Italiens mit Gaddafi hatten ihnen den Weg nach Norden verschlossen; nun galten Afrikaner aus dem Süden auch den Aufständischen als verdächtig, weil sie in Gaddafis Hauptstadt gearbeitet hatten. Doch die Flucht der 72 Frauen, Männer, Kinder wurde eine Flucht in den Tod. Als ihr Boot 15 Tage später zurück an Libyens Küste getrieben wurde, lebten nur noch zehn.
Die Tragödie, die sich vom 26. März bis zum 10. April 2011, kurz nach Beginn der Nato-Luftschläge, zwischen Libyen und Süditalien abspielte, ist eine von vielen. Aber sie ist eine der wenigen gut dokumentierten. Die Niederländerin Tineke Strik, die jetzt in Berlin darüber berichtete, hat mit ihren Kollegen der Parlamentarischen Versammlung des Europarats im vergangenen Jahr alle verfügbaren Informationen gesammelt, mit den Überlebenden in getrennten Interviews gesprochen und Militärs und Küstenwache befragt. Ergebnis: Es wäre ein Leichtes gewesen, die Flüchtlinge zu retten. Doch offensichtlich ließ man sie sehenden Auges sterben. Die italienische Küstenwache empfing ihren Notruf und leitete ihn weiter, ohne nachzuhaken. Ein Hubschrauber warf Lebensmittel ab und kam nie zurück. Schiffe unter Nato-Kommando und zwei Fischkutter kamen in unmittelbare Nähe. Man beobachtete und fotografierte das sichtlich überfüllte Boot sogar, doch niemand half.
Strik und ihre Kollegen stießen bei ihren Recherchen teils auf Schweigen in den Behörden, teils auf Ausflüchte. Sie beklagte jetzt auf der Berliner Jahrestagung des Katholischen Forums „Leben in der Illegalität“ die Doppelmoral dahinter: „Man stelle sich ein Boot in vergleichbarer Lage auf der Nordsee vor. Niemand hätte daran gezweifelt, dass es in Not ist.“
Doppelstandards gelten aber auch für die Flüchtlinge, die solche Fluchtwege überleben und es nach Europa schaffen – dies wurde in den folgenden Vorträgen und Diskussionen der Tagung klar, auf der es in diesem Jahr um die Folgen von Europas Migrationspolitik für irreguläre Migranten ging. Der Jurist Carsten Hörig von der Universität Halle-Wittenberg machte darauf aufmerksam, dass vor dem Gesetz nicht alle gleich seien. Wer etwa versuche, seine Abschiebung zu verhindern, indem er seine Papiere verschwinden lasse, mache sich strafbar. „Dass Widerstand gegen die Verwaltung ein Straftatbestand ist, das gibt es nur im Ausländerrecht.“ Auch die Einreise selbst zu kriminalisieren, sei in der EU nicht möglich. Das Aufnahmeland dürfe unerwünschte Einwanderer unter Umständen die Tür weisen; sie dafür bestrafen, dass sie gekommen sind, dürfe es nicht: „Nach europäischem Recht gibt es keine Illegalität des Aufenthalts mehr.“

In der wirklichen Welt gibt es sie dennoch – das betonten Sachsen-Anhalts Ex-Innenminister Holger Hövelmann (SPD) und die Leiterin der Münchner Ausländerbehörde, Franziska Döbrich, die riet, Migranten in der Beratung lieber keine falschen Hoffnungen zu machen. „Wir wissen, das ist juristisch so, aber man weiß als Migrant nie, an wen man gerät.“ So müssen viele „Illegale“ weiter in Angst vor Entdeckung und Strafen leben. Auch wenn ihre Lage kürzlich etwas erleichtert wurde – etwa der Schulbesuch ihrer Kinder. Manche, das berichteten mehrere Fachberaterinnen im Publikum, stellten nach zehn Jahren Deutschland fest, sie seien die schlimmsten ihres Lebens gewesen.
Schlimm sei das auch für Deutschland, sagte die SPD-Innenpolitikerin Daniela Kolbe. Einerseits versuche man, den demografischen Wandel zu bewältigen und ausländische Fachkräfte anzuwerben. Gleichzeitig lasse man die in Sackgassen laufen, die schon hier seien. „Ich habe den Eindruck, wir verhalten uns immer widersprüchlicher.“

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