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Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz.

© Helmut Fohringer/dpa

Impfstoff-Streit überschattet EU-Gipfel: Kurz fürchtet Schaden, „wie wir es schon lange nicht erlebt haben“

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz bricht in der EU einen Streit um die Impfstoffverteilung vom Zaun. Eine Lösung ist zunächst nicht in Sicht.

Eigentlich wollte sich der virtuelle EU-Gipfel am Donnerstag nicht mit dem Streit um die Verteilung von Impfstoff innerhalb der EU befassen, den Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz vom Zaun gebrochen hatte.

Aber dann ging es bei dem virtuellen Treffen doch stundenlang um die Materie. Zuvor hatte Kurz gesagt, wenn es keine Lösung gebe, könne das einen Schaden für die EU nach sich ziehen, „wie wir es schon lange nicht erlebt haben“.

Österreich wird wie andere Länder mit etwas weniger Vakzinen versorgt, weil diese Staaten im vergangenen Jahr in erster Linie auf das Produkt von Astrazeneca gesetzt hatten – und der britisch-schwedische Hersteller hat bekanntermaßen Lieferschwierigkeiten. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte vorgeschlagen, zehn Millionen Dosen des Impfstoffs von Biontech/Pfizer, deren Lieferung auf das kommende Quartal vorgezogen wurde, für einen Ausgleich zu nutzen. Allerdings blieb eine Einigung beim Gipfel zunächst aus.

„Europe first“ – das ist unterdessen sicher nicht das Motto der Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten, die sich am Donnerstag zum Videogipfel virtuell versammelten. Bei der Versorgung mit dem knappen Impfstoff will die EU auch weiterhin andere Weltregionen mit bedenken – beispielsweise Mexiko und Kanada. Ganz abwegig ist der „Europe first“-Gedanke allerdings nicht, wie sich beim Gipfel zeigte. Und das lag in erster Linie am französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

Vor dem Gipfel hatte ein Berater Macrons gesagt, die EU sollte in der Pandemiebekämpfung kein „zweckdienlicher Idiot“ sein, indem sie Impfstoffe exportiere, während andere Länder Vorräte für sich behielten.

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Es war klar, dass sich die Spitze vor allem gegen Großbritannien und die USA richtete, wo es anders als in der EU praktisch keine Impfstoff-Exporte gibt. Allerdings räumte Macron gleichzeitig in einem Interview mit dem griechischen Fernsehsender ERT ein, dass der Impf-Rückstand der EU gegenüber Großbritannien und den USA auch selbstverschuldet ist. „Wir waren nicht schnell genug“, sagte Macron mit Blick auf den Vorsprung der USA.

Allerdings hat die EU-Kommission inzwischen ein Instrument entwickelt, das den Europäern zumindest zu etwas mehr Impfstoff verhelfen könnte. Am Mittwoch hatte die Brüsseler Behörde verschärfte Exportkontrollen der Europäischen Union in Kraft gesetzt. Sie sehen vor, dass die EU die Ausfuhr von Vakzinen stoppen kann, wenn im Empfängerland Impfstoff gehortet wird oder dort die Bevölkerung bereits weit gehend geimpft ist.

Brüssel und London streben Kooperation an

Der britische Premierminister Boris Johnson war sofort auf der Zinne, nachdem die Änderungen bei den Exportkontrollen bekannt waren. Großbritannien liegt mit der EU über Kreuz, seit der britisch-schwedische Hersteller Astrazeneca zu Beginn des Jahres erhebliche Lieferausfälle in Richtung EU ankündigte. Dagegen läuft die Versorgung Großbritanniens problemlos. Johnson erklärte nun, dass „willkürliche Blockaden“ seitens der EU zu „beträchtlichen“ Schäden führen könnten. Anschließend betonten Großbritannien und die EU in einer gemeinsamen Erklärung dann aber doch ihren Willen zur Zusammenarbeit.

Möglicher Exportstopp ist innerhalb der EU umstritten

Aber auch innerhalb der EU ist umstritten, wie hart die Gemeinschaft die Exportkontrollen in der Praxis handhaben soll. Frankreich bevorzugt ein möglichst striktes Vorgehen gegenüber Großbritannien und den USA. Bei der EU-Videokonferenz wollen sich hingegen Staaten wie die Niederlande und Belgien für einen diplomatischeren Kurs einsetzen. Die Pharmaindustrie, die in den beiden Ländern eine große Rolle spielt, ist schließlich bei der Herstellung der Vakzine auch auf Vorprodukte aus Großbritannien und den USA angewiesen. Und da macht sich die europäische Drohung mit einem Handelskrieg schlecht

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Auch Angela Merkel (CDU) sieht einen kompletten Exportstopp von Vakzinen kritisch. „Man muss vorsichtig sein, generelle Exportverbote zu verhängen“, hatte die Kanzlerin jüngst betont. Rückendeckung erhielt Merkel vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Nach den Worten von BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang wären Exportverbote für Impfstoffe oder weitere medizinische Güter „ein gefährlicher und unnützer Rückschritt in den Protektionismus“.

Merkel lenkte indes am Donnerstag in ihrer Regierungserklärung vor dem Bundestag den Blick darauf, dass die Impfstoffversorgung für die EU auch im kommenden Jahr als Herausforderung erhalten bleiben dürfte. Da die Impfstoffe im Vereinigten Königreich für Großbritannien produziert würden und die USA keine Impfstoffe exportierten, sei man auch noch auf längere Sicht auf die Produktion in den Standorten der EU angewiesen, so Merkel.

Lindner regt Impfgipfel mit den USA an

FDP-Chef Christian Lindner gehört zu denjenigen, die sich mit der ungleichen Verteilung der Impfstoffe nicht abfinden wollen. In seiner Antwort auf Merkels Regierungserklärung regte er an, dem US-Präsidenten Joe Biden ein Angebot zu einem EU-USA-Impfgipfel zu machen. Die USA verfügten über Impfdosen, die sie selbst im Inland nicht verwendeten, sagte Lindner zur Begründung. „Hier besteht die Möglichkeit der Kooperation“, zeigte er sich zuversichtlich.

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