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Polizeipräsenz im öffentlichen Nahverkehr soll das Sicherheitsgefühl der Fahrgäste verbessern.

© Maurizio Gambarini/dpa

Kriminalitätsstatistik: Sicherheit ist auch ein Gefühl

Die Zahl der Straftaten ist gesunken. Doch Sicherheit ist nicht nur eine Frage der Statistik. Wie gehen die Parteien und Regierungen mit dem steigenden Sicherheitsbedürfnis um?

Von Robert Birnbaum

Das Innenministerium zählt in der informellen Hierarchie des Bundeskabinetts zu den „großen“ Ressorts. Das meint nicht die – auch sehr ansehnliche – Personalausstattung, sondern das politische Gewicht. Denn die innere Sicherheit steht immer auf einem der vorderen Plätze der von den Bürgern als vordringlich eingestuften Themen. Am Schutz vor Terror, Gewalt und Einbrechern, am Gefühl, auch in der Nacht sicher nach Hause zu kommen, messen Wähler auch in ruhigen Zeiten ihre Regierungen.

In unruhigen Zeiten wie den Jahren seit der großen Flüchtlingszuwanderung ab 2015 steht das Thema erst recht im Parteienstreit. Spätestens seit der Silvesternacht in Köln von 2015 auf 2016 werden jeder Kriminalfall und jede Statistik auf den möglichen Nutzen für die politische Auseinandersetzung abgeklopft. Gegner der Aufnahme hunderttausender Flüchtlinge suchen nach Belegen, dass von dieser Gruppe besondere Gefahren ausgehen – Befürworter nach Gegenbeweisen, dass für Angst kein Grund besteht.

Für wie wichtig diese Meinungsschlacht speziell von den Gegnern genommen wird, zeigte exemplarisch die Amokfahrt von Münster, die AfD-Fraktionsvize Beatrix von Storch sofort einem Flüchtling zuschob. Storch musste sich entschuldigen, als klar war, dass der Täter ein Deutscher ohne jeden Migrationshintergrund war. Das ändert nichts daran, dass ihre Partei weiter am Bild des kriminellen Ausländers malt: „Masseneinwanderung ist Messerzuwanderung“, rief wenig später ein AfD-Mann im Bundestag, nachdem die „Bild“-Zeitung mit der Schlagzeile aufgemacht hatte, die Zahl der Messer-Attacken sei um 300 Prozent gestiegen. Die Zahl war nicht direkt falsch; sie galt indes nur in Leipzig und selbst dort nur dann, wenn man die registrierten 138 Fälle willkürlich mit dem Jahr 2011 vergleicht.

Entscheidend ist das Sicherheitsgefühl - also demonstrative Stärke

Innenpolitiker wissen freilich aus Erfahrung: Die Sicherheitslage mag objektiv so gut sein wie sie will – entscheidend ist das Sicherheitsgefühl. Stärke und Entschlossenheit zu demonstrieren, gehört infolgedessen seit Jahrzehnten zur Jobbeschreibung des Innenministers.

Das war nicht immer so. Christdemokraten wie der erste Amtsinhaber Gustav Heinemann oder der Verfassungsjurist Ernst Benda prägten die Anfangsjahre der Republik, nach 1968 besetzte die FDP mit Hans-Dietrich Genscher, vor allem aber Werner Maihofer und Gerhard Baum das Haus betont liberal. Erst danach führte der CSU-Bayer Friedrich Zimmermann das Bild des „schwarzen Sheriffs“ ein. Diesem Amtsverständnis konnten sich seine Nachfolger nicht entziehen; der Ex-Grüne und Sozialdemokrat Otto Schily kultivierte es sogar gezielt.

Die Bedeutung des Ressorts steht also außer Frage. Um so bemerkenswerter, dass außer Jürgen Schmude, der 1982 für sechs Wochen einsprang, Schily der einzige Sozialdemokrat als Innenminister war. Von den drei Freidemokraten abgesehen, blieb es stets in Unionshand. Auch auf der Wunschliste, mit der Martin Schulz die jetzige Koalition verhandelte, stand das Innenministerium nicht. Der damalige SPD-Chef legte dem CSU- Kollegen Horst Seehofer in der letzten Nacht sogar selbst nahe, das Ressort zu beanspruchen. Die SPD nahm das Justizministerium. Das entsprach der geübten Aufgabenteilung, nach der die Justiz – lange FDP-Domäne – liberal und „links“ verortet wurde und das Innere „rechts“.

Glücklich ist damit aber auch in der SPD nicht mehr jeder. Die AfD hat ihr bei der Bundestagswahl eine halbe Million Wähler abgezogen – was angesichts des viel schwächeren Gesamtergebnisses bei den Sozialdemokraten genauso ins Kontor schlug wie eine Million AfD-Abwanderer bei CDU und CSU. Ältere erinnert das an den Herbst 1993. Damals zwangen SPD-Bürgermeister aus dem Ruhrgebiet ihre Partei, die Änderung des Asylrechts im Grundgesetz mitzumachen, um eines hohen Zustroms an Asylbewerbern Herr zu werden. Die Rathauschefs wussten, dass ihre Leute vor Ort in Sicherheitsfragen genauso „rechts“ dachten wie CDU und CSU. Andrea Nahles rief ihre Partei am Sonntag in der Bewerbungsdebatte um den Parteivorsitz denn auch kaum zufällig dazu auf, Probleme bei der Sicherheit offen anzusprechen – und „frei von Angst, in irgendeine Ecke gestellt zu werden“.

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