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Kirche und Rechtsextremismus: Die Augenwischer

Vordenker der Neuen Rechten wie Karlheinz Weißmann wollen ein „völkisches Christentum“ neu auflegen und damit ihren Nationalismus sakralisieren – mit Erfolg.

Der Theologe Johann Hinrich Claussen, 1964 in Hamburg geboren, ist seit Februar 2016 Kulturbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Die Arbeitsgemeinschaft Kirche + Rechtsextremismus hat im vergangenen Jahr den ersten Band der Reihe „Einsprüche. Studien zur Vereinnahmung von Theologie durch die extreme Rechte“ herausgegeben. Er kann über die Website bagkr.de bestellt oder heruntergeladen werden.

Eines muss man den rechten Populisten und Extremisten lassen: Sie wissen, unüberhörbare Nachrichten und unvergessliche Bilder zu schaffen. Es ist schwer, sich deren finsterem Bann zu entziehen. Doch sollte man regelmäßig hinter die Fassaden rechter Aufregungspolitik schauen und fragen: Wer steckt dahinter, welche Netzwerke sind hier aktiv, was sind ihre Absichten? Viele von denen, die im Internet, in Zeitschriften, auf Demonstrationen oder in der AfD eine antidemokratische Ideologie verbreiten, werden unter dem Begriff Neue Rechte zusammengefasst. Es lohnt sich, deren Texte zu lesen und Verbindungen nachzugehen.

Dabei sollte man auch auf die religiösen Töne achten, die hier angeschlagen werden. Es ist eben nicht so, dass Deutschland so säkular geworden wäre, dass man mit dem Heiligen nicht auch hierzulande extreme Politik machen könnte. Dies geschieht anders als in den USA, wo christlicher Fundamentalismus und weißer Nationalismus eine macht- und unheilvolle Allianz bilden. Die religiöse Seite der deutschen Neuen Rechten – diesem Brücken-Milieu zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus – ist zersplitterter und wirkt stärker aus einem sektenhaften Untergrund heraus.

Sie reicht von gegenmodernem Katholizismus oder Alt-Luthertum über evangelikale Freikirchlichkeit, spirituelles Einzelgängertum bis hin zu Neuheidnischem. Aber so unterschiedlich all diese Impulse sein mögen, so wirkmächtig sind sie doch, weil sie eine politische Agenda religiös abstützen und einen im Kern hohlen Radikalnationalismus mit der nötigen Sakralität aufladen.

Metapolitik mit Kaderbildung

Ein gutes Studienobjekt ist Karlheinz Weißmann. Er ist weniger prominent als sein Gesinnungskamerad Götz Kubitschek, der sich mit Freude öffentlich darstellt und staunende Journalisten zu Homestories in sein sachsen-anhaltinisches Rittergut einlädt. Weißmanns Sache ist so etwas nicht. Stattdessen betreibt er – von der breiten Öffentlichkeit nicht wahrgenommen – seit Jahrzehnten eine intensive und effektive „Metapolitik“: mit Zeitungen und Zeitschriften, Büchern, Seminarbetrieben, Nachwuchsgewinnung und Kaderbildung.

So wurde der ehemalige Geschichts- und Religionslehrer zu einem der wichtigsten Ideengeber und Netzwerker der Neuen Rechten. Mit Kubitschek hatte er lange zusammengearbeitet, bis sich beide aus strategischen und persönlichen Gründen trennten: Der kühle Stratege Weißmann plädierte für einen eher legalistischen Weg mit der AfD, der Berufsrebell Kubitschek hatte mehr Lust an einem offen provokativen Stil. Nachdem Weißmann vor einem Jahr in den Ruhestand getreten ist, engagiert er sich umso mehr für seine Ideenpolitik – besonders in der AfD-nahen Desiderius Erasmus-Stiftung und in der Berliner Bibliothek des Konservatismus.

Will man die Geschichts- und Religionspolitik der AfD verstehen, kommt man an ihm nicht vorbei. Dabei ist das, was er sagt und schreibt, keineswegs originell. Es ist das typisch Neu-Rechte, was man bei ihm mustergültig formuliert findet. Diesem auf die Spur zu kommen, ist nötig, denn obwohl es in bürgerlicher Verkleidung auftritt – nie sieht man Weißmann ohne Anzug und Schlips, seine Schriften bemühen sich um ein seriöses Erscheinungsbild –, zielt es auf etwas ganz anderes.

