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Jochen Flasbarth ist Staatssekretär im Bundesumweltministerium

© Oliver Berg/ dpa

Klimapolitik: „Je länger wir warten, desto teurer wird es“

Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth spricht über den Weg zum höheren EU-Klimaziel und den nationalen Konflikt zwischen Windenergie und Artenschutz.

Herr Flasbarth, die Unionsfraktion möchte, dass die Effort-Sharing-Regulation (ESR), also die Klimalastenteilung im Bereich Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft, zwischen den EU-Mitgliedsstaaten neu verhandelt wird. Kanzlerin Angela Merkel unterstützt das. Sie auch?

Ich habe mich über die Debatte sehr gewundert, weil sie zu einem verfrühten Zeitpunkt kommt. Die Unionsfraktion unterstellt mit ihrer Forderung, dass ein höheres EU-Klimaziel der EU nur über eine veränderte Effort-Sharing-Regulation möglich ist – also über eine Veränderung der individuellen Klimaschutzverpflichtungen der einzelnen Mitgliedsstaaten in den Bereichen Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Teilen der Industrie zu erreichen ist. Diese Einschätzung teile ich nicht. Ich glaube, dass die Kommission auf andere Instrumente setzen wird. Sollte sie aber doch diesen Weg gehen wollen, müssten natürlich alle Mitgliedsstaaten in diesen Bereichen höhere Klimaschutzbeiträge erbringen.

Änderungen am Verteilungsschlüssel der ESR gelten als hochkompliziert. 

Der Weg hin zu einem neuen Klimaschutzziel und den Instrumenten, die dazu gehören, wird insgesamt ein harter, ein steiniger Weg. Die Mitgliedsstaaten verhandeln aus unterschiedlichen wirtschaftlichen Positionen heraus. Das haben wir schon in früheren Verhandlungen gesehen. Das gilt umso mehr für die ESR, da es um Verteilungsfragen geht. Hier Einigkeit zu erzielen, ist in der Tat schwierig. 

Welche anderen Instrumente könnte die EU-Kommission in Betracht ziehen?

Wir haben immer noch ein großes Potenzial in Europa im Bereich der Energieeffizienz. Denkbar ist, dass in dieser Richtlinie neue, höhere Ziele vereinbart werden, was automatisch zu einem verminderten Energieverbrauch und geringen CO2-Emissionen führen würde. Ähnliches ist bei der Erneuerbaren-Richtlinie denkbar. Beides würde nicht dazu führen, dass die ESR neu verhandelt werden muss. Zudem interessiert sich die EU-Kommission für den deutschen Ansatz eines zweiten Emissionshandelssystems. Ich könnte mir gut vorstellen, dass die EU-Kommission daran arbeitet, einen europäischen CO2-Preis auch für den Verkehrs- und Wärmebereich zu etablieren.

Die Unionsfraktion sieht in einem sektorübergreifenden Emissionshandel den Königsweg, die europäischen Klimaziele zu erreichen. Ist es realistisch, ein solches Instrument vor 2030 einzuführen?

Zum Glück ist das nicht realistisch, denn wirtschaftspolitisch wäre das ein dummer Weg. Ein sektorübergreifender Emissionshandel würde dazu führen, dass die Emissionsminderungslast im Wesentlichen bei der Industrie liegt, weil dort die geringsten Vermeidungskosten liegen. Die Industrie müsste also den Großteil der zusätzlichen Klimaschutzanforderungen erbringen. Das halte ich aus wirtschaftspolitischer Sicht für den falschen Weg. Und auch das Ziel der Klimaneutralität der EU bis 2050 könnte in Gefahr geraten, wenn die Transformationsanstrengungen im Verkehrs- und Wärmesektor verschleppt werden.

Nun hat das Ökoinstitut wieder Zahlen vorgelegt, die zeigen, dass Deutschland seine EU-Vorgaben für 2030 verpasst. Das Klimapaket der Bundesregierung reicht nicht. Da müssen doch bei Ihnen die Alarmglocken läuten. 

