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Wütende Bauern hindern Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) in Schlüttsiel in Schleswig-Holstein am Verlassen einer Fähre.

© dpa/-

„Kommen mit allem, was Räder hat“: Rechtsextreme zettelten offenbar Protest an Fähranleger an

Ein aufgebrachter Mob lauert Habeck auf – angestachelt offenbar von Rechtsradikalen. Recherchen führen zu einer AfD-Akkordeonistin und einem radikalen Lohnarbeiter, der auf Whatsapp mobilisiert.

Dass Hunderte wütende Bauern Wirtschaftsminister Robert Habeck am Fährhafen von Schüttsiel auflauerten, ist offenbar Resultat rechtsradikaler Mobilisierung. Recherchen des Wochenmagazins „Zeit“ zufolge war Habeck am Donnerstagvormittag auf der Hinfahrt zur Hallig Hooge von einer AfD-Kandidierenden erkannt und angesprochen worden. Ihr Lebenspartner habe dann für Habecks Rückkehr aufs Festland in einer lokalen Whatsapp-Gruppe die Landwirte mobilisiert und angestachelt.

Lange war unklar, wie es zur „Eskalation von Schüttsiel“ kam – wie die Tagesschau den Krawall nannte, der deutschlandweit für Entsetzen sorgte. Woher wussten die Landwirte, dass Habeck – der an jenem Tag als Privatperson mit seiner Familie reiste – auf der Fähre war und wann er anlegen würde?

Tanja B.: Akkordeonistin, nordfriesische AfD-Kandidatin und QAnon-Anhängerin

Recherchen der „Zeit“ zufolge könnte es sich folgendermaßen zugetragen haben: Robert Habeck fuhr am Donnerstagvormittag gemeinsam mit seiner Frau auf der Fähre „MS Hilligenlei“ von Schlüttsieg auf die Hallig Hooge. An Bord ist zufällig auch die Akkordeonspielerin und Künstlerin Tanja B., die den Tag auf der Halllig im Nordfriesischen Wattenmeer verbringen will. Und die der AfD nahe steht.

Augenzeugen berichten, wie Tanja B. auf der Überfahrt Kontakt zu Habeck aufnimmt und sich mit ihm unterhält. So habe sie erfahren, dass der Wirtschaftsminister noch am selben Nachmittag zurückkehren wolle – mit der einzigen Fähre, die an diesem Tag wieder aufs Festland übersetzte.

Völkischer Lohnarbeiter mobilisiert Habeck-Mob via Whatsapp

Tanja B. hat erst im vergangenen Jahr im Wahlkreis Nordfriesland für die AfD kandidiert, wenngleich erfolglos. Der Landesvorsitzende der AfD in Schleswig-Holstein, Kurt Kleinschmidt, bestätigte „Zeit“ gegenüber, B. sei in der Partei sehr aktiv und persönlich mit ihm bekannt. Hinzu kommt, dass B. offenbar eine Anhängerin der verschwörungsideologischen QAnon-Bewegung ist. QAnon ist der Überzeugung, eine weltweit satanistische Elite halte Kinder gefangen, um aus ihrem Blut ein Verjüngungsserum zu gewinnen.

Er wünscht sich unendlich viel Interesse. Tun wir ihm den Gefallen und kommen mit allem was Räder hat

Holger T. in lokalen Whatsapp-Gruppen

„Zeit“ geht davon aus, dass B. ihr Wissen über Habecks Reisepläne umgehend mit ihrem Lebenspartner, einem Mann namens Holger T., teilt – der kurz darauf in Whatsapp-Gruppen für lokale Landwirte dazu aufruft, Habeck bei seiner Rückkehr einen denkwürdigen Empfang zu bescheren.

„ACHTUNG !!! Robert Harbeck (sic!) lädt heute zum Bürgerdialog um 16:45 Uhr am Fährhafen Schlüttsiel ein!“, postet Holger T. um 12.53 in einer lokalen Whatsapp-Gruppe. „Er wünscht sich unendlich viel Interesse. Tun wir ihm den Gefallen und kommen mit allem was Räder hat!“ Die Nachricht habe sich wie ein Lauffeuer in diversen Landwirtschafts-Chats, in Protestkanälen von Bauern sowie in AfD-nahen Gruppen verbreitet.

Weißer Pflug und rotes Schwert: Verbindungen zur Landvolkbewegung

T. selbst ist Lohnunternehmer, der landwirtschaftliche Dienstleistungen anbietet. Politisch ordnet „Zeit“ ihn einer völkisch-nationalistischen Gruppierung zu. Der Redaktion liegt ein Foto vor, das zwei Sattelschlepper seiner Firma auf einer Bauern-Kundgebung im vergangenen Jahr zeigt. Am Kühlergrill der Lkw sind Fahnen der historischen Landvolkbewegung angebracht: ein weißer Pflug und ein rotes Schwert auf schwarzem Grund.

Das Symbol stammt von einer Protestbewegung aus den 1920er- und 1930er-Jahren, als Landwirte im Norden, teilweise mit Unterstützung paramilitärischer Verbände, mit Steuerboykott, Widerstand gegen Zwangspfändungen und Bombenanschlägen die Demokratie der Weimarer Republik angriffen. Heute werden die Symbole der Landvolkbewegung im radikal rechten Flügel der Bauernschaft verwendet. 

Eine Flagge der schleswig-holsteinischen Landvolkbewegung ist bei einem Bauernprotest auf der Straße des 17. Juni vor dem Brandenburger Tor an einem Traktor zu sehen.

© dpa/Jörg Carstensen

Bei den Protesten am Fähranleger agierte T. als Wortführer der Demonstranten. Auf den Videos der Demonstration sieht man mehrere schwarze Fahrzeuge aus T.s Fuhrpark in der ersten Reihe. Unter anderem verhandelte T. mit der Polizei über die Möglichkeit, mit dem Minister zu sprechen. Als Habeck anbot, mit einer kleinen Delegation an Bord der Fähre zu sprechen, lehnte T. ab – unter Gejohle seiner Mitstreiter. Als die Situation sich immer weiter aufheizte, entschied der Kapitän der Fähre, abzulegen.

SPD und FDP bestürzt, während Wagenknecht Habeck „weinerlich“ nennt

Weder Tanja B. noch Holger T. wollten zu den Vorfällen Stellung nehmen. Von den Vorfällen zeigten sich viele deutsche Politiker bestürzt. Der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert etwa warnte vor einer „Akzeptanz des Faustrechts“. Habecks Parteikollege, der Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, schreib auf dem Nachrichtendienst X: „Gewalt und Nötigung sind verachtenswert und schaden auch dem Anliegen.“

Auch Justizminister Marco Buschmann (FDP) verurteilte den versuchten Angriff: „Gewalt gegen Menschen oder Sachen hat in der politischen Auseinandersetzung nichts verloren“, schrieb er auf X.

Habeck selbst wandte sich in einer Videobotschaft an die verärgerten Landwirte und sagte: „Wenn an Traktoren Galgen hängen, wenn Traktorkolonnen zu privaten Häusern fahren, dann ist eine Grenze überschritten.“ Die ehemalige Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht wiederum nannte Habecks Reaktion auf die Protestaktion „peinlich“ und „weinerlich“. (soe)

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