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Kommunalwahlkampf in NRW: Saskia Esken, Bundesvorsitzender der SPD, und Bernd Tischler, Oberbürgermeister in Bottrop und SPD-Kandidat, aufgenommen am Tetraeder auf der Halde Beckstrasse in Bottrop.

© Gärtner/images/photothek

Kommunalwahlen in NRW: Der SPD laufen im Ruhrgebiet nicht die Arbeiter davon - es gibt immer weniger

Das Problem der SPD in Nordrhein-Westfalen: Sie hängt an alten Wählerklischees fest. Davon können heute vor allem die Grünen profitieren. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Klischees kleben am echten Leben wie ein auf die Straße gespuckter Kaugummi an der Schuhsohle des nächsten Passanten. Und je nostalgischer sie sind, desto zäher sind sie.

Das Klischee vom Ruhrgebiet als Arbeiterhochburg mit rauchenden Schloten ist so ein Kaugummi. Noch immer wird die Region so erzählt, meist als Geschichte eines Verfalls. Vor eineinhalb Jahren zum Beispiel, als in Bottrop (Transparenzhinweis: die Heimatstadt der Autorin) die letzte Zeche geschlossen wurde. Der Bundespräsident (nota bene: ein Sozialdemokrat) nahm das letzte Stück Kohle entgegen. Der Tenor: Da geht sie hin, die gute Zeit.

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Zu diesem Klischee gehörte auch immer, dass das Ruhrgebiet in Besitz der SPD sei. Auch was das betrifft, dürfte ab Sonntag wieder eine Verfallsgeschichte erzählt werden. Wenn in Nordrhein-Westfalen neue Stadträte und Bürgermeister gewählt werden, drohen im Ruhrgebiet symbolträchtige Posten verloren zu gehen, in Dortmund zum Beispiel. Hier holte die SPD in den 60er und 70er Jahren bei Ratswahlen stets rund 57 Prozent. Dieses Mal sind bei der Bürgermeisterwahl sowohl die Grünen als auch die CDU so nah herangerückt, dass die SPD die Stichwahl verlieren könnte.

Die SPD verliert im Ruhrgebiet voraussichtlich Stimmen an die Grünen

In der SPD dürfte das Wasser auf die Mühlen derjenigen sein, die meinen, die Rettung der Partei liege in einer thematischen Besinnung auf die Arbeiterschaft. Der wiederum unterstellen sie ein Faible für eine klassische Industriepolitik, eine harte Haltung in Flüchtlingsfragen, überhaupt Recht und Ordnung und eine ausgeprägte Abneigung gegen das ganze identitätspolitische „Berliner“ Chichi.

Übersehen wird dabei häufig – und damit sind wir wieder beim Ruhrgebietsklischee –, dass die SPD weniger darunter leidet, dass ihr die Arbeiter weglaufen. Sondern vielmehr darunter, dass es schlicht immer weniger Arbeiter gibt. Ja, auch im Ruhrgebiet. Deutschlandweit überholten Angestellte (also Kopfarbeiter) Arbeiter (also Handwerker und Körperarbeiter) schon in den frühen 2000er Jahren beim Anteil an der Bevölkerung. Im Ruhrgebiet ist das ähnlich: Hier lag der Anteil der Arbeiterschaft zuletzt nur knapp über dem Bundesdurchschnitt.

Ja, weniger Arbeiter wählen SPD. Aber es gibt vor allem auch immer weniger Arbeiter

Überhaupt ist das Bild vom nostalgisch-wutbürgerlichen und strukturschwachen Ruhrgebiet falsch. Meine ehemaligen Mitschüler arbeiten heute in der Robotikforschung und im Stadtmarketing, bei Energieversorgern, bei der Sparkasse und als Lehrer. Vor allem eint sie eines: Viele sind geblieben und leben sehr gern im Ruhrgebiet. Dass das durchaus nicht nur Anekdoten aus einer gymnasialen Bubble sind, zeigt eine Umfrage des WDR zur Kommunalwahl: Die Lebenszufriedenheit in Dortmund und Essen ist mit über 80 Prozent sehr hoch.

Die neuen Ruhrgebietsbürger finden die Grünen offenbar attraktiv

Wie die Mercator-Stiftung in ihrer Ruhr-Studie 2019 herausgearbeitet hat: Ja, hier gibt es verschuldete Kommunen und teilweise eine überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit. Aber es gibt eben auch Start-ups und Dienstleister und damit ein neues, breiteres Bürgertum. Diese Bürger – auch das zeigt die Umfrage – treibt übrigens mit der Ausnahme von Duisburg mitnichten um, dass hier viele Zugewanderte und ihre Nachfahren leben. Das wichtigste Thema ist der Verkehr.

Es ist also kein Wunder, dass die Grünen nach dem ländlichen Bayern auch in „Arbeiterstädten“ Erfolg haben. Die SPD kann daraus lernen, sich vom Klischee zu lösen. Denn wer den Kaugummi nicht loswird, klebt irgendwann selbst fest.

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