Das ist ja alles nichts Neues. Schon die vor einigen Wochen im Auftrag von Wirtschafts- und Umweltministerium vorgelegten Gesamtabschätzungen zur Treibhausgasminderung durch das Klimapaket haben gezeigt, dass wir damit unser nationales 2030-Ziel nicht erreichen – allerdings in einer Spanne, die ich nicht als dramatisch bezeichnen würde. Wir kommen demzufolge bis 2030 auf 51 bis 52 Prozent Minderung gegenüber 1990 anstatt auf die 55 Prozent. Gleichwohl: es gibt eine Lücke, die geschlossen werden muss, und das gilt insbesondere für die Sektoren Verkehr und Gebäude. Umweltministerin Schulze hat deshalb schon gesagt, dass beim Klimapaket nachgeschärft werden muss. Wenn die Coronakrise nicht gekommen wäre, hätte ich schon längst zur Klima-Staatssekretärsrunde eingeladen. Diese wird jetzt aber in Kürze tagen. Und ich hoffe sehr, dass wir den im Klimaschutzgesetz verankerten Expertenrat für Klimafragen auch bald berufen.

Wird das Klimapaket also noch in diesem Jahr nachgeschärft?

Das Klimaschutzgesetz verpflichtet uns dazu erst ab dem nächsten Jahr. Wenn man allerdings eine Verfehlung prognostiziert bekommt, und zwar durch Studien aus verschiedenen Ministerien, dann ist es doch klug, frühzeitig Nachschärfungen vorzunehmen. Alle Erfahrungen zeigen uns, dass es teurer und politisch unangenehmer wird, je länger wir warten. Und deshalb werden wir sehr darauf drängen, dass wir uns im nächsten Klimakabinett auf erste Maßnahmen verständigen, wie die Ziele dann auch sicher erreicht werden können. Politisch wird das einiger Anstrengung bedürfen, weil viele nun argumentieren, dass wir infolge der Pandemie unsere Klimaziele 2020 sicher erreichen würden. Aber wir im BMU weisen immer darauf hin, dass das ein sehr kurzfristiges Denken ist.

Die Unionsfraktion redet auch davon, dass Emissionsminderungen für das Klimaziel 2030 über Projekte in Drittstaaten erbracht werden sollten. Wie steht das BMU dazu?

Das geht bezogen auf das bestehende EU-Ziel für 2030 schlicht nicht. Die EU hat sich völkerrechtlich verpflichtet, 40 Prozent ihrer Treibhausgasemissionen ausschließlich in der EU selbst zu mindern. Nun reden wir aber über eine Erhöhung des EU-Klimaziels auf 50-55 Prozent und da ist die EU natürlich völlig frei zu sagen, Teile dieses erhöhten Klimaziels über Emissionsminderungen in Drittstaaten erbringen zu wollen.

Dafür braucht man den Artikel 6 des Pariser Klimavertrags, der bislang noch nicht ausgehandelt ist. Wir setzen uns sehr dafür ein, dass die Umsetzungsvorschriften zu diesem Artikel auf der nächsten Klimakonferenz in Glasgow beschlossen werden. Dieser Mechanismus muss dann so integer sein, dass es nicht zu Doppelanrechnung von Emissionsminderungen kommt. Solchen Marktmechanismen stehen wir also grundsätzlich positiv gegenüber. Aber das muss alles in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Wenn wir ein erhöhtes Klimaziel der EU nur schaffen, wenn der überwiegende Teil in Drittstaaten erbracht wird, ist das keine glaubwürdige Klimapolitik.

Also soll aus Ihrer Sicht auch Deutschland Teile seines neuen nationalen 2030-Ziels über Projekte in Drittstaaten erbringen können?

Es wird innerhalb der EU-Klimaarchitektur zu regeln sein, wie die dann geltenden internationalen Regeln für Marktmechanismen innerhalb Europas angewendet werden. Das gut zu regeln, ist noch viel Arbeit.

Sie hatten zur Umweltministerkonferenz (UMK) mehrere Papiere mit Vorschlägen präsentiert, wie der Konflikt zwischen Windenergie und Artenschutz entschärft werden könnte. Darunter ist ein „Methodenvorschlag des Bundes zur Prüfung und Bewertung eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos von Vögeln an Windenergieanlagen“. Wie haben Ihre Länderkollegen reagiert?

