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Schellnhuber

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Politik: Klimawandel

Deutschland sollte eine tragende Rolle bei der Lösung des Klima-Energie-Problems übernehmen. Von Hans Joachim Schellnhuber

Der Zufall wollte es, dass die Außentemperaturen ebenso wie die Ölpreise in diesem Sommer auf Rekordwerte kletterten. Damit wurde das Interesse der Öffentlichkeit gleichzeitig auf zwei unserer großen Zivilisationssorgen gelenkt, nämlich Klimawandel und Energiekrise. Beide Probleme sind natürlich aufs Engste miteinander verknüpft, denn die moderne Weltgesellschaft wird von fossilen Brennstoffen angetrieben. Dadurch befinden wir uns in einer unhaltbaren („nicht nachhaltigen“) Situation weil (1) infolge der Treibhausgasemissionen das globale Klima (und die gesamte Umwelt) aus den Fugen gerät und (2) die konventionellen Energieträger Öl, Gas und Kohle eine sehr begrenzte ökonomische und soziale Reichweite haben.

Diese Aussagen lassen sich konkreter fassen: Bei ungebremster Anreicherung der Atmosphäre mit Kohlenstoff einerseits wird sich die Erde bis zum Jahr 2100 um drei bis fünf Grad Celsius erwärmen – mit überwiegend negativen Folgen für Natur und Kultur. Wahrscheinlich werden dabei so genannte Kippschalter im planetarischen System aktiviert (zum Beispiel Zerfall des Grönlandeisschildes, Kollaps des Amazonasregenwaldes, Störung des Indischen Monsuns), die sich für Jahrtausende nicht mehr rückstellen lassen. Im schlimmsten Fall droht mittels selbst verstärkender Prozesse sogar ein „galoppierender Treibhauseffekt“ mit einem Meeresspiegelanstieg im 50 Meter-Bereich und Aufheizung der Erde um mehr als zehn Grad Celsius. Bei ungebremstem Einsatz der fossilen Brennstoffe wird andererseits diese Energieschatzkammer zügig leer geräumt, wobei Erdöl schon in wenigen Jahrzehnten, dann Erdgas und schließlich Kohle zu Mangelwaren werden. Damit haben die mehr als zwei Milliarden Energiearmen der Welt keine Chance, jemals an dieser „Bonanza“ der Menschheit teilzuhaben.

Solche wissenschaftlich gut begründeten Perspektiven mag man verdrängen oder gar leugnen, keinesfalls aber kann man sie akzeptieren. Leider lässt sich die Klima-Energie-Problematik durch keine Politik der Welt in Wohlgefallen auflösen, aber immerhin bietet sich eine solide Doppelstrategie zur Bewältigung an. Sie kann in dem Motto „Das Unbeherrschbare vermeiden und das Unvermeidbare beherrschen!“ zusammengefasst werden. Dabei gilt es zum einen desaströse Umweltveränderungen und Ressourcenengpässe, die zu schweren gesellschaftlichen Verwerfungen führen würden, auszuschließen.

Zum anderen aber gilt es, sich auf die nunmehr vorprogrammierten Entwicklungen nach besten Kräften einzustellen: Der klassische englische Sommer ist ebenso Geschichte wie das spottbillig sprudelnde Benzin an amerikanischen Tankstellen. Entscheidend für den Erfolg des dualen Ansatzes ist die Einsicht in die systemaren Zusammenhänge zwischen Vermeidung und Anpassung – etwa bei der Neuerfindung von städtischen und ländlichen Räumen – ebenso wie die Erkenntnis, dass sich die „Klimafliege“ nur mit der „Energieklappe“ schlagen lässt und umgekehrt – etwa beim Übergang zu nachhaltigem Konsum und nachhaltiger Mobilität.

Darüber hinaus sind drei politische Grundelemente für die Umsetzung der Doppelstrategie wesentlich, nämlich Verantwortung, Erneuerung und Partnerschaft. Das hört sich nach abgedroschenen Schlagworten an, die im Kontext dieser Jahrhundertproblematik jedoch dramatische Bedeutungen für jede Nation und jedes Individuum erlangen können.