Weißmann trägt seine Ideologie als Ausdruck einer christlichen Grundeinstellung vor. Er beschreibt sich als konservativen Lutheraner. Am meisten will er von lutherischen Theologen der Zwischenkriegszeit gelernt haben. Wenn man sich als Theologe mit ihm beschäftigt, erlebt man einige Déjà-vus. Denn hier begegnet einem nicht etwas Fremdes, über das man sich bloß empören müsste. Man stößt auf Motive, die einem aus der Theologiegeschichte gut bekannt sind. Wenn man sie für überwunden hielt, muss man jetzt lernen, dass sie höchst lebendig sind.

Entmachtung des nationalkonservativen Luthertums

Vergleicht man den deutschen Protestantismus von heute mit dem von 1959, Weißmanns Geburtsjahr, muss man sagen, dass das nationalkonservative Luthertum zu den Verlierern der neueren Kirchengeschichte gehört. In Leitungsämtern und auf Lehrstühlen, in Bildungseinrichtungen und Publizistik hatten damals revisionistische Kräfte noch Einfluss. Die Entmachtung vollzog sich schrittweise von den 60er bis zu den 80er Jahren.

Es war für den deutschen Protestantismus – wie überhaupt für das deutsche Bürgertum – ein langer Weg in die offene Gesellschaft. Verbunden damit war eine epochale innere Demokratisierung. Man denke nur an die Ordination von Frauen. Diesen in der Tat „großen Kurswechsel“ (Weißmann) hat eine Minderheit nicht mitgemacht. In dieses Milieu theologischer Modernisierungsverweigerer muss Weißmann eingezeichnet werden.

Weißmann versteht sich als „rechts“. Gemeint ist damit ein autoritärer Nationalismus: Staat und Nation sollen ein hierarchisch geordnetes „Ganzes“ bilden, dazu gehört eine deutsch-christliche Identität. Das Christliche kommt allerdings nie als eigenständige Größe vor, sondern ist Mittel zum Zweck: Es soll dem starken Staat die nötige Weihe geben. Weißmanns Hauptgegner ist der „Liberalismus“ beziehungsweise die „Dekadenz“. Diese habe die vermeintlich gute alte Ordnung zerstört.

Zur „Dekadenz“ gehört für ihn der demokratische Protestantismus, der die Prinzipien der Aufklärung, zum Beispiel die Menschenrechte, angenommen hat. Aus diesem Grund ist Weißmann übrigens nicht antimuslimisch: Sein Feind ist weniger der Fremde als der liberale Mitchrist.

Interessant ist, wen Weißmann als theologischen Gewährsmann anführt: Emanuel Hirsch (1888 bis 1972). Dieser war für die evangelischen Theologie das, was Martin Heidegger für die Philosophie oder Carl Schmitt für das Staatsrecht gewesen ist: ein bedeutender Gelehrter, der persönlich als abgründig erscheint und politisch hochgradig kompromittiert war. An Hirschs „Deutsches Christentum“ scheint Weißmann anschließen zu wollen. Da stellt sich die Antisemitismus-Frage. Weißmann plädiert nämlich dafür, das Christentum als eindeutig vom Judentum getrennt und geschieden zu betrachten. Man dürfe das Christentum nicht als „Variante des Judentums“ oder als „Geschwisterreligion“ betrachten.

Christentum mit heidnisch-germanischen Motiven

Stattdessen liebäugelt er damit, das Christentum mit heidnisch-germanischen Motiven zu verbinden. Das aber wäre eigentlich eine Wiederauflegung des Programm eines völkischen Christentums. Allerdings traut Weißmann sich nicht, es so deutlich zu sagen, wie die nationalsozialistischen „Entjudungstheologen“ es vorgemacht haben. Geschmeidig passt sich Weißmann dem „Zeitgeist“ einer entnazifizierten Bundesrepublik an, in der ausdrückliche Judenfeindlichkeit geächtet ist. Doch man muss nur an der Fassade seiner Texte kratzen, schon stößt man auf dieses giftige Erbe.

Befremdlich, aber auch passend ist, wie intensiv Weißmann sich der Erforschung „germanischer“ Mythen und Symbole widmet. Ihnen hat er einen Großteil seiner Lebensarbeitszeit geopfert, ohne jedoch zu erklären, was er damit bezweckt. Er muss eigentlich wissen, dass es sich bei Runen, Hakenkreuz oder Irminsul selten um authentisch-germanische Zeichen, sondern um Erfindungen einer völkischen Retro-Utopie aus den 20er Jahren handelt. Auch müsste ihm ihr antichristlicher Charakter bekannt sein. Warum also schenkt er ihnen so viel Aufmerksamkeit?