Nicht das Bundesumweltministerium, sondern eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe hatte die Papiere erarbeitet. Auf der UMK haben Bund und Länder als erstes Ergebnis einen wesentlichen Beschluss gefasst, um das Miteinander von Naturschutz und Windenergie zu stärken. Behörden sollen unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen von artenschutzrechtlichen Bestimmungen erlassen können. Der Methodenvorschlag war noch nicht entscheidungsreif und hatte der UMK deshalb auch noch gar nicht vorgelegen. Alle Länder haben zwar ein Interesse an Standardisierungen, aber am liebsten auf der Basis dessen, was sie jeweils im Augenblick selbst anwenden. Dass es schwierig ist, bei 16 Ländern die unterschiedlichen Praktiken zusammenzuführen, liegt auf der Hand. Daran müssen wir sehr grundlegend arbeiten und noch ein bisschen mehr Einigungswillen erzeugen. Dann bin ich sicher, dass uns das zur UMK im Herbst auch gelingt.

Was halten Ihre Länderkollegen von dem im Methodenpapier formulierten Vorschlag bundeseinheitlicher Mindestabstände zu Vogelbrutstätten?

Es geht nicht um neue Mindestabstände, sondern um eine Vereinheitlichung der sehr unterschiedlichen Praxis in den Ländern im Interesse der Rechtssicherheit. In Brandenburg gilt für den Rotmilan ein Mindestabstand von 1000 Metern zum Horst, in Sachsen-Anhalt sind es 1500 Meter. Dabei sollen die Freiheitsgrade, die die Länder sich in ihren Leitfäden zum Ausbau der Windenergie erarbeitet haben, nicht ohne Not beschnitten werden. Das ist die Optimierungsaufgabe und daran arbeiten wir gemeinsam.

Aber das Ziel ist weiterhin ein einheitlicher Mindestabstand, innerhalb dem mit großer Wahrscheinlichkeit nicht gebaut werden darf?

Wir sind noch mitten im Diskussionsprozess. Es zeigt sich dabei, dass sich die Kriterien nicht einfach auf Abstände reduzieren lassen. Schon allein die geographischen Verhältnisse in den einzelnen Bundesländern sind so unterschiedlich, dass man das Problem nicht einfach mit der Festlegung von Abständen lösen kann. Vielmehr geht es um ein Set von Kriterien. Uns geht es darum Arten zu schützen, ohne Windenergie dabei zu verhindern. Da sind wir uns alle einig.

Für die anstehenden Bund-Länder-Gespräche zur Energiewende kommen Ihre Pläne aber zu spät?

Bei der Weiterentwicklung der Energiepolitik sollte man immer zügig das tun, was man schon kann. So bauen wir hoffentlich eine Hürde nach der nächsten ab. Das Bundesumweltministerium und ich persönlich, wir sind absolut der Meinung, dass wir einen stärkeren Zuwachs bei Windkraft an Land brauchen, wir können nicht alles mit Offshore-Wind und Photovoltaik erreichen. Wir wollen im Bereich des Artenschutzes unseren Beitrag dazu leisten. Artenschutz ist aber bei weitem nicht der größte Grund dafür, dass wir beim Ausbau der Windenergie nicht genügend vorankommen. In aller Regel ist es die fehlende Ausschöpfung der Raumplanungsmöglichkeiten, z.B. bei der Regionalplanung, und die fehlende Akzeptanz vor Ort. Und dazu braucht es dringend Anreize für die Kommunen und die Bevölkerung vor Ort – wie etwa eine finanzielle Beteiligung an den Erträgen benachbarter Windparks.

Noch eine Frage zur Wasserstoffstrategie, die die Bundesregierung in Kürze beschließen will: Welche Anwendungsbereiche sollten darin ausgeschlossen werden?

Keine. Wir wollen das nirgendwo ausschließen. Das Bundesumweltministerium bereitet beispielsweise kein Verbot synthetischer Kraftstoffe aus Wasserstoff in Pkw vor. Wir sind viel weniger verbotsorientiert als uns das regelmäßig unterstellt wird. Die Frage ist doch eine andere: nämlich, was sollte der Staat klugerweise fördern? Und da meinen wir, wenn der Staat Steuermittel einsetzt, muss er dafür einen guten Grund haben. Deshalb sollten wir grünen Wasserstoff in den Bereichen einsetzen, wo wir keine absehbaren Alternativen haben, etwa in der Stahlproduktion, in der Chemie oder bei Kerosin. Also nichts verbieten, aber Steuergeld dort einsetzen, wo es am klügsten ist.

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