Beginnen wir mit der Verantwortung, um dies zu erläutern. Die zwei bis drei bestimmenden Generationen der heutigen Menschheit müssen sich der Tatsache bewusst sein, dass sie das Schicksal des Weltklimas in ihren Händen halten. Die Begrenzung der globalen Erwärmung auf höchstens zwei Grad Celsius dürfte ausreichen, um wirklich katastrophale Klimaschäden (etwa die unumkehrbare Desertifikation der Iberischen Halbinsel) abzuwenden. Dies wiederum erfordert eine Stabilisierung des atmosphärischen Co2-Gehaltes unterhalb von 450 ppm, möglicherweise sogar auf dem heutigen Niveau von circa 380 ppm (ppm: parts per million) nach einer Phase des „Überschießens“. Modellrechnungen zeigen, dass zu diesem Zweck jedem Erdenbürger – im weltweiten und langfristigen Durchschnitt – nur jeweils etwa zwei Tonnen Co2-Ausstoß pro Jahr zugeteilt werden dürfen. Zum Vergleich: Der aktuelle deutsche Wert liegt bei circa zehn Tonnen.

Damit haben wir einen schmerzhaften Punkt angesprochen, weil dem implizit vorausgesetzten „gleichen Recht auf Atmosphärenverschmutzung für alle“ eine geografisch extrem ungleiche Verteilung der tatsächlichen Treibhausgasemissionen gegenübersteht. Die Unterschiede zwischen hoch industrialisierten Regionen (zum Beispiel in den USA) und ländlichen Räumen (beispielsweise in Myanmar) liegen heute bei Zehntausenden von Prozent! Schlimmer noch: Die hochentwickelten Nationen (vor allem des so genannten Westens) haben seit der Industriellen Revolution eine gewaltige „Kohlenstoffschuld“ angehäuft, die eigentlich durch weit überproportionale Emissionsminderungen verantwortungsvoll abgetragen werden müsste. Völlig unangemessen wären in diesem Zusammenhang kategorische Appelle an die Energiehabenichtse in den Entwicklungsländern, sich zum Wohl des Weltklimas doch tunlichst beim Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch zurückzuhalten.

Der größte Gerechtigkeitsabgrund der Klima-Energie-Problematik beginnt sich jedoch erst aufzutun: Neueste Analysen des Potsdam-Instituts bestätigen, dass diejenigen Regionen der Erde, die am wenigsten zur globalen Erwärmung beitragen, am meisten unter den Folgen des Klimawandels leiden werden. Diese Aussage gilt auch, wenn sich durch Halten der Zwei-Grad-Linie immerhin die schlimmsten Auswirkungen der zivilisatorischen Klimastörung unterdrücken lassen. Die „blinde Natur“ stellt somit das im alltäglichen Rechtsempfinden tief verankerte Verursacherprinzip geradezu auf den Kopf. Damit es wieder auf die Füße kommt, müssen die Industriestaaten den Entwicklungsländern bei der Anpassung an den „Restklimawandel“ massiv unter die Arme greifen und diese für eine Vielzahl von nicht mehr abwendbaren Verlusten an sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Schutzgütern entschädigen.

Sind diese Lasten überhaupt zu heben, vor allem zur rechten Zeit? Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass höchstens noch zwei Dekaden verbleiben, um die richtigen politischen Weichenstellungen und ökonomischen Investitionsentscheidungen zu tätigen. Wird diese „Wende zur Nachhaltigkeit“ verpasst, potenzieren sich die negativen Klimafolgen und fehlen die Mittel für eine wahrhaft zukunftsfähige Transformation des Weltenergiesystems. Die entscheidende – wenn auch nicht einzige – Hoffnung liegt auf der institutionellen, technischen und sozialen Erneuerung:

Als erstes steht die Fortschreibung des Kioto-Protokolls für die Zeit nach 2012 an, das heißt die Vereinbarung eines internationalen Regimes zur Einhegung der Klima-Energie-Problematik. Wie auch immer dabei die instrumentellen Details aussehen sollten, der Fluchtpunkt aller Anstrengungen muss die Bepreisung von Kohlenstoff sein – in der Größenordnung von wenigstens 20 bis 30 US-Dollar pro Tonne Co2. Dadurch würden direkt und indirekt unzählige Suchprozesse zur „Dekarbonisierung“ unserer Gesellschaft induziert. Hoch entwickelte Nationen und Staatenbündnisse könnten diesen allgemeinen Antrieb noch verstärken, indem sie kraftvolle Strukturpolitik zugunsten von nachhaltiger Innovation betreiben. Auf der technischen Seite bedeutet dies vor allem die aggressive Steigerung der Energieeffizienz, die großzügige Förderung risikofreier nicht-fossiler Energiequellen und die Kohlenstoffabscheidung in jeder erdenklich sinnvollen Weise. Eine weltweite wissenschaftliche Studie hat erst kürzlich nachgewiesen, dass der so stimulierte Fortschritt die Kosten des Klimaschutzes massiv verringern würde: Die Beachtung der Zwei- Grad-Leitplanke wäre mit einer Verzögerung des globalen Wirtschaftswachstums um lediglich drei Monate zu erkaufen – bis Ende des Jahrhundert, versteht sich, und ohne die vermiedenen Umweltschäden überhaupt gegenzurechnen!

Technologische Innovationspolitik kann durch institutionelle Neuerungen jeglicher Größenordnung unterstützt werden. Das Spektrum der Möglichkeiten reicht von Einzelmaßnahmen wie dem europaweiten Energiepass für Wohngebäude über die Abschaffung perverser Subventionen für klimaschädliche Wirtschaftsweisen bis hin zur Augias-Aufgabe schlechthin, nämlich der Reform der Vereinten Nationen. Diese werden in den Zeiten des globalen Wandels ihre Nachhaltigkeitsrhetorik endlich in starke Organisationen und Programme umsetzen müssen.

Die größte Herausforderung – und die Grundvoraussetzung für die Erreichung des „Millennium Development Goals“ – ist dabei die Anpassung der Entwicklungsländer an die (hoffentlich gebremsten) Klimaveränderungen. Hierfür bedarf es einer Umorientierung vieler bestehenden UN-Institutionen, nicht zuletzt des Welternährungsprogramms, der Weltgesundheitsorganisation und des Hochkommissariats für Flüchtlingswesen. Und schließlich muss das multinationale Gefüge der Finanzinstitutionen umstrukturiert werden, etwa durch Schaffung neuer Organe für den geordneten Transfer der Gewinne aus der Kohlenstoffbepreisung für Kompensationszahlungen und Energiesysteminvestitionen in die Notstandsländer. Damit wird sich ein Paradigmenwechsel in der Entwicklungspolitik vollziehen – vom Wohltätigkeitsgestus zum robusten Solidarverhalten.

Was uns direkt zum dritten Schlüsselbegriff führt, nämlich der Partnerschaft, welche auf 1000 verschiedene Weisen verwirklicht werden kann. Zukunftsbestimmend wird die Haltung der Schwellen- und Entwicklungsländer sein, die sich – zu ihrem eigenen Wohle – nicht für das nächste halbe Jahrhundert der Nachhaltigkeitsverantwortung verweigern sollten. Ihr Beitrag zur Lösung des Klima-Energie-Problems wird sich zunächst nur über freiwillige Allianzen und selbst gesteckten Zielvorgaben vollziehen; hier bietet der in Gleneagles gestartete G8 + G5-Prozess einen vielversprechenden Ansatzpunkt. Ebenso wichtig wäre das Weben eines weltweiten Netzes von Modellpartnerschaften, wo jeweils ein Staat des „Nordens“ und des „Südens“ bei der „Dekarbonisierung“ der Energiewirtschaft, bei der Anpassung an Klimaveränderungen oder bei der Bewahrung ökosystemarer Leistungen zusammenarbeiten könnten.

Aber auch der vage Begriff der „Public Private Partnership“ sollte in diesem Zusammenhang zu neuem Leben erweckt werden: Beispielsweise wird bei künftiger Häufung meteorologischer Extremereignisse die Versicherungswirtschaft sicherlich gemeinsam mit den staatlichen Behörden innovative Wege des Risikomanagements beschreiten. Und angesichts des umfassenden Transformationsdrucks auf den Energiesektor müssen die maßgeblichen Unternehmen die Politik sogar vor sich hertreiben – wie es die „Corporate Leaders Group“ in Großbritannien eindrucksvoll vormacht. Nicht zuletzt bedarf es neuartiger Bündnisse innerhalb der Zivilgesellschaft, um die notwendigen Bewusstseins- und Verhaltensänderungen für die Wende zur Nachhaltigkeit zu stimulieren. Als außerordentlich erfolgreich haben sich etwa jüngere Initiativen erwiesen, die zu diesem Zwecke führende Künstler, ausgewiesene Wissenschaftler und neugierige Bürger zusammenbringen.

Verantwortung, Erneuerung, Partnerschaft: Deutschland kann und sollte eine tragende Rolle bei der Sicherung unserer globalen Zukunftsfähigkeit entlang dieser Gestaltungsachsen spielen – nicht zuletzt im Rahmen der anstehenden G8/EU-Doppelpräsidentschaft. Dabei gibt es unzählige Optionen, um nachhaltige Akzente zu setzen. Ich würde mir wünschen, dass dabei die folgenden Politikelemente Berücksichtigung fänden:

– Klare Zielvorgaben und Zeitpläne für die Entwicklung eines internationalen Post-Kioto-Regimes für den Klimaschutz. Dabei sollte die Integration von Klima- und Energieaspekten sowie von Vermeidungs- und Anpassungsmaßnahmen mit im Vordergrund stehen.

– Ausdehnung des europäischen Emissionshandels auf eine weltweite „Koalition der Freiwilligen“.

– Entwicklung einer EU-Roadmap für die Erneuerung der Energiesysteme mit klarer Spezifizierung der technologischen und institutionellen Innovationen nach Charakter und Zeithorizont. Denkbar wäre in diesem Zusammenhang auch die Vereinbarung eines internationalen „Technologie-Protokolls“ mit differenzierten Standards.

– Herstellung eines offenen und fairen Wettbewerbs auf dem europäischen Strommarkt, verbunden mit dem Aufbau moderner und effizienter Netzstrukturen.

– Reform der gemeinsamen Agrarpolitik im Hinblick auf langfristige Nachhaltigkeitsgebote.

– Initiierung von Leuchtturmprojekten, etwa zur Kopplung von Bioenergieerzeugung und Kohlenstoffabscheidung oder zur Förderung der interdisziplinären Nachhaltigkeitswissenschaft.

– Modellhafte Klima-Energie-Partnerschaften mit Indien, Mexiko und Südafrika.

– Vorbereitung eines Nationalplans zur Anpassung an den Klimawandel.

– Wiederbelebung der lokalen Agenda 21 zur verstärkten Einbindung der Zivilgesellschaft in den Lösungsprozess.

Ganz zum Schluss möchte ich betonen, dass die Wende zur Nachhaltigkeit gerade aus ökonomischen Gründen eine überfällige Notwendigkeit ist: In den angloamerikanischen Ländern bezeichnet man zum Beispiel den Klimaschutz längst als „Commodity“, also ein nachgefragtes Gut, mit dem sich trefflich Gewinne erzielen lassen. Schließlich steht die 3. Industrielle Revolution, die den Metabolismus unserer Zivilisation radikal verändern wird, schon vor der Tür – dort sollten wir sie nicht mehr allzu lange warten lassen.

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