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Ist eine Videoübertragung von Gerichtsprozessen in einen anderen Saal zulässig oder nicht?

© dpa

NSU-Prozess: Kommt die Videoübertragung im Gerichtssaal?

Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) hat sie gefordert. Genau wie die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Angehörigen der NSU-Opfer. Das Hickhack um die knappen Presseplätze im NSU-Prozess hat eine Debatte um Videoübertragung im Gerichtssaal ausgelöst. Auch der Bundestag könnte sich bald damit beschäftigen.

Das öffentliche Interesse ist riesig. Der Prozess selbst ist es auch. Nur hat es das Gericht nicht geschafft, eine Lösung zu finden, die dem öffentlichen Interesse gerecht wird. Der Saal ist zu klein und 50 Presseplätze für ein so großes und internationales Medieninteresse sind einfach zu wenig. Eine Videoübertragung in einen anderen Saal für akkreditierte Journalisten wäre ein Ausweg gewesen. Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) hat die Umstände bei der Vergabe der Presseplätze als „einigermaßen beschämend“ beschrieben. Eine mögliche Lösung wäre aus seiner Sicht, die Verhandlung des Gerichts in einen zweiten und einen dritten Saal zu übertragen. "Dazu sind die Richter aber offenbar nicht von sich aus schlau genug", sagte der Altkanzler in der ARD-Sendung "Beckmann".

Das Gericht verweist darauf, dass eine Übertragung einen möglichen Revisionsgrund liefern könnte. Denn die Rechtslage in dieser Frage sei nicht eindeutig. "Das würde dazu führen, dass das Verfahren wegen Rechtswidrigkeit wieder aufgerollt würde. Da müsste schon der Gesetzgeber das Gesetz ändern", sagte Gerichtspräsident Karl Huber. Die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Angehörigen der NSU-Opfer hatte die Politik aufgefordert zu handeln. Auch Ex-Bundesinnenminister und FDP-Rechtsexperte Gerhart Baum sieht Handlungsbedarf, wenngleich er skeptisch ist.

Möglicherweise wird es da nun auch Bewegung geben. Der Vorsitzende des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, Siegfried Kauder (CDU), hat angekündigt, dass sich der Ausschuss mit dem Thema Videoübertragung im Gericht befassen wird. "Ich werde meinen Kollegen im Rechtsausschuss vorschlagen, dass sich der Ausschuss in einer der kommenden Sitzungswochen mit dem Thema befasst und Experten dazu anhört, um herauszufinden, was möglich ist und was nicht", sagte Kauder dem Tagesspiegel. Er selbst zeigte sich aber skeptisch. "Ich habe erhebliche Bedenken gegen Public Viewing in der Justiz. Öffentlichkeit in einem Strafprozess muss in einer geordneten Bahn stattfinden." Der NSU-Prozess eigne sich nicht für ein solches Experiment. "Aber der Gesetzgeber hat Handlungsmöglichkeiten. Wir sollten uns mit dem Thema auseinandersetzen und Vor- und Nachteile abwägen", erklärte Kauder. Eine Videoübertragung in einen anderen Raum bedeute auch zusätzlichen personellen Aufwand, weil dieser Raum von einem Richter oder einer ähnlichen Person kontrolliert werden müsse. Außerdem müssten technische Fragen geklärt werden, beispielsweise ob in einer Totalen aufgenommen werde oder immer der Angeklagte im Fokus stehe. "Das wirft auch Fragen nach der Menschenwürde auf. Man muss deshalb sehr aufpassen, dass man sich mit einer Videoübertragung nicht mehr Probleme schafft als Vorteile", sagte Kauder.

Die SPD steht dem Thema Videoübertragung offen gegenüber. "Prozesse dieser Art, in denen es um so eine große Zahl von Opfern geht und dementsprechend viele Nebenkläger dabei sind, erzeugen auch ein verstärktes öffentliches Interesse. Dem müssen wir auch in Zukunft Rechnung tragen", sagte die SPD-Fraktionsvize und Rechtsexpertin Christine Lambrecht. "Wir brauchen eine gesetzliche Klarstellung, dass die Videoübertragung in einen anderen Raum zulässig sein darf um Öffentlichkeit herzustellen. Das Gerichtsverfassungsgesetz müsste so geändert werden, dass die Übertragung für Prozessbeobachter zulässig ist, aber weiterhin keine Fernseh- und Rundfunkübertragung möglich sein darf", erklärte Lambrecht weiter.

Derzeit heißt es in Paragraf 169 des Gerichtsverfassungsgesetzes: "Die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse ist öffentlich. Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts sind unzulässig." Der entscheidende Passus dabei ist nach Ansicht von Experten "zum Zweck der öffentlichen Vorführung". Was heißt das? Ist eine Videoübertragung in einen zweiten Raum beispielsweise nur für zugelassene Journalisten eine "öffentliche Vorführung"? Befürworter einer Videoübertragung sehen das nicht so. Für sie wäre eine solche Übertragung nicht-öffentlich. Außerdem verweisen sie auf andere Länder, die Prozesse einer ähnlichen Größenordnung auch per Video in einen anderen Pressesaal übertragen hätten. In Norwegen beim Prozess gegen den Massenmörder Anders Breivik zum Beispiel. Dort verfolgten Journalisten die Verhandlung per Video.

Die Gegner einer Videoübertragung führen auch andere Argumente auf. Sie verweisen darauf, dass gewissermaßen Live-Aufnahmen der Angeklagten und Zeugen eine zusätzliche Belastung sei. Ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes kommt zu dem Schluss, dass möglicherweise auch die Menschenwürde der Verfahrensbeteiligten berührt sein könnte. Allerdings heißt es beim Bundestag, dass dieses Gutachten noch gar nicht fertig sei, sondern noch ein "Manuskript" sei. Außerdem argumentieren Gegner einer Videoübertragung, dass ein Richter dann keine Kontrolle mehr über diesen Saal haben könne, die er als oberster Herr des Verfahrens aber haben müsste.

Gleichzeitig gibt es aber Gerichte, die per Video Verhandlungen in einen anderen Saal übertragen. Das Bundesverfassungsgericht beispielsweise. Der Einwand da: In Karlsruhe würde es um Rechtsfragen gehen und nicht wie in einem Strafprozess um Menschen direkt. Allerdings ist selbst den Skeptikern nach den Diskussionen um den NSU-Prozess klar, dass es Handlungsbedarf gibt. Und so wird der Gesetzgeber dieses Thema nun mindestens intensiv diskutieren. Mit welchem Ergebnis, ist aber noch offen.

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