Die Erklärung lautet: Weißmann ist die Leere seines Radikalnationalismus bewusst, deshalb muss er ihn religiös verklären. Mit den Mitteln des Luthertums geht das offenkundig nicht mehr. Für eine Sakralisierung des Nationalen stehen ihm nur die völkischen Erfindungen zur Verfügung, die sich in der rechtsextremen Szene – vor allem bei jugendlichen Neonazis – immer noch großer Beliebtheit erfreuen.

Bei Neuen Rechten wird oft die Frage gestellt, ob sie noch konservativ oder schon rechtsextrem sind. Diese Frage ist falsch gestellt. Denn es geht ihnen darum, beide Ideenmilieus zu verbinden. Am besten gelingt Weißmann dies als Geschichtserfinder.

Bewunderung für das "geheime Deutschland"

Götz Kubitschek hat geschildert, wie Weißmann Mitte der 90er Jahre eine ihn tief bewegende Rede hielt: „Er ließ an den Hörern den historischen Zug der Deutschen vorbeiziehen, nannte Kaisergeschlechter, Bauernführer, Siedler, Künstler, Denker, Epochen, alles selbstverständlich und vor allem ohne Relativierung. Als er auf die Epoche des 3. Reichs zusteuerte, hielt der Saal den Atem an. Und Weißmann rief die Frontsoldaten, die Männer des 20. Juli, die KZ-Häftlinge, die letzten Verteidiger der Ostgrenzen, die Vertriebenen und die Spätheimkehrer auf; … dann, ohne die Abfolge zu unterbrechen, die Arbeiter des 17. Juni 1953, um mit denen zu enden, die die Mauer eingerissen hatten…. Seit jenem Tag weiß ich, was das ‚Geheime Deutschland' ist.“ Götz Kubitschek hat dies auf einer Legida-Demonstration 2015 vor einer begeisterten Menge wiederholt.

Diese Erfindung eines „geheimen Deutschlands“ ist geschickt. Sie erweckt den Eindruck, als gebe es eine von Schuld unberührte nationalistische Tradition. Weit greift sie zurück bis ins Altgermanische, malt eine glänzende Kette aus Machthabern und Geistesheroen – mittendrin: Luther –, so dass man stolz sein muss, deutsch zu sein. Zudem immunisiert sie durch die knappe Erwähnung von „KZ-Häftlingen“ gegen Kritik – wobei die Millionen der Ermordeten ungenannt bleiben. Außerdem versucht sie, durch den Bezug auf Widerstandkämpfer den Eindruck zu erwecken, mit der NS-Diktatur nichts zu tun zu haben.

Weißmanns formuliert eine Politische Theologie. Diese will das Christentum zum Instrument eines autoritären Radikalnationalismus machen und beraubt es so seiner Universalität und seiner befreienden Potentiale. Doch gelingt es ihm nicht, dieses Programm auszuführen oder zu gestalten.

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Um von der eigenen theologischen Leere abzulenken, übt er sich in massiver Kirchenkritik. Natürlich kann man an der demokratisch gewordenen evangelischen Kirche vieles kritisieren. Der menschlichen Torheit sind keine Grenzen gesetzt, auch in der Kirche nicht. Doch Weißmann betreibt eine problematische Polemik. Sie beschränkt sich darauf, das falsche Bewusstsein der „Dekadenten“ vorzuführen, um so die Richtigkeit der eigenen ideologischen Position zu erweisen. Sie ist dabei stets moralisierend: Die anderen werden als „böse“ markiert. Zudem ist sie immer politisch motiviert: Sie dient einem entgegengesetzten ideenpolitischen Projekt, einer Revanche.

Deshalb versucht Weißmann, die evangelische Kirche als eine Stimme christlicher Humanität lächerlich zu machen und zum Schweigen zu bringen. Eine Vielzahl neurechter Empörungspublizisten tut es ihm nach, zum Teil mit Erfolg beim bürgerlichen Publikum. Doch wer sich von dieser Kirchenkritik ansprechen lässt, sollte hinter die Fassade schauen. Es geht nämlich um etwas anderes.

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