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Eine Razzia bei einem Berliner Clan.

© Spreepicture / B.Z.

Lagebild zur Organisierten Kriminalität: Der schwierige Kampf gegen illegale Milliardengeschäfte

Die Zahl der Ermittlungsverfahren ist stark gestiegen, die Schadenssumme ebenso: Das Lagebild zur Organisierten Kriminalität befeuert auch den Streit um die Vorratsdatenspeicherung.

Mit immer mehr Ermittlungsverfahren kämpfen die Behörden in Deutschland gegen die Organisierte Kriminalität. Das zeigt das aktuelle „Bundeslagebild Organisierte Kriminalität“, das Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts, am Mittwoch in Berlin vorgestellt haben.

Der Ermittlungsdruck sei so hoch wie nie, sagte Faeser. Die Organisierte Kriminalität dringe in den Alltag der Menschen ein, etwa wenn Rocker bei Auseinandersetzungen auf offener Straße Unbeteiligte gefährden würden. Anders als beim Terrorismus ginge es nicht um Ereignisse, die im kollektiven Gedächtnis blieben. Die organisierte Kriminalität sei weniger sichtbar, aber ein „wachsendes Problem“. Faeser kündigte an, Vorschläge vorlegen zu wollen, um künftig die Gewinne krimineller Banden noch besser abschöpfen zu können und die Organisierte Kriminalität insgesamt effektiver zu bekämpfen.

Nancy Faeser (SPD), Bundesinnenministerin, und Holger Münch, Präsident der Bundeskriminalamtes, stellen vor der Bundespressekonferenz den vom Bundeskriminalamt veröffentlichten Lagebericht zur Organisierten Kriminalität vor.

© Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Zur Statistik: Im Jahr 2021 gab es 696 Verfahren, das sind rund 100 mehr als im Vorjahr (594 Verfahren). Die ermittelte Schadenssumme stieg stark an, von 837 Millionen Euro auf einen Höchstwert von 2,2 Milliarden Euro. Dabei meint Schaden den Verkehrswert erbeuteter Güter. Beim Drogenhandel, der per se illegal ist, entsteht kein Schaden, sondern krimineller Ertrag. Die ermittelten kriminellen Erträge sind von gut einer Milliarde Euro auf mehr als 1,4 Milliarden Euro gestiegen.

Bestimmender Kriminalitätsbereich ist der Drogenhandel und -schmuggel. Knapp die Hälfte aller Ermittlungsverfahren entfällt darauf. Viele weitere Deliktbereiche gehören zum Themenfeld dazu, vom Menschenhandel über Geldwäsche und -fälschung bis zu Korruption.

BKA-Präsident Münch sagte, die Entwicklung mache ihm in Teilen „wirklich Sorgen“. Im vergangenen Jahr sei es gelungen, tiefere Einblicke in das bisherige Dunkelfeld zu gewinnen. Trotzdem gab er sich überzeugt, bekannt sei „weiterhin nur die Spitze des Eisbergs“. Kriminelle Banden seien zunehmend bereit, drastische Gewalt einzusetzen. Der Handel mit Rauschgift sei die wesentliche Einnahmequelle, der Einsatz dagegen müsse daher der zentrale Ansatzpunkt im Kampf gegen das organisierte Verbrechen sein.

Im Jahr 2021 wurden 7 503 Tatverdächtige ermittelt, das sind knapp 15 Prozent mehr als im Vorjahr. Davon waren knapp 40 Prozent Deutsche, gut 55 Prozent Nichtdeutsche und fünf Prozent staatenlos oder mit ungeklärter Staatsangehörigkeit. Bei mehr als zwei Drittel der Ermittlungsverfahren geht es um grenzüberschreitende Kriminalität.

Die Behörden nutzen für ihr Lagebild den politisch umstrittenen Begriff der Clankriminalität. 47 Gruppierungen der organisierten Kriminalität werden diesem Bereich zugeordnet, davon 27 den libanesisch-kurdischen Mhallamiye. Die Einreise vieler Flüchtlinge im Jahr 2015 hatte dem Lagebild zufolge keinen relevanten Einfluss auf die Organisierte Kriminalität.

46 Verfahren hatten Bezug zur Corona-Pandemie, zwölf davon gehörten zum Bereich Wirtschaft. Dabei ging es meist darum, dass zu Unrecht Corona-Soforthilfen eingestrichen wurden.

Der Streit um die Vorratsdatenspeicherung wird durch den Bericht neu befeuert

Ministerin Faeser und BKA-Präsident Münch nutzten die Vorstellung der Zahlen, um einmal mehr für die Vorratsdatenspeicherung zu werben. Am Dienstag hatte der Europäische Gerichtshof ein lang erwartetes Urteil gesprochen und entschieden, die Vorratsdatenspeicherung sei im Grundsatz rechtswidrig, es dürfe aber Ausnahmen zur Bekämpfung schwerer Kriminalität geben.

Faeser und Münch plädierten erneut dafür, zumindest IP-Adressen anlasslos zu speichern, was das aktuelle Urteil auch möglich macht. „Das wäre ein Riesengewinn“, sagte der BKA-Präsident. Die Polizei könne das kriminelle Dunkelfeld ohne die Möglichkeit, die digitale Kommunikation der Banden zu entschlüsseln, „nicht mehr effektiv aufhellen“. Dabei seien die Behörden aber derzeit auf Hilfe von anderen angewiesen: Münch führte den starken Anstieg bei der Zahl der Ermittlungsverfahren auch darauf zurück, dass Deutschland von internationalen Partnerbehörden Daten aus ursprünglich verschlüsselter Kommunikation Krimineller zur Verfügung gestellt bekommen habe. Allein mehr als ein Viertel der gesamten Ermittlungsverfahren gehe auf sichergestellte EncroChat-Daten zurück. Dieser Kommunikationsdienst war von vielen Kriminellen genutzt worden, bis er von Sicherheitsbehörden infiltriert wurde.

Beim Thema Vorratsdatenspeicherung herrscht in der Regierungskoalition aber tiefe Uneinigkeit. Justizminister Marco Buschmann (FDP) lehnt die Vorratsdatenspeicherung ab. Er kann sich darauf berufen, dass im Koalitionsvertrag nur eine anlassbezogene Speicherung von Daten vereinbart wurde. Faeser hingegen würde den Spielraum, den das aktuelle Urteil ermöglicht, gern ausreizen. Sie sagte, man müsse sich in dieser Debatte „ein Stück weit ehrlich“ machen. Es sei problematisch, in den Ermittlungen Daten aus anderen Ländern zu nutzen, die auf eine Art erworben worden seien, „die vielleicht nicht unseren Freiheitsrechten entspricht“, anstatt selbst die Ermittlungsmethoden rechtlich sauber auszugestalten und zu nutzen. Faeser gab sich am Mittwoch optimistisch, eine Einigung zwischen ihr und Buschmann werde gelingen – die faktischen Unterschiede in den Positionen sind allerdings groß.

Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, forderte am Mittwoch, Faeser müsse sich gegenüber ihrem Kabinettskollegen Buschmann „endlich durchsetzen“. Er kritisierte außerdem die aus seiner Sicht unzureichende Ausstattung der Ermittlungsbehörden: „Um den Ermittlungsdruck weiter hoch zu halten, müssen die Sicherheitsbehörden die notwendigen personellen, technischen und finanziellen Ressourcen bekommen.“

Marcel Emmerich, Obmann der Grünen im Bundestagsausschuss für Inneres und Heimat, sagte am Mittwoch, wohl an die Adresse Faesers, die Ankündigung eines Strategiepapiers alleine löse noch keine Probleme. Die bestehende Koordinierungsstelle beim BKA müsse schnell weiterentwickelt werden. Die öffentlichkeitswirksame Verfolgung von Straftaten von Angehörigen sogenannter Clans sei zwar laut und auffällig, die Milliarden würden aber im Verborgenen von anderen erwirtschaftet.

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