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Der Brennstoffkonzern Shell wurde schon zu mehr Klimaschutz verurteilt. Folgen andere?

© imago images/ZUMA Wire

Klagen für das Klima: Können Richter retten, was zu retten ist?

Die Justiz greift mehr und mehr in die Umweltpolitik ein. Manche werden das als übergriffig empfinden. Aber es ist folgerichtig. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Der Eindruck verfestigt sich, dass Umweltpolitik in jüngster Zeit vor Gericht gemacht wird: Ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zwingt den Gesetzgeber, bei der Festlegung von Emissionszielen über 2030 hinaus konkret zu werden; ein niederländisches Gericht verurteilt den Shell-Konzern, seinen Treibhausgasausstoß zurückzufahren; nun kommt auch noch der Europäische Gerichtshof und mahnt die Luftreinhaltung in deutschen Städten an.

Steht heute schon in Gesetzen, wie der Klimawandel gestoppt werden muss? Falls ja, könnte sich die Politik viel Mühe sparen. Maßnahmen könnten künftig von der Justiz beschlossen und verkündet werden, im Namen des Volkes, für seine Gesundheit und sein Lebenswohl.

Jetzt, so scheint es, gibt es keine Kompromisse mehr

Manche, zumal in Politik und Wirtschaft, werden das als übergriffig empfinden. Man war es gewohnt, dass Umweltschutz verhandelbar ist. Was an Emissionen erträglich sein soll, war eine Frage der Gestaltung. Es regierte der Kompromiss, der in Gesetze gegossen wurde.

Jetzt, so scheint es, gibt es keine Kompromisse mehr. Es regiert nur noch das Recht. Richter retten, was zu retten ist.

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Skepsis ist angebracht, weil Gerichte Politik weder ersetzen können noch sollen. Aber sie ändert nichts daran, dass hier eine Entwicklung in Gang geraten ist, die in Gang geraten musste.

Die Einsicht, den menschengemachten Treibhausgasausstoß zu mindern, ist neben der Erhaltung des Weltfriedens und der Bekämpfung von Hunger und Krankheit zum maßgeblichen Paradigma internationaler Politik geworden. Sie umwölbt sprichwörtlich alles.

Das Urteil gegen Shell ist eine Botschaft

Bei der Auslegung von Gesetzen, einschließlich der Artikel der Verfassung, darauf Bezug zu nehmen, ist folgerichtig. Und es ist wohl auch folgerichtig, dafür nicht nur die Politik in die Pflicht zu nehmen, sondern auch jene, die für den Ausstoß klimaschädlicher Gase mittelbar und unmittelbar verantwortlich sind.

[Mehr zum Thema: Der Tagesspiegel-Podcast "Gradmesser" - alles was Sie zum Thema Klimaschutz wissen müssen]

Das Urteil gegen Shell ist deshalb eine Botschaft. Die Richter nehmen ausdrücklich Bezug auf das Völkerrecht und konstruieren daraus eine Sorgfaltspflicht. Der Grundgedanke ist auch anderen Rechtsordnungen nicht fremd: Wer Risiken schafft, muss in besonderer Weise aufpassen, dass Schäden verhütet werden.

Die Produkte von Shell, eines der größten Lieferanten fossiler Brennstoffe, sind ein Großangriff auf die Umwelt. Dass alle Welt sie kauft, handelt oder verbraucht, ändert an dieser Zurechnung nichts.

Die Verrechtlichung der Klimapolitik hätte demnach keinen Höhepunkt erreicht, sondern steckt womöglich erst in ihren Anfängen. Sie gibt Impulse für Reformen, die unabweisbar sind. Was hier früher einmal Freiheit hieß und als solche umfassend geschützt wurde, könnte Rücksichtslosigkeit gewesen sein.

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