zum Hauptinhalt
Patt nach der Wahl. Premier Benjamin Netanjahu und sein Herausforderer Benny Gantz liegen fast gleichauf.

© Amir Cohen/Reuters

Netanjahu nach der Wahl in Israel: König Bibis Thron wackelt

Israels Premier kämpft nach der Wahl ums politische Überleben. Denn es könnte eine große Koalition geben – ohne ihn. Es wäre gut fürs Land. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christian Böhme

Benjamin Netanjahu hat sich verzockt. Das ist ungewöhnlich für einen Mann, der sich wie wenige andere darauf versteht, mit Macht zu taktieren, seine politischen Gegner gegeneinander auszuspielen und Konkurrenten geschickt ins Aus zu manövrieren. Und das stets zum eigenen Vorteil.

Doch dieses Mal hat ihn sein Instinkt im Stich gelassen. Die von Israels Premier durchgesetzte Neuwahl nur fünf Monate nach der vorigen ist nicht so ausgegangen, wie er sich das erhoffte.

Stattdessen steht Netanjahu viel schlechter da. Schon bei der Wahl im April galt er als Geschlagener. Doch dann machte der Parteichef seinen rechtskonservativen Likud noch auf den letzten Metern zum unverhofften Abstimmungssieger und wurde dafür als strahlender Parteiheld gefeiert.

Das war gestern. Heute ist der 69-Jährige ein an sich selbst Gescheiterter, der nun hinnehmen muss, was andere beschließen. Er ist jetzt einer, der auf dem politischen Abstellgleis landen könnte, weil er potenzielle Koalitionäre schon vor langer Zeit mit seinem Lavieren und autoritärem Gehabe verprellt hat.

Dann träte ein, was für viele Israelis bis vor Kurzem kaum vorstellbar war: „König Bibi“ strauchelt, droht gar zu stürzen. Seine Ära findet womöglich ein abruptes Ende. Aber genau das könnte sich als große Chance für das Land erweisen.

Wer gegen Netanjahu ist, wird als „Verräter“ geschmäht

Zehn Jahre in Folge hat Netanjahu die Geschicke des jüdischen Staates mehr und mehr selbstherrlich gelenkt, ihn samt seiner Gesellschaft immer weiter nach rechts gerückt und gespalten. Denn zum festen Bestandteil seines politischen Instrumentenkastens gehört das Polarisieren. Wer nicht für ihn war und ist, wurde und wird als „Antizionist“, als „Linker“ oder gar als „Verräter“ geschmäht.

So vertiefte sich der Graben zwischen seinen Anhängern, die ihm nach wie vor enthusiastisch huldigen, und jenen, die Israels Demokratie in Gefahr sehen. Weil einer unermüdlich und rücksichtslos versucht, die rechtsstaatlichen Grundlagen auszuhebeln, um einer Anklage wegen Korruption zu entgehen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Netanjahus politische Gegner verbindet das Ziel, ihn vom Thron zu stoßen. Sie setzen aus Mangel an Alternativen und Mehrheiten auf eine nationale Einheitsregierung. Gemeint ist damit ein breites Bündnis zwischen Netanjahus Likud-Partei (allerdings erklärtermaßen ohne ihn), den gemäßigteren „Blau-Weißen“ von Ex-Armeechef Benny Gantz und dem nationalistischen „Unser Heim Israel“ unter Führung von Avigdor Lieberman, einem russischsprachigen Zuwanderer.

Eine solche große Koalition hätte zwei nicht zu unterschätzende Vorteile: Zum einen verheißt sie Stabilität. Ein Wert an sich in einem Staat, dessen Parteienlandschaft enorm zersplittert ist und Parlamentsmehrheiten daher schwierig zu finden sind. Aber zum anderen könnte mit einer Einheitsregierung die unselige Zeit der innenpolitischen Dauerkonfrontationen ein Ende finden. Keine Frage: Israel täte das gut.

Aber täusche sich keiner – das außenpolitische Koordinatensystem des jüdischen Staats wird sich auch ohne Netanjahu an der Spitze nicht grundlegend verändern. Im Land besteht über Partei- und Ideologiegrenzen hinweg ein breiter Konsens, dass der Iran als Erzfeind bekämpft werden muss. Die Israelis nehmen die Vernichtungsdrohungen aus Teheran bitterernst, Netanjahus Anti-Mullah-Besessenheit wird von niemandem grundsätzlich infrage gestellt.

Avigdor Lieberman könnte mit seiner Partei "Unser Heim Israel" der Königsmacher werden.

© Nir Elias/Reuters

Unter einem neuen Premier ändert sich wenig

Die Palästinenser haben auch keinen Grund, erleichtert aufzuatmen, wenn Netanjahus Karriere endet. Unter einem israelischen Ministerpräsidenten namens Benny Gantz mag der Ton konzilianter werden. Aber in der Sache wird sich wenig ändern. Das Palästinenserproblem rangiert in Israel inzwischen unter ferner liefen.

Als Netanjahu im Wahlkampf ankündigte, er wolle das Jordantal annektieren, beschwerte sich Gantz lediglich über dessen Ideenklau. Auch im Umgang mit den islamistischen Terroristen der Hamas plädiert der einstige General für einen harten Kurs – eine umfassende militärische Operation eingeschlossen.

Ex-Armeechef Benny Gantz und sein Bündnis Blau-Weiß favorisieren eine große Koalition.

© Corinna Kern/Reuters

Doch jetzt geht es in Israel vorrangig um eine Regierungsbildung. Und Netanjahu setzt alles daran, dass er dabei eine entscheidende Rolle spielt. Denn wenn eines sicher ist, dann das: Netanjahu lässt sich nicht einfach unterkriegen. Fürs Aufgeben gibt es bei ihm keinen Platz. Zumal ihm Gefängnis droht.

Niemand sollte also seinen Überlebenswillen, seine Kaltschnäuzigkeit unterschätzen. Er hat schon viele Gegner kommen und gehen sehen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false