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Der türkische Präsident Erdogan will mehrere Diplomaten doch nicht zu unerwünschten Personen erklären lassen.

© Murat Cetinmuhurdar/PPO/Handout via Reuters

Kompromiss per Twitter: Erdogan rückt von angedrohter Ausweisung westlicher Diplomaten ab

Die Krise zwischen der Türkei und dem Westen im Fall des inhaftierten Bürgerrechtlers Osman Kavala ist beigelegt – und Erdogans Anhänger jubeln.

Die Botschafter-Krise zwischen der Türkei und dem Westen ist beigelegt – und beide Seiten können behaupten, ihren Standpunkt durchgesetzt zu haben.

Die zehn von Präsident Recep Tayyip Erdogan mit Rauswurf bedrohten westlichen Botschafter betonten am Montag in gleichlautenden Mitteilungen, sie mischten sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Türkei ein. Erdogan begrüßte die Klarstellung, wie die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Demnach verzichtet die Türkei darauf, die Diplomaten zu unerwünschten Personen zu erklären, obwohl die Botschafter ihre von Erdogan kritisierte Forderung nach Freilassung des Bürgerrechtlers Osman Kavala nicht zurückgenommen haben. Erdogan-Anhänger feierten das Ergebnis als Triumph der Türkei über den Westen. Nach Ansicht mancher Beobachter könnte Kavala aber im Rahmen des Kompromisses bald freigelassen werden.

Erdogan hatte das türkische Außenministerium angewiesen, die Botschafter von Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Kanada, Neuseeland, den Niederlanden, Norwegen, Schweden und den USA zu unerwünschten Personen zu erklären. Wenn das Ministerium der Anweisung gefolgt wäre, hätten die Diplomaten laut den internationalen Gepflogenheiten das Land verlassen müssen. Das wäre die schwerste Krise zwischen der Türkei und dem Westen seit einem halben Jahrhundert gewesen.

Im Europarat droht der Türkei der Rauswurf

Die Botschafter hatten den Zorn des Präsidenten auf sich gezogen, indem sie Kavalas Freilassung forderten. Erdogan warf ihnen vor, der türkischen Justiz Vorschriften machen zu wollen. Er betrachtet Kavala als Staatsfeind und weist den Ruf des Europäischen Menschenrechtsgerichts nach Freilassung des Bürgerrechtlers zurück. Im Europarat droht der Türkei deshalb der Rauswurf.

Das türkische Außenamt bemühte sich hinter den Kulissen um eine Entschärfung der Krise. Als Ergebnis der Gespräche erklärten die westlichen Botschaften am Montag per Twitter, sie hielten sich weiter an Artikel 41 des Wiener Übereinkommens über Diplomatische Beziehungen von 1961. Nach dem Artikel müssen sich ausländische Diplomaten an die Gesetze ihres Gastlandes halten. „Sie sind ferner verpflichtet, sich nicht in dessen innere Angelegenheiten einzumischen.“

Die Erklärung besteht aus einem einzigen Satz

Nach dem Kompromiss kann der Westen seine Haltung bestätigt sehen, dass die Forderung nach Umsetzung internationaler Gerichtsurteile wie im Fall Kavala keine Einmischung in innere Angelegenheiten darstellt. Mit ihrer Erklärung, die lediglich aus einem einzigen Satz bestand, nehmen die betroffenen Länder ihre Forderung nach Kavalas Haftentlassung nicht zurück. Mehrere Regierungen hatten am Wochenende erklärt, sie blieben bei ihrer Position. Erdogan-Berater Ilnur Cevik hatte verlangt, der Appell zugunsten von Kavala müsse zurückgenommen werden.

Gleichzeitig kann die türkische Regierung jedoch vor den eigenen Wählern von einem Erfolg über den Westen zu sprechen, weil die westlichen Botschafter sich zur Einhaltung des Wiener Übereinkommens bekannt haben. Er wolle keine Krisen anzetteln, sondern lediglich „Recht, Ehre und Souveränität“ der Türkei schützen, sagte Erdogan.

Anhänger des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan haben sich vor der US-Botschaft in Ankara aufgestellt, um gegen die Unterstützung des Westens für den inhaftierten Bürgerrechtler Kavala zu protestieren.
Anhänger des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan haben sich vor der US-Botschaft in Ankara aufgestellt, um gegen die Unterstützung des Westens für den inhaftierten Bürgerrechtler Kavala zu protestieren.

© Cagla Gurdogan/Reuters

Er fügte hinzu, es werde niemand im Land geduldet, der die Unabhängigkeit und die „Sensibilität“ der Türkei nicht respektiere. Ein einziger Satz von Erdogan habe gereicht, um zehn Länder in die Knie zu zwingen, jubelte der regierungsnahe Journalist Ibrahim Karagül.

Nach Informationen des Türkei-Experten Soner Cagaptay von der US-Denkfabrik Washington Institute wird Erdogan die betroffenen Botschafter ab sofort nicht mehr in seinem Palast in Ankara empfangen. Der Menschenrechtsanwalt Orhan Kemal Cengiz schrieb auf Twitter, er wäre nicht überrascht, wenn Kavala nach dem Kompromiss bald freigelassen werde. Der Prozess gegen den Bürgerrechtler wird am 26. November fortgesetzt. Wenige Tage später entscheidet der Europarat über den Beginn eines Ausschlussverfahrens gegen Ankara.

Allerdings sind die Probleme für die türkische Regierung nicht ausgestanden. Sie kann nicht erwarten, dass Länder wie die USA nach den Drohungen gegen ihre Botschafter einfach zur Tagesordnung übergehen werden. Alle betroffene Länder, darunter die wichtigsten Handelspartner der Türkei, würden ihre Kontakte mit Ankara auf ein Minimum reduzieren, sagte Türkei-Experte Cagaptay voraus. Zudem sei es wahrscheinlich, dass US-Präsident Joe Biden sein geplantes Treffen mit Erdogan am Rande des G-20-Gipfels in Rom am Wochenende absagen werde.

Die türkische Opposition wirft Erdogan vor, die Botschafter-Krise benutzen zu wollen, um dem Ausland die Schuld an den schweren wirtschaftlichen Problemen der Türkei geben zu können. Die Lira hat in jüngster Zeit dramatisch an Wert verloren. Seit Jahresbeginn ist der Kurs der türkischen Währung gegenüber dem Euro um fast 20 Prozent und gegenüber dem Dollar um fast 24 Prozent abgesackt